Die Zentralbanken der Eurozone, der USA, Kanadas, Japans, Großbritanniens und der Schweiz stellen den Banken mehr Geld zur Verfügung.
London/New York/Frankfurt. Die konzertierte Aktion der Notenbanken verflüssigt den schon zäh gewordenen Geldstrom rund um den Globus. Vor allem aber kauft sie der Euro-Zone mehr Zeit zur Lösung ihrer weltweit folgenreichen Schuldenkrise. Die Angst vor einer Kreditklemme hat sich zuletzt tief in die Wirtschaft hineingefressen - gibt die Bank kein Geld, weil sie wegen drohender Verluste auf Staatsanleihen und einer verschärften Regulierung mehr Kapital horten muss, kann auch die Industrie nicht mehr investieren und der Wachstumsmotor gerät ins Stottern wie zuletzt während der Finanzkrise. Schätzungen gehen davon aus, dass die Banken ihre Kreditvergabe bis Ende nächsten Jahres um bis zu drei Billionen Euro einschränken könnten.
Die Intervention der wichtigsten Zentralbanken der reichsten Länder dieser Welt - von den USA über Europa bis nach Japan - macht es für die Banken wieder billiger, sich im globalen Finanzgeschäft mit der Reservewährung Dollar zu versorgen. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die Währungshüter einer weiteren Zuspitzung auf den Geldmärkten während der üblichen saisonalen Anspannung zum Jahresende zuvorkommen wollten: Die Aktion war ein starkes Zeichen dafür, dass die entscheidenden geldpolitischen Institutionen an einem Strang ziehen. Selbst China tat das Seine: Das größte Schwellenland lockerte erstmals seit drei Jahren die Geldpolitik, um die Abschwächung seines Wachstums sanfter zu gestalten. Die Schleusen stehen überall offen. Auch von der Europäischen Zentralbank wird in der kommenden Woche die zweite Zinssenkung binnen fünf Wochen erwartet.
Der mächtige Schritt macht jedoch zugleich den engen Zusammenhang zwischen der Euro-Krise und einem potenziellen Zusammenbruch des Finanzsystems offensichtlich: Das wäre ein fataler Doppelschlag für das weltweite Wachstum. Die Börsen reagierten folglich mehr als erleichtert. Die dunklen Wolken schienen plötzlich vertrieben, alle sogen begeistert die frische Luft ein. "Herrliche Nachrichten“, "wunderbar“, schallte es von den Handelsplätzen diesseits und jenseits des Atlantiks. "Das hilft der Marge“, sagte RBS-Volkswirt Silvio Peruzzo. "Das ist super für kurzfristige Händler“, echote Wayne Kaufman von John Thomas Financial in New York. Aber taugt die Aktion auch dazu, die Risikobereitschaft an den Märkten langfristig wieder abzusichern?
Ein Versuch, die Abwärtsspirale zu brechen
Technisch betrachtet wird es durch die neuen Konditionen billiger für Banken außerhalb der USA, ihre nationalen Notenbanken für Dollars anzuzapfen. Die Reservewährung war zuletzt schon knapp geworden und auf den offenen Märkten teuer, weil die Institute einander wegen der potenziellen Verluste durch die Schuldenkrise nicht mehr über den Weg trauen. "Es zeigte sich seit einiger Zeit, dass der Dollar-Markt dabei war, auszutrocknen“, sagt Richard Batty von Standard Life Investments in Edinburgh. "Da ist es hilfreich, wenn diese Geschäfte billiger werden und insgesamt mehr Liquidität zur Verfügung steht.“ Aber: "Das Problem der Solvenz bleibt.“
Das beste Barometer für die derzeitige Anspannung ist die Währungstausch-Rate für Euro und Dollar die seit August auf ein Niveau gestiegen ist, das sie zuletzt beim Zusammenbruch von Lehman Brothers vor drei Jahren erreicht hat. Nach der Intervention der Notenbanken ging sie am Mittwoch leicht zurück.
Da die Schuldenkrise die Anleger weltweit jedoch auf eine zermürbende Geduldsprobe stellt und kein Ende abzusehen ist, herrschte jedoch vor allem darüber Erleichterung, dass endlich wenigstens jemand einen kraftvollen Versuch unternimmt, die Spirale zu stoppen: "Das verschafft den Banken Liquidität, die Zentralbanken übernehmen die Rolle als letzte Retter“, sagt Jan Poser, Chef-Volkswirt beim Vermögensverwalter Sarasin. "Das ist nicht die Lösung. Aber nach dieser Aktion muss man nicht mehr unmittelbar den Zusammenbruch einer Bank befürchten und die Angst vor einer Rezession verflüchtigt sich.“
So sieht es auch Max Holzer von Union Investment: "Die Notenbank-Aktion ist ein notwendiger, aber nicht hinreichender Baustein zur Lösung der Schuldenkrise“, sagt er. "Der Markt wartet weiter auf eine politische Lösung. Es ist aber gut, dass man die Probleme auf dem Geldmarkt jetzt angeht - da hatte sich die Lage zuletzt enorm zugespitzt. Das Signal kommt jetzt genau zur richtigen Zeit.“
Kooperation der Notenbanken beflügelt Wall Street
Die koordinierte Aktion der wichtigsten Notenbanken hat insbesondere auch die Wall Street beflügelt. Die Zentralbanken der Eurozone, der USA, Kanadas, Japans, Großbritanniens und der Schweiz stellen den Banken mehr Geld zur Verfügung. So sollen die Spannungen an den Märkten reduziert und damit auch die Realwirtschaft unterstützt werden. Mit dem Schritt wollen die Notenbanken das globale Interbankensystem ausreichend mit Dollar versorgen. Vor allem für europäische Banken war es zuletzt schwer geworden, günstig an die US-Währung zu kommen. Wegen der Schuldenkrise waren sie nahezu vom US-Geldmarkt abgeschnitten. Die wichtigste Weltreservewährung ist jedoch zentral für ihre Geschäfte.
Zuvor hatte die chinesische Notenbank bereits ihre Geldpolitik gelockert. Sie senkte die Mindestreserve-Quote für die größten Institute. Händler werteten die Schritte als positiv. "Wie groß und nachhaltig dieser Aufschwung ausfällt, wissen wir aber erst, wenn klar ist, wie die europäischen Märkte - besonders die Anleihenmärkte - auf den Vorstoß reagieren“, sagte Peter Kenny von Knight Capital in New Jersey.
Der Dow-Jones-Index der Standardwerte legte 3,5 Prozent auf 11.962 Punkte zu. Der breiter gefasste S&P-500 stieg 3,4 Prozent auf 1236 Zähler. Der Index der Technologiebörse Nasdaq gewann 3,3 Prozent auf 2598 Punkte. In Frankfurt ging der Dax mit einem Plus von fünf Prozent bei der Marke von 6088 Punkten aus dem Handel.
Zu den größten Profiteuren der Aktion der Notenbanken gehörten die Finanz- und Rohstofftitel. Der S&P-Rohstoffindex legte 4,7 Prozent zu. Die Papiere der Bank of America gewannen 2,4 Prozent, die von Citigroup 5,7 Prozent und die von JPMorgan Chase 6,3 Prozent.
Die Aktie von der American Airlines Mutter AMR erholte sich nach dem dienstäglichen Kurssturz von über 80 Prozent deutlich. Die Fluggesellschaft habe genug Mittel, um trotz des beantragten Gläubigerschutzes weiter im Geschäft zu bleiben, sagte Ray Neidl von Maxim Group. Auch eine Übernahme durch U.S. Airways hält Neidl für möglich. Das AMR-Papier verteuerte sich um 42 Prozent.
Gute Nachrichten kamen auch vom US-Arbeitsmarkt. Die US-Privatwirtschaft schuf im November unerwartet viele neue Stellen. Einer am Mittwoch veröffentlichten Erhebung der privaten Arbeitsagentur ADP zufolge stieg die Zahl um 206.000. Von Reuters befragte Analysten hatten nur mit einem Plus von 130.000 gerechnet.
Notenbanken kämpfen gegen die Finanz- und Schuldenkrise - eine Chronologie
August 2007: Die Probleme an den Hypotheken- und Kreditmärkten greifen auf den Interbanken-Geldmarkt über. EZB und Fed sehen sich gezwungen, zusätzlich Liquidität in den Markt zu pumpen.
12. Dezember 2007: Die Notenbanken in den fünf wichtigsten Währungsräumen greifen gemeinsam ein, um ein Austrocknen der Geldmärkte zu verhindern.
15. September 2008: Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers öffnen die großen Zentralbanken die Geldschleusen, um mitten in der Panik an den Finanzmärkten die Geschäfte am Geldmarkt am Laufen zu halten.
8. Oktober 2008: Die wichtigsten Notenbanken weltweit senken gemeinsam die Zinsen – ein historischer Schritt.
4. Dezember 2008: Die EZB senkt ihren Leitzins überraschend um einen dreiviertel Prozentpunkt auf 2,5 Prozent. Es ist der größte Zinsschritt seit der Einführung des Euro und der Gründung der europäischen Notenbank.
16. Dezember 2008: Die Fed kappt ihren Leitzins auf eine Spanne zwischen null und 0,25 Prozent – ein Rekordtief.
18. März 2009: US-Notenbankchef Bernanke kündigt den Ankauf von Staatspapieren für zunächst 300 Milliarden Dollar an. Die Fed erweitert außerdem ihre bestehenden Programme zur Stützung der Kreditmärkte und Banken auf rund eine Billion Dollar.
7. Mai 2009: Die EZB senkt ihren Leitzins auf das Rekordtief von einem Prozent.
24. Juni 2009: Die EZB stellt den Banken der Euro-Zone erstmals für ein ganzes Jahr Liquidität zur Verfügung. Mehr als 1000 Banken rufen die Riesensumme von 442 Milliarden Euro ab.
6. Juli 2009: Die EZB beginnt offiziell mit dem Ankauf von Pfandbriefen.
16. Dezember 2009: 224 Banken aus der Euro-Zone rufen beim letzten Jahrestender der EZB knapp 100 Milliarden Euro ab. Das ist ein Wendepunkt.
19. Februar 2010: Die Federal Reserve erhöht den Zinssatz für Übernachtkredite von 0,5 auf 0,75 Prozent und verteuert damit Notkredite für Banken erstmals seit Ausbruch der Krise.
25. März 2010: EZB-Chef Trichet kündigt an, dass die Notenbank auch über das Jahresende 2010 hinaus Sicherheiten mit einem schwächeren Rating als „A-“ akzeptieren wird. Sie hilft damit indirekt den griechischen Banken und erleichtert die Refinanzierung Griechenlands.
10. Mai 2010: Die EZB kündigt im Kampf gegen die eskalierende Schuldenkrise in der Euro-Zone an, am öffentlichen und privaten Anleihemarkt in großem Stil aktiv werden zu wollen. Die Notenbank gibt damit ihren Widerstand gegen den Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder auf, der Kritikern zufolge zu einem Ansteigen der Inflation führen könnte. Laut EU-Vertrag kann die EZB die Anleihen nur am Sekundärmarkt erwerben und nicht direkt bei den Regierungen.
10. August 2010: Die Fed stoppt unter dem Eindruck der nur zähen Konjunkturerholung in den USA und der andauernden Misere am Arbeitsmarkt den begonnenen Exit. Sie will Geld, dass sie durch Fälligkeit bereits erworbener Immobilienpapiere bekommt, wieder reinvestieren und neue Staatsanleihen kaufen.
5. Oktober 2010: Japans Notenbank zieht im Kampf gegen Wirtschaftskrise, Deflation und den starken Yen weitere Register. Sie senkt den Leitzins auf null und legt einen fünf Billionen Yen (60 Milliarden Dollar) schweren Fonds auf, über den sie die unterschiedlichsten Wertpapiere ankaufen und so weiteres Geld in die Wirtschaft pumpen will.
3. November 2010: Die Fed beschließt den Ankauf von weiteren Staatsanleihen im Volumen von 600 Milliarden Dollar bis Ende der ersten Jahreshälfte 2011. Zusätzlich sollen auslaufende Papiere aus dem Bestand ersetzt werden. Insgesamt hat die neuerliche Geldspritze damit ein Volumen von 850 bis 900 Milliarden Dollar.
16. Dezember 2010: Die EZB beschließt eine Verdoppelung ihres Grundkapitals auf knapp elf Milliarden Euro. Bezahlen müssen dies die ihr angeschlossenen nationalen Notenbanken: Die Bundesbank muss entsprechend des Kapitalschlüssels gut eine Milliarde Euro auf ihren Anteil dazupacken.
18. März 2011: Nach Erdbebenkatastrophe, Tsunami und Atomdebakel in Japan intervenieren die wichtigsten Notenbanken der Welt gemeinsam am Devisenmarkt.
8. August 2011: Die EZB beginnt mit dem Ankauf von Anleihen Italiens und Spaniens. Beide Länder waren zuvor ins Visier der Märkte geraten.
9. August 2011: Die Fed erklärt, dass sie ihren Leitzins wegen der mauen Konjunktur noch für „mindestens“ zwei Jahre nahe Null halten will.
30. November 2011: In einer koordinierte Aktion stellen EZB und Fed sowie die Notenbanken Kanadas, Japans, Großbritanniens und der Schweiz den von der Krise gebeutelten europäischen Banken Dollar zur Verfügung. Den Instituten fiel es zuletzt schwer, sich Dollar-Kredite zu beschaffen – viele US-Investoren haben ihnen aus Angst vor den Folgen der Schuldenkrise den Geldhahn zugedreht. Fast gleichzeitig lockert auch die chinesische Notenbank unerwartet ihre Geldpolitik. Sie senkte erstmals seit drei Jahren die Mindestreserve-Anforderungen der Banken.