Mehr Durchblick im Steuer-Dschungel: Der Rechnungshof hat die Regierung zu einer Reform der Mehrwertsteuer aufgefordert.

Die Debatte um die Abschaffung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze erhält durch ein Gutachten des Bundesrechnungshofes neuen Auftrieb. In dem Gutachten für die Bundesregierung und den Bundestag fordert der Rechnungshof, die ermäßigten Sätze grundlegend zu überprüfen und diejenigen abzuschaffen, die den „Kriterien der Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Steuergerechtigkeit nicht Stand halten“.

„Das ursprüngliche Ziel der Vergünstigung, bestimmte Güter des lebensnotwendigen Bedarfs aus sozialpolitischen Gründen zu verbilligen, trifft heute auf viele Ermäßigungstatbestände nicht mehr zu“, klagen die obersten Rechnungsprüfer. Insgesamt kostete der ermäßigte Satz von sieben Prozent – im Regelfall werden 19 Prozent fällig – im Jahr 2008 den Steuerzahler 24,2 Milliarden Euro.

Der Bundesrechnungshof empfiehlt dem Gesetzgeber, Mehreinnahmen aus einer Reform für eine Senkung des Regelsteuersatzes zu nutzen. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich eine Überprüfung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes vorgenommen. Zuletzt weitete sie selbst aber den ermäßigten Satz auch auf Hotelübernachtungen aus.

Die Systematik des ermäßigten Umsatzsteuersatzes sei seit seiner Einführung 1968 „zunehmend unübersichtlicher und widersprüchlicher geworden“, kritisieren die Prüfer. So gilt der ermäßigte Satz nicht nur für alltägliche Lebensmittel. Begünstigt werden auch Feinschmeckerprodukte wie Wachteleier und frische Trüffel. Dagegen ist für Mineralwasser der volle Satz zu entrichten.

Willkürliche Steuersätze bei Lebensmitteln

Bei vielen anderen Lebensmitteln mutet die Abgrenzung zwischen Regelsatz und ermäßigten Satz gleichermaßen willkürlich an: Speiseeis, Süßwaren, Kartoffelchips und Weinbrandbohnen unterliegen dem ermäßigten Satz – nicht aber Trinkwasser in Fertigpackungen. Ermäßigte Sätze gelten auch für Reit- und Rennpferde, Kunstgegenstände und Sammlungsstücke oder aber für den Saunabesuch als Heilbehandlung.

„Um den Katalog von begünstigten Gegenständen für die Finanzverwaltung handhabbar zu machen, bedurfte es eines 140-Seiten-Schreibens des Bundesfinanzministeriums“, heißt es im Gutachten. Dennoch stehe die Finanzverwaltung den Abgrenzungsproblemen „häufig völlig hilflos gegenüber“.

In den letzten zehn Jahren ergingen mehr als 300 Gerichtsentscheidungen zu dem Thema, derzeit sind 14 Verfahren anhängig. Beispielsweise mussten sich die Richter des Bundesfinanzhofs mit der Frage befassen, ob Milchersatzprodukte pflanzlichen Ursprungs (Sojamilch) Milch oder Milchmischgetränke sind – den diese werden unterschiedlich besteuert. Das Finanzministerium musste darauf hinweisen, dass Trockenmoos (Regelsteuersatz) durch Anfeuchten wieder zu frischem Moos (ermäßigter Steuersatz) wird.

Fazit des Rechnungshofes: Die Ausnahmen seien häufig nicht mehr zeitgemäß, bei ihrer Umsetzung und Kontrolle äußerst verwaltungslastig und vom Regelsteuersatz vielfach nicht klar abgrenzbar. Der wachsende Abstand zwischen Regelsteuersatz und ermäßigten Satz habe zudem den Anreiz verstärkt, Leistungen gegenüber den Finanzämtern zum ermäßigten Satz zu erklären. Eine Reform könne „einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Steuererhebung zu vereinfachen“, erklärte Rechnungshofpräsident Dieter Engels.

Quelle: Welt Online