Die Kanzlerin schraubt die Ansprüche an die EU weiter nach oben. Freude über den Fiskalpakt lässt sie nach dem EU-Gipfel nur kurz aufkommen. Danach warnt sie wieder: Die Krise ist noch nicht vorbei.
Brüssel. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die EU mit dem neuen Fiskalpakt einen wesentlichen Schritt zur Überwindung der Finanzkrise vorangekommen, damit aber noch nicht über den Berg. „Wir sind nach wie vor in einer fragilen Situation“, warnte sie am Freitag nach dem Ende des zweitägigen EU-Frühjahrsgipfels in Brüssel. „Wir haben Fortschritte erzielt, aber zu sagen, es ist jetzt Entwarnung, das wäre viel zu früh.“ Weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone seien notwendig. Dazu gehörten eine offene Handelspolitik und mehr Exporte in den transatlantischen Bereich.
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Der Fiskalpakt sei ein Zeichen, dass die EU die richtigen Lehren aus der Krise ziehe und politisch zusammenrücken wolle, sagte Merkel. Sie mahnte aber: „Die nächsten zwei Jahre sind genauso entscheidend wie die letzten zwei Jahre.“
Die CDU-Vorsitzende würdigte erneut die massive Geldspritze der Europäischen Zentralbank EZB, die am Mittwoch zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate zinsgünstige Kredite für drei Jahre vergeben hatte. Durch diese Liquiditätshilfen erscheine die Situation im Euroraum etwas beruhigt. „Dieser Schritt ist wichtig. Er verschafft uns Zeit.“ Die EU habe nun Zeit, über Mängel im Euroraum nachzudenken.
Insgesamt machten 800 Banken – fast 300 mehr als beim ersten Geschäft dieser Art kurz vor Weihnachten – von dem EZB-Angebot Gebrauch und sammelten fast 530 Milliarden Euro ein. Damit soll bewirkt werden, dass Banken nicht die flüssigen Mittel ausgehen und sie deshalb den Kredithahn zudrehen. Denn das würde die ohnehin schwächelnde Konjunktur abwürgen.
Merkel machte die künftige Wechselwirkung des Fiskalpakts mit dem zum 1. Juli geplanten dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM deutlich. Verschuldete Länder bekämen nur Kredite aus dem ESM, wenn sie sich verpflichteten, die Vorgaben des Fiskalpakts einzuhalten. Sie zeigte sich zufrieden, dass die vereinbarten Schuldenbremsen in den Ländern künftig durch den Europäischen Gerichtshof überprüft werden können.
Merkel teilte mit, dass die Euro-Länder die Bareinzahlungen in den ESM beschleunigen werden. Die Kanzlerin hatte das Anfang der Woche vorgeschlagen. Im laufenden Jahr sollen nun bereits zwei von insgesamt fünf Raten geleistet werden. Das gesamte ESM-Barkapital beläuft sich auf 80 Milliarden Euro.
Um das Wachstum in Griechenland anzukurbeln, sollten einzelne Länder in der EU für bestimmte Themen verantwortlich sein, sagte Merkel. Deutschland könne beispielsweise helfen, das Katasterwesen in Griechenland aufzubauen, um für mehr Investitionssicherheit in dem Land zu sorgen.
Hintergrund
Der neue Fiskalpakt verpflichtet die Unterzeichner zu strenger Haushaltsdisziplin. Das Abkommen mit dem offiziellen Namen „Vertrag für Stabilität, Koordination und Regierungsführung“ soll eine Wiederholung der Schuldenkrise verhindern. 25 EU-Staaten haben das internationale Abkommen beim Gipfeltreffen am Freitag in Brüssel unterschrieben. Nicht alle 27 EU-Staaten ziehen mit: Großbritannien und Tschechien bleiben außen vor, Irland lässt das Volk über das Abkommen abstimmen. In Kraft treten soll der Vertrag spätestens Anfang 2013. Die Kernpunkte:
Ausgeglichener Haushalt: Die Unterzeichner streben nahezu ausgeglichene Haushalte an. Das jährliche, um Konjunktur- und Einmaleffekte bereinigte Staatsdefizit eines Landes darf 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft nicht übersteigen. Die Staaten führen nationale Schuldenbremsen ein und verankern sie in ihrer Verfassung oder auf vergleichbarer Ebene.
Defizitverfahren: Verschuldet sich ein Staat zu sehr, wird automatisch ein Defizitverfahren ausgelöst. Anders als bisher können Sanktionen nur noch von einer Zwei-Drittel-Mehrheit der EU-Finanzminister gestoppt werden. Liegt die Gesamtverschuldung über 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, soll sie pro Jahr um ein Zwanzigstel reduziert werden.
Klagerecht: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) überprüft, ob die Staaten die Schuldenbremse auch in nationales Recht umsetzen. Klagen kann nur ein anderes Unterzeichnerland, nicht aber die EU-Kommission.
Sanktionen: In letzter Konsequenz kann das oberste EU-Gericht gegen Haushaltssünder des Eurogebiets eine Geldstrafe von bis zu 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung verhängen. Die Summen fließen bei Euro-Ländern in den Euro-Rettungsfonds ESM, ansonsten in den allgemeinen EU-Haushalt.
Verknüpfung mit ESM: Der Sparpakt wird mit dem im Juli startenden ständigen Krisenfonds ESM verknüpft werden. ESM-Hilfen sollen also nur die Euro-Länder erhalten, die auch den neuen Pakt unterzeichnet haben – was zu einem potenziellen Problem für Irland werden könnte.