Die Geldspritzen der EZB schaffen Zeit für Reformen. Die Länder sollten sich nach deutschem Vorbild besser auf den Weltmärkten behaupten.
Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich auf ihrem Frühjahrsgipfel die Quadratur des Kreises vorgenommen: Sie wollen angesichts der drohenden Rezession das Wachstum in Europa ankurbeln, ohne den strikten Sparkurs aufzugeben. So soll der Fiskalpakt für eine straffere Haushaltsdisziplin beschlossen werden und die 27 Mitglieder wollen festlegen, wie sie die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Länder in diesem Jahr verbessern wollen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wurde für weitere zweieinhalb Jahre im Amt bestätigt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt die EU-Partner unter Druck, sich nach deutschem Vorbild besser auf den Weltmärkten zu behaupten. Die gigantischen Geldspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Stabilisierung der Banken bedeuteten eine Atempause, sagte Merkel am Donnerstag zum Auftakt des Gipfels. Die CDU-Chefin wies gleichzeitig Forderungen nach einer raschen Aufstockung der Rettungsschirme zurück. Die Währungshüter hätten mit der Geldflut Zeit für Reformen geschaffen. Nun sei es an der Politik, diese Zeit zu nutzen. „Nur wenn Europa das schafft, dann haben wir auch wirklich eine Zukunft, um unsere Haushaltsdefizite zu senken und gleichzeitig Wohlstand und Arbeitsplätze für die Menschen in Europa zu garantieren“, erklärte sie beim Treffen der Europäischen Volkspartei am Donnerstag in Brüssel. Die EU-Regierungen wollen demonstrieren, dass zur Überwindung der Schuldenkrise nicht nur gespart wird, sondern vor allem in angeschlagenen Ländern wie Griechenland nach Wachstumsstrategien gesucht werden soll.
Beschlüsse zum Rettungsmechanismus in der Schuldenkrise wurden auf dem Gipfel nicht erwartet. Die Entscheidung, ob das Kreditvolumen der Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM über 500 Milliarden Euro hinaus erhöht wird, ist auf Ende des Monats vertagt. Deutschland lehnt die Forderung vieler Euro-Staaten, der EU-Kommission und internationaler G20-Partner nach einer Aufstockung um mehrere hundert Milliarden Euro derzeit ab. Zunächst soll nun abgewartet werden, bis der Schuldenschnitt für private Gläubiger im Rahmen des zweiten Rettungspakets für Griechenland abgeschlossen ist.
Während sich etwa der schwedische Ministerpräsident Frederik Reinfeldt und Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann in Brüssel erneut für eine Aufstockung aussprachen, ging Merkel auf das Thema nicht ein. Die Bundesregierung würde dagegen lieber über eine schnellere Einzahlung in den ESM-Kapitalstock reden, damit der dauerhafte Rettungsschirm schneller voll einsetzbar ist. Die Beratungen der Euro-Finanzminister brachten dazu am Donnerstag aber noch keine Lösung.
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Die Euro-Finanzminister berieten bei ihrem Treffen auch über die nächsten Schritte zur Sanierung Griechenlands. In der vergangenen Woche hatten sie die Grundzüge des zweiten Rettungspakets beschlossen. Es umfasst öffentliche Kredithilfen über 130 Milliarden Euro und sieht einen „freiwilligen„ Forderungsverzicht privater Gläubiger Griechenlands in Höhe von 107 Milliarden Euro vor. Dafür musste das Parlament in Athen im Eiltempo neue Einschnitte und bisher versäumte Reformen verabschieden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble lobte „große Fortschritte“ des Landes und signalisierte die Freigabe der ersten 30 Milliarden Euro aus dem neuen Paket. Diese werden zur Absicherung des Anleihetauschs privater Gläubiger gebraucht.
Merkel traf sich am Rande des Gipfels auch mit dem Chef der griechischen Konservativen, Antonis Samaras, sowie dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti. Samaras hatte sich zuvor nach langem Zögern auf die Einhaltung von Strukturreformen und zur Sparpolitik verpflichtet.
Der auf Drängen Deutschlands eingeführte Fiskalpakt verpflichtet alle Staaten zu einer nationalen Schuldenbremse. Der Pakt soll am Freitag von den 25 der 27 EU-Staaten unterzeichnet werden, die ihn mittragen. Nur Großbritannien und Tschechien wollen außen vor bleiben. Mit dem Pakt sei die EU auf dem Weg zu einer engeren politischen Zusammenarbeit, sagte Merkel. „Damit ist der erste Schritt zu einer Stabilitätsunion gegangen, ein Schritt für eine politische Union.“
Zum Auftakt des Europäischen Semesters, das zur engeren Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitik im vergangenen Jahr eingeführt wurde, wollen die Staats- und Regierungschefs Leitlinien zu wachstumsfördernden Reformen und zur Haushaltskonsolidierung beschließen. Die Mitgliedstaaten müssen auf dieser Basis nationale Reformprogramme und einen ersten Haushaltsentwurf für 2012 der EU-Kommission vorlegen. Beim nächsten regulären Gipfel im Juni sollen die Pläne gebilligt werden. Konjunkturimpulse durch mehr staatliche Ausgaben lehnt die Bundesregierung ab. Europa müsse sich von der Idee verabschieden, Wachstum kaufen zu können. Der Weg führe stattdessen über Strukturreformen und eine gezielte Förderung bestimmter Branchen.
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Ein Thema am Rande des Gipfels war auch die Frage, ob Euro-Ländern erlaubt werden soll, wegen der schlechten Wirtschaftsentwicklung von den Defizitzielen in diesem Jahr abzurücken. Es wird damit gerechnet, dass Spanien seine bisherigen Zusagen nicht erfüllen wird. Die EU-Kommission muss entscheiden, ob sie dann Sanktionen nach dem Stabilitätspakt androht. Der finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen bezeichnete es als „völlig falsch“, die Ziele für die Haushaltsdefizite zu lockern. „Wir haben gemeinsame Regeln für jeden.“ (rtr/dpa)