Der Münchner Autobauer BMW führt jetzt die Oberklasse in Deutschland an. Audi setzt international erstmals mehr Fahrzeuge ab als Mercedes.
Hamburg. Achtung, Klischee: Wenn in den 1970er-Jahren ein Wackeldackel neben der gehäkelten Klopapierhülle mit 80 km/h über die Autobahn gefahren wurde, dann saß das nickende Geschöpf meistens auf der Hutablage eines Audi. Mit Lichthupe drängelt ein junger Mann in Lederjacke, er hat die linke Spur abonniert, in seinem BMW mit Spoiler. Im Mercedes, der sich von hinten dem Überholmanöver nähert, sitzt ein älterer Unternehmer. In der Überzeugung, in seiner S-Klasse ohnehin mit dem sichersten und teuersten Schlachtschiff auf deutschen Straßen unterwegs zu sein, hat er für das Gerangel nur ein müdes Lächeln übrig. Sein Stern auf der Kühlerhaube ist vor gut 30 Jahren das automobile Symbol für alle diejenigen, die es geschafft haben.
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+++ Hintergrund: Kooperationspartner des Autobauers BMW +++
Das war früher. In den 70er- und 80er-Jahren fuhr Mercedes den anderen deutschen Premiumanbietern klar voraus. Die Marke beherrschte die Dienstwagenflotte für die Vorstände. Und praktisch jedes Taxi trug den Stern auf der Kühlerhaube.
Für das Jahr 2011 ergibt sich beim Blick auf die automobile Oberklasse nach gestern gemeldeten Zahlen ein gänzlich anderes Bild. BMW ist mit 1,38 Millionen verkauften Fahrzeugen Weltmarktführer. Audi meldet einen Absatz von gut 1,3 Millionen und hat Mercedes damit erstmals beim weltweiten Absatz überholt. Für die Marke mit dem Stern entschieden sich 2011 weltweit 1,26 Millionen Käufer. Auch in Deutschland führen die Münchner die Liste der Luxushersteller an. Während im Zeitraum von Januar bis November gut 230 000 Audis und rund 260 000 Mercedes neu zugelassen wurden, überholte BMW in diesem Zeitraum die Stuttgarter mit der Rekordmarke von 270 000 Wagen.
+++ Deutsche Autohersteller sind auf Rekordfahrt +++
+++ In Detroit wird geklotzt und nicht gekleckert +++
"BMW ist Vorreiter bei Spritspartechniken und Innovationsführer beim Leichtbau, etwa durch die Verwendung von Carbon", begründet Frank Schwope von der Nord/LB, den Erfolg der blau-weißen Marke. Trotz des sportlichen Images habe BMW es geschafft, sich einen grünen Touch zu geben. Insider loben zudem die Formensprache des neuen BMW-Designers Adrian van Hooydonk. Vorstandschef Norbert Reithofer hat auch nicht vor, sich den Spitzenplatz abnehmen zu lassen: "Wir wollen auch in Zukunft der weltweit führende Premiumhersteller bleiben."
Mercedes dagegen hat schwere Zeiten hinter sich. Selbst in der Heimat Deutschland hat das Fabrikat starke Einbußen verkraften müssen. Qualitätsprobleme aus der Ära von Daimler-Chef Jürgen Schrempp verschreckten nicht nur Taxifahrer. Auch die missglückte Hochzeit mit Chrysler hat das Unternehmen stark zurückgeworfen. Den Kurs des Konzerns nach der Trennung zu korrigieren, hat Milliarden gekostet. Und Daimler muss nach wie vor daran arbeiten, die Kosten in den Griff zu bekommen. Bei BMW und Audi wird deutlich profitabler gearbeitet.
Ein nicht ganz so augenscheinlicher, aber unter Marketingprofis unumstrittener Wandel bei den Herstellern besteht im Image. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Wertmaßstäbe der Autokäufer verändert. Als Statussymbol haben iPhone oder iPad den Porsche abgelöst. Das Auto darf nicht zu protzig sein - und für viele jüngere Käufer bloß nicht zu groß, man will ja nicht als Umweltsünder gelten.
Darunter leiden die Autobauer, die mit solchen Argumenten geworben haben, besonders Mercedes. Für den Hersteller Audi, der beim Absatz stark zugelegt hat, zahlt sich nach Ansicht von Kommunikationsprofis mittlerweile weltweit aus, dass er nie auf die oberflächlichen Werte gesetzt hat, die im Premiumsegment häufig vertreten sind. "Audi hat weitgehend darauf verzichtet, mit klassischem Prestige, Status durch Macht oder Geltung (oder Geld) zu werben", sagt Torben Hansen, Geschäftsführer der Hamburger Werbeagentur Philipp und Keuntje, die seit 1999 für Audi arbeitet. Stattdessen würden die Modelle auch in ihrem Design durchgängig Sportlichkeit und Dynamik vermitteln. "Mit dem Claim Vorsprung durch Technik hat Audi bereits vor mehr als 25 Jahren sowohl produktseitig als auch kommunikativ den Startschuss für den Imagewandel gelegt", ist Michael Trautmann von der Werbeagentur kempertrautmann überzeugt. Die Kreativen aus Hamburg arbeiten ebenfalls für Audi.
Während Audi das Image verjüngte, sterben anderen Autobauern die Käufer nach und nach weg. Besonders bei Mercedes: In den Jahren 2000 und 2001 freuten sich die Stuttgarter in Deutschland über Absatzrekorde jenseits der 400 000er-Marke. Bis heute sind die Zulassungen auf unter 300 000 Wagen gesunken. Die Hoffnungen ruhen beim Mutterkonzern nun besonders auf dem Einstiegsmodell in die Mercedes-Welt: Im Frühjahr kommt die neue A-Klasse auf den Markt - nach Ansicht von Experten ist es einer der wichtigsten Produktstarts für Daimler. Zumal der kleine Mercedes Chancen bietet, für die Edelmarke mit den ältesten Fahrern mehr jüngere Kunden zu gewinnen.
Die Frage ist, ob Daimler für diese Zielgruppe gerüstet ist. Nach einer aktuellen Studie liegt Audi bei der Attraktivität für junge Leute klar an der Spitze der Premiumhersteller. BMW auf Platz zwei lassen die Ingolstädter weit hinter sich, Mercedes bildet das Schlusslicht. Wie schwer es ist, als Autobauer ein Spitzenimage aufzubauen und die Käufer zu überzeugen, mehr als üblich für ihre Mobilität auszugeben, zeigt der Phaeton, mit dem VW seit Jahren versucht, in die Liga der begehrten Dienstwagen vorzudringen. "Wenn Sie Phaeton fahren, werden Sie doch gefragt, ob Sie den Job verloren haben", witzelt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Laut Stefan Bratzel, Branchenkenner von der Fachhochschule in Bergisch Gladbach und Autor der Image-Studie, droht den Premiumherstellern grundsätzlich ein Käuferschwund: Bratzel warnt vor einer Entemotionalisierung des Autos. Warum mehr Geld für einen Luxuswagen ausgeben, wenn man mit einem günstigen fahrbaren Untersatz ebenfalls von A nach B kommt?
Und der Wandel der Prioritäten geht bei den Jüngeren sogar noch weiter: Bereits 20 bis 25 Prozent der 18- bis 25-Jährigen gaben in der Studie an, auf ein Auto zugunsten einer eigenen oder größeren Wohnung und Freizeitaktivitäten ganz verzichten zu wollen. In deutschen Metropolen, aber auch in Industrieländern wie Japan zeigt sich der Trend zum Haushalt ohne Auto heute schon deutlich. Daimler reagiert bereits auf den Trend und bietet mehrere Carsharing-Modelle an. In Großstädten wie Berlin und Hamburg verleitet darüber hinaus zeitweise ein neues Phänomen die Besitzer teurer Wagen dazu, ihr Schmuckstück lieber in der Garage zu verstecken, als über Nacht auf dem Bürgersteig zu parken: Fast jeden Morgen meldete die Polizei mehrere Brandanschläge auf Luxuswagen.
Zwar ruht die Hoffnung der Branche auf alternativen Antrieben, um das Image der individuellen Mobilität aufzupolieren. Doch Elektroautos sind noch zu teuer und wegen der geringen Reichweite wenig alltagstauglich. Forschung und Entwicklung rund um den spritsparenden Leichtbau mit Carbon wie etwa bei BMW oder die Brennstoffzelle bei Mercedes kosten Milliarden.
Noch immer gehören die Autobauer in Deutschland zu den größten Arbeitgebern. Wollen sie die mehr als 700 000 Jobs im Land erhalten, müssen sie sich angesichts der von ihrem einstigen Liebling gelangweilten, zum Teil sogar autokritischen Deutschen stärker im Ausland engagieren. In Schwellenländern wie China. Hier übt das Statussymbol Auto bei der markenverliebten Bevölkerung noch ein starken Reiz aus. Und BMW, Audi und Mercedes können mit deutscher Ingenieurskunst punkten, mit dem Siegel "made in Germany".
Für die VW-Tochter Audi ist China heute der größte Markt. "Es zahlt sich für Audi aus, dass sich VW schon seit 30 Jahren in der Volksrepublik engagiert", sagt Dudenhöffer. Auch als China noch kommunistisch war, ließ der damalige VW-Chef Carl Hahn schon Fahrzeuge im Reich der Mitte bauen. Gerade die Regierungsbeamten, die in China noch heute zur größten Zielgruppe für Luxushersteller gehören, sind mit Audis sozialisiert worden. Auch Daimler und BMW bauen derzeit ihre Präsenz in China weiter aus. Aber auch Wachstumsländer wie Russland, Indien oder Brasilien rücken stärker in den Fokus der Hersteller. Dort zeigt die aufstrebende Mittelschicht gerne ihr Geld mit einem Mercedes vor der Tür. So wie in Deutschland vor 30, 40 Jahren.