Aus für Traditionsfirma aus Osnabrück ist kein Einzelfall. Die Krise treibt Hunderte Zulieferer in die Pleite.

Osnabrück. Carlos Oliva (36) ist gerade von der Arbeit nach Hause gekommen. Er hat kurz nach seinem neun Wochen alten Sohn Samuel geschaut und setzt sich auf das Sofa vor der maisgelben Wand in seinem Wohnzimmer. 20 Jahre lang hat er bei Karmann gearbeitet, zuletzt in der Instandhaltung der Roboter. "Jetzt werde ich vielleicht zu denjenigen gehören, die die Tür für immer schließen", sagt Oliva. In den nächsten Tagen wird Olivas Meister durch die Werkshalle gehen, auf einzelne Kollegen zeigen, vielleicht auf ihn. Dann wissen sie Bescheid, wer gehen muss, so haben sie es verabredet, keine großen Worte.

"Für mich ist das schlimm", sagt Oliva. Er hat den kleinen Sohn, muss die Wohnung abbezahlen, seine Partnerin ist zu Hause. "Aber für meinen Vater", erzählt der junge Mann mit den braunen Augen leise, "bricht damit eine Welt zusammen."

Der heute 61-Jährige hat die Osnabrücker Traditionsfirma noch als das Vorzeigeunternehmen in Osnabrück kennengelernt, mit krisenfesten Jobs und guten Löhnen. Für Karmann hat er seine Heimat verlassen. In der Nähe von Lissabon ist er angesprochen worden, wie viele seiner Landsleute. Einmal, zweimal, bis sie zugesagt und ihre Familien verlassen haben, für die Arbeit in der Fremde. Heute werden sie nicht mehr gebraucht.

Die Karmänner, wie sie in Osnabrück genannt werden, die schon das einstige Kultmodell Ghia und zuletzt den Mercedes CLK gebaut haben, schließen ihre Fabriken. In Rheine läuft die Produktion des Audi A4-Cabrios aus, 1000 Stellen fallen weg. In Osnabrück müssen 1340 Beschäftigte gehen, der letzte Mercedes CLK wird hier im Mai vom Band laufen. Nach einer mehr als 100-jährigen Geschichte schließt die Firma nicht nur ihr Filetstück, die Fahrzeugproduktion. Auch das Gesamtunternehmen haben die Eigentümerfamilien Battenfeld, Boll und Karmann zum Verkauf gestellt.

Doch Karmann ist kein Einzelfall. Continental kündigte vor wenigen Tagen Werkschließungen an, der Autozulieferer Stankiewicz, der auch in Hamburg produziert und der Verdeckspezialist Edscha haben Insolvenz angemeldet, Schaeffler ruft nach Staatshilfen.

Die Unternehmensberatung Roland Berger geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass allein in Deutschland 20 Zulieferer in den vergangenen drei Monaten vom Markt verschwunden sind. Und dass noch Hunderte in aller Welt folgen. Bessere Nachrichten kommen von den Auftraggebern der angeschlagenen Autozulieferer: VW meldete für 2008 Rekordgewinne und Daimler war operativ immerhin noch mit 2,7 Milliarden Euro in den schwarzen Zahlen. Beide waren gute Karmann-Kunden.

Die Hersteller haben sich in guten Zeiten Polster zugelegt. Ihre Zulieferer waren damit in den meisten Fällen aber schon lange überfordert. Früher lebten sie gut davon, dass sie den Herstellern die Produktion von Nischenmodellen und Spezialaufträgen wie Cabrios abnahmen. Doch inzwischen ist das Verhältnis zwischen Autobauern und Zulieferern immer stärker von Knebelverträgen geprägt. "Wir müssen unsere Kosten komplett offenlegen, um ein Angebot zu bekommen", sagt Wolfram Smolinski, Betriebsratschef bei Karmann. Dann würden die Autohersteller die Preise so weit drücken, dass den Zulieferern, die Millionenbeträge in die Entwicklung neuer Technologien stecken müssen, kaum Luft zum Leben bleibt. Mehr als 1,5 Prozent Umsatzrendite akzeptierten viele Autohersteller bei ihren Lieferanten nicht, heißt es in der Branche.

"Das Geschäft ist für die Zulieferer zudem kaum noch berechenbar", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Essen/Duisburg. So musste Karmann das Erfolgsrisiko für das derzeit in Osnabrück produzierte CLK Cabrio bis auf eine geringe garantierte Absatzzahl komplett allein tragen. Die Fertigung läuft nun schon im Mai aus anstatt wie zuvor geplant im August, weil Daimler Verkaufsprobleme hat und nicht auf Halde fertigen will: Die Stellen muss nun Karmann streichen. Und nicht Daimler.

Auch bei der alten E-Klasse, die schlechter lief als erwartet, wollte Daimler plötzlich nicht mehr die Verträge mit den Zulieferern erfüllen. "Dann wird nachverhandelt", weiß Dudenhöffer.

Es ist der lange Schatten des früheren VW-Einkaufschefs Jose Ignacio López, der jetzt auf die Branche fällt. López hatte als knallharter Kostenkiller vor etwa 15 Jahren in der Branche neue Maßstäbe gesetzt in Sachen Preisdruck. "Zuletzt haben uns die Autobauer einfach ausgepresst", sagt Smolinski. Die Konkurrenz zwischen den Zulieferern im Rennen um die Aufträge führte dazu, dass die Belegschaften an verschiedenen Standorten gegeneinander ausgespielt werden.

Allerdings werde das "Preisdiktat" den Herstellern wahrscheinlich irgendwann selber schaden, glaubt Smolinski: Wenn immer mehr Zulieferer durch den hohen Druck wegfielen, könnten die Autobauer ihnen die Bedingungen nicht mehr diktieren. "Dann verschieben sich die Machtverhältnisse." Und es stehen nicht mehr wenige große Hersteller vielen kleinen Zulieferern gegenüber.

Problematisch ist das drohende Ende vieler Zulieferer allerdings auch für die Innovationsfähigkeit der deutschen Schlüsselindustrie Autobau, die zum Großteil auf dem Ideenreichtum der Zulieferer basierte.

Ganz anders hat der japanische Hersteller Toyota Techniktrends gesetzt: Der Hybridpionier setzte jahrelang auf ein eher partnerschaftliches Verhältnis zu seinen Lieferanten. "Toyota hat sich an die einmal gemachten Absprachen bei den Verträgen gehalten", sagt Dudenhöffer. Erst in der Krise begann Toyota, ebenfalls die Daumenschrauben für seine Hauptlieferanten wie beispielsweise Denso anzuziehen.

In der abgekühlten Beziehung zu den Herstellern denken auch die ersten Zulieferer um: Karmann will nun gemeinsam mit dem Oldenburger Energieversorger EWE ein Elektroauto entwickeln. Auf der Hannover Messe soll ein Prototyp vorgestellt werden. Die Serienfertigung dürfte allerdings noch in weiter Ferne liegen: Die Preise für solche emissionsfreien Autos sind für den Massenmarkt noch zu hoch. Für Carlos Oliva und Hunderte Kollegen in der Fabrik wird dieser Hoffnungsträger zu spät kommen.