Der Streit um die geplante Entlassung von rund 1400 Mitarbeitern des Cabrio-Spezialisten Karmann verschärft sich: Am Dienstag zogen rund 1000 Beschäftigte in Osnabrück vom Werksgelände zu den Privathäusern der Gesellschafter-Familien. Sie fordern Abfindungen.

Osnabrück. "Klingel doch mal!", ruft ein Karmann- Arbeiter seinem Kollegen zu. "Lass es", erwidert ein anderer. Wieder andere johlen und rufen. Zu Hunderten ziehen die Werksangehörigen durch den noblen Osnabrücker Stadtteil Westerberg, bis sie vor einem ockerfarbenen Altbau mit Turm stehen. Wenigstens vor zwei Privathäusern der Karmann-Gesellschafterfamilien Boll, Battenfeld und Karmann wollen die Mitarbeiter an diesem Tag protestieren. Die Stimmung unter den Demonstranten ist aufgeheizt.

"Diese bescheidene Hütte gehört Herrn Klaus Battenfeld", ruft der IG-Metall-Vertrauensmann Achim Bigus in sein Megafon. Für die Kameras rollen die "Karmänner" drei Transparente aus. Nach ein paar Minuten setzt der Pulk seinen Marsch fort. Nächstes Ziel: das Haus von Wilhelm Dietrich Karmann.

Eine Bemerkung Karmanns, der nicht nur Miteigentümer, sondern auch Mitglied der Geschäftsführung ist, brachte die Belegschaft auf die Palme. "Wir leben nur in etwas größeren Häusern und haben etwas bessere Anzüge", habe er bei einer Betriebsversammlung zu seinen Mitarbeitern gesagt, berichtet Betriebsratsmitglied Harald Klausing. Jetzt wollten sich die Mitarbeiter die etwas größeren Häuser eben einmal ansehen.

"Ohne Abfindung gehe ich nicht"

Seit vergangenem Donnerstag, als die Geschäftsführung den von Entlassung bedrohten 1400 Mitarbeitern zwar eine Transfergesellschaft anbot, sich zu einer Abfindungszahlung aber nicht bereit zeigte, schlägt die Empörung im Osnabrücker Stammsitz hohe Wellen.

Bei Karmann herrscht Ebbe in der Kasse. Auch die 30 Millionen Euro für eine Transfergesellschaft müsste das Unternehmen per Kredit finanzieren. Wenn das Geld für Abfindungen nicht aus dem laufenden Geschäftsbetrieb kommen könne, müssten die Gesellschafter eben aus ihrem Privatvermögen noch was drauflegen, fordern die Arbeitnehmer schon seit Monaten.

"Ohne Abfindung gehe ich nicht in die Transfergesellschaft", sagt Christine Yenizeri (56). Wenn sie sich zu diesem Schritt entscheide, verliere sie sämtliche Rechte. "Ich habe sieben Monate Kündigungsfrist", sagt sie. Damit spielt sie auf das Pfund an, mit dem sie und ihre Kollegen noch wuchern können.

50 Millionen Euro für Abfindungen

Das Unternehmen muss die Aufgabe des Fahrzeugbaus recht schnell über die Bühne bringen. Sollte es keine Einigung über einen Sozialplan geben, müsste Karmann bis in den Herbst hinein Lohn und Gehalt weiter bezahlen - obwohl keine Einnahmen mehr hereinkommen. Im Mai verlässt das letzte Mercedes CLK Cabrio die Werkshallen. Anschlussaufträge gibt es nicht.

Die Zahlung der Abfindung für die betroffenen Mitarbeiter würde die Gesellschafterfamilien Boll, Battenfeld und Karmann 50 Millionen Euro kosten, sagt Klausing. "Das können die schultern", gibt sich der Ex-Betriebsratsvorsitzende überzeugt. Besonders die Tatsache, dass ihre Kollegen im benachbarten Rheine mit einer Abfindung nach Hause geschickt würden, empöre seine Kollegen. Dort lief am vergangenen Freitag das letzte Audi A4 Cabriolet vom Fließband. Der Sozialplan für dieses Werk war bereits im Sommer ausgehandelt worden.

Seit vergangenem Freitag ruht auch die Autoproduktion in Osnabrück. Ein offizieller Streik ist es nicht. Auch der Betriebsratsvorsitzende, sein Stellvertreter und der Osnabrücker IG-Metall-Chef beteiligen sich nicht an dem Protestzug. "Die Mitarbeiter, die weiter ihre Arbeit machen, werden auch bezahlt", formuliert ein Unternehmenssprecher diplomatisch. Die ausgefallene Produktion werde nachgeholt.