Kein anderer Spitzenmanager in Deutschland hat so viele Feinde wie der 66-Jährige. Jetzt wenden sich langsam auch noch die Unterstützer ab. Es kann sein, dass Mehdorn auch diese Affäre übersteht, obwohl die Wahrscheinlichkeit dieses Mal geringer ist als sonst. Bilder von Bahnchef Mehdorn

Hamburg. Man könnte natürlich mal Frau Schaeffler fragen, ob sie den Job machen will. Immerhin bittet sie den Staat ja auch um finanzielle Hilfe für ihr zitterndes Unternehmen. Oder Heinrich von Pierer, als Wiedergutmachung für den Korruptionssumpf bei Siemens. Oder Gerhard Schröder. Der hat Hartmut Mehdorn als Chef der Deutschen Bahn im Jahr 1999 schließlich eingestellt. "Der zweitverrückteste Job der Republik" sei der Posten des Bahnchefs, gleich nach seinem eigenen, sagte der Kanzler damals. Respekt: Schröder hat nur sieben Jahre durchgehalten. Hartmut Mehdorn bereits mehr als neun. Es kann sein, dass Mehdorn auch diese Affäre übersteht, obwohl die Wahrscheinlichkeit dieses Mal geringer ist als sonst. Zu gewaltig ist die Dimension der Massenbespitzelungen von Mitarbeitern bei der Deutschen Bahn, die angeblich der Korruption vorbeugen sollten. Aber Mehdorn besitzt eine Art natürlichen Schutz: Das Problem Mehdorn ist nicht allein Mehdorn, sondern vor allem, dass kein anderer hineindrängt in sein Büro im 25. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz in Berlin. Wer will das schon, für schlappe zwei bis drei Millionen Euro Gehalt im Jahr der Spucknapf der Nation sein, auf der Beliebtheitsskala irgendwo zwischen Peter Hartz und Berti Vogts? Es gibt nur einen, der das richtig gern macht: Hartmut Mehdorn, laut seiner Selbstauskunft "ein robustes Kerlchen".

Mehdorn hat sich enorm lange gehalten im Hexenkessel Bahn. Er hat aus der bräsigen Bundesbehörde eines der besten Schienenverkehrsunternehmen der Welt gemacht. Glücklich, wer in einen deutschen Zug einsteigen darf, anstatt in einen englischen einsteigen zu müssen. Mit Wonne hat Mehdorn versucht, Preiserhöhungen gegen 80 Millionen Deutsche durchzudrücken, Sturmangriffe aufs Portemonnaie, die er nach freundlichen Hinweisen aus dem Kanzleramt stoppen musste. Mit Verve verteidigte er ein Tarifsystem, das dem Labyrinth des Minotaurus nachempfunden war, oder auch die Abschaffung des Gassenhauers Bahncard 50. Beide Entscheidungen musste er am Ende kippen. Mehdorn überstand entgleiste Züge und entgleiste Mitarbeiter, Risse in ICE-Radachsen und eine Schafherde vor einem Tunneleingang. Er überlebte im Amt vier Verkehrsminister und Manfred Schell, den früheren Chef der Lokführergewerkschaft GDL, die Ende 2007 im "Wahn-Streik" halb Deutschland lahmgelegt hatte.

Auch sein Lieblingsziel erreichte er nicht: Der von ihm heiß ersehnte Börsengang wurde im vergangenen Herbst abgesagt, verschüttet vom Erdbeben der Weltwirtschaftskrise. Das könnte entscheidend dazu beitragen, dass Mehdorn dieses Mal tatsächlich fällig ist. Denn der 66-Jährige hat etwas geschafft, was nicht mal Erich Mielke bei der Stasi gelang: Er hat sie alle überprüfen lassen, alle Menschen in seinem Einzugsbereich; im Jahr 2005 waren das immerhin 220 000 Bahnmitarbeiter.

44 Aufträge habe das Sicherheitsunternehmen Network von der Bahnspitze bekommen, die meisten davon offenbar mündlich, sagte ein Mitglied des Bundestags-Verkehrsausschusses dem Abendblatt. Nur eine Handvoll sei bislang bekannt, unter Codenamen wie "Babylon, "Uhu" oder "Traviata", darunter auch die Totalbespitzelung im Jahr 2005. "Niemand außerhalb des Konzerns weiß bislang, was da genau aufgeklärt worden ist", sagte der Verkehrspolitiker, "aber wir haben Indizien dafür, dass zum Teil sehr verletzend gegen Mitarbeiter vorgegangen wurde."

Es könnte Mehdorn diesmal den Job kosten, denn er wird als oberster Prellbock des Landes nach der Stornierung der Börsenpläne nicht mehr so dringend gebraucht. Und er hat keinen Schröder mehr im Kanzleramt, sondern eine Merkel. "Das Netzwerk Mehdorn wird dünner, der Rückhalt schwindet, seit die Große Koalition in Berlin regiert", sagte Horst Friedrich, Verkehrsexperte der FDP im Bundestag, dem Abendblatt. "Für Mehdorn als Bahnchef muss jetzt Schluss sein, sonst stellt sich die Regierung selbst in die Schusslinie." Noch allerdings ist die Jagd nicht eröffnet. Nur wenige Politiker, darunter der SPD-Lautsprecher Dieter Wiefelspütz, erheben bislang Rücktrittsforderungen gegen den Bahnchef. Noch scheint das Netzwerk Mehdorn in wesentlichen Teilen zu funktionieren. "Dazu möchte ich nichts sagen", sagte ein Hamburger Bahngewerkschafter. "Unser Vorstand ist im Aufsichtsrat der Bahn eng eingebunden - das ist eine hoch politische Sache." Auch die drei Bahngewerkschaften halten sich mit Rücktrittsforderungen bislang zurück. Man dringe auf eine rasche Aufklärung bei einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung, möglichst schon am 11. Februar, heißt es bei der Gewerkschaft GDBA in Frankfurt. An der Basis rumore es, die Mitarbeiter seien "verärgert, entrüstet und verängstigt" vor allem darüber, dass persönliche Daten womöglich nach außen weitergegeben wurden.

Es bleibt einstweilen völlig rätselhaft, warum Mehdorn seinen Mitarbeitern die jahrelange Rasterfahndung antat. Die Mitarbeiter der Bahn sind das stärkste Fundament des Vorstandsvorsitzenden. Vor allem die Gewerkschaften Transnet und GDBA hielten bei allen Rückschlägen und Erschütterungen der vergangenen Jahre letztlich immer zu ihm, bei der Modernisierung des angerosteten Konzerns ebenso wie bei der Vorbereitung des Börsengangs. Mehdorn wiederum blieb immer ein Mann der Basis. "Er ist immer bodenständig geblieben, er verkörpert genau das Gegenteil dessen, was man sich üblicherweise unter einem Manager vorstellt", sagt ein Bahnmitarbeiter, der den Konzernchef gut kennt.

Permanent ist Mehdorn in seinem Unternehmen unterwegs, unablässig preist er die Vorzüge des Bahnfahrens, verteidigt er seine Mitarbeiter gegen die Attacken ihrer chronisch unzufriedenen Kundschaft. Mehdorn ist ein Mann ohne Allüren. Im Hobbykeller steht er gern am Amboss und schmiedet, und genau so verrichtet er auch seine Arbeit. Bei Gelegenheit steht er nach Feierabend mit anderen schon mal gern beim Bier, lacht über deftige Witze und schimpft wie ein Kesselflicker über unfähige Politiker und Manager. Für Mehdorn ein weites Feld.

Der Bahnchef ist authentisch, das genaue Gegenteil des einstigen Mustermanagers Klaus Zumwinkel, auch er ein erfolgreicher Sanierer eines Bundeskonzerns, der Post. Zumwinkel führte als Steuerhinterzieher ein Doppelleben, Mehdorn ist bis heute frei von ähnlichen Sündenfällen. Wenn es einen gäbe, wäre er längst publik. Kein anderer Manager in Deutschland hat so viele Feinde wie der Rambo in Berlin-Mitte.

Instinkt und politische Feinfühligkeit fehlen im Werkzeugkasten des Maschinenbauingenieurs. Die Hebelwirkung der Spitzelaffäre hat er auf fatale Weise falsch eingeschätzt. "Er will nicht wahrhaben, dass da zumindest ein moralisches Unrecht in erheblichem Ausmaß besteht", sagt ein Insider. "Unrechtsbewusstsein im juristischen Sinne kommt bei ihm erst recht nicht auf, weil die Gesetzeslage völlig diffus ist." Bei der Preisgabe der Affäre bleibt sich Mehdorn treu, er schaltet auf Attacke, gibt nur das zu, was er offensichtlich nicht mehr leugnen kann. "Der ist ein Kämpfertyp, der auch dann weiter angreift, wenn er null zu drei zurückliegt", sagt ein Gewerkschafter in Berlin.

Möglich, dass Hartmut Mehdorn in den kommenden Wochen kippt. Ziemlich unwahrscheinlich, dass die Bahn danach öfter pünktlich fährt oder billiger wird. Ganz sicher ist hingegen: An Mehdorns Unterhaltungswert reicht kein amtierender Manager in Deutschland heran. Da müsste Angela Merkel tatsächlich Gerhard Schröder verpflichten.