Übernahme statt Staatspapiere: Chinesen stecken Exportgewinne bevorzugt in deutsche Unternehmen. Mittelstand dabei besonders beliebt.

Frankfurt/Main. Steht die deutsche Industrie vor einer Übernahmewelle durch chinesische Investoren? Zumindest erwartet die Düsseldorfer Unternehmensberaterin Yi Sun für die kommenden Jahre eine stetig steigende Zahl von Transaktionen im bislang noch schleppenden Geschäft von Fusionen und Übernahmen.

Deutsche Firmen wie auch der gesamte Standort stünden bei hochrangigen Unternehmens-Managern in China besonders hoch im Kurs, lautet das Ergebnis einer am Mittwoch von Sun in Frankfurt vorgestellten Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young.

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Bislang waren die Aktivitäten der Chinesen in Deutschland durchaus überschaubar. Deutschen Investitionen in China von rund 22 Milliarden Euro im Zeitraum 2005 bis 2010 standen gerade mal 775 Millionen Euro in umgekehrter Richtung gegenüber, klagt etwa Siemens-Chef Peter Löscher als Chef des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. „Das ist keine Invasion, das ist ein leichtes Anklopfen“, lautet sein Fazit.

Direktinvestitionen aus China seien nicht schädlich, sondern im Gegenteil gewünscht, wirbt auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und hält den Verantwortlichen fast provinzielle Vorbehalte vor. Tatsächlich dienten chinesische Investoren bei Insolvenzen und geordneten Übernahmen bislang eher als Schreckgespenst für widerborstige Gewerkschafter und Gläubiger.

Dem deutschen Misstrauen und der Angst um Arbeitsplätze standen auf chinesischer Seite Hindernisse wie fehlende Expertise und umständliche Genehmigungsverfahren gegenüber. In etlichen Bieterverfahren stiegen Interessenten aus, weil sie Finanzierungszusagen ihrer Zentralregierung nicht rechtzeitig vorlegen konnten. Dabei sitzen die Chinesen bei anhaltenden Exportüberschüssen auf einer Devisenreserve von mehr als 3,2 Billionen US-Dollar.

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Der bekannteste der wenigen bislang geglückten Deals in Deutschland ist wohl die Übernahme des Aldi-IT-Lieferanten Medion durch Lenovo , der sich damit einen besseren Marktzugang in Europa auf dem Weg zum weltgrößten PC-Hersteller erkauft hat. Respektable Maschinenbauer wie die Pumpenhersteller Putzmeister und Schwing sind inzwischen ebenfalls in chinesischen Händen – wie auch eine kleine, aber feine Reihe von Autozulieferern mit KSM Castings, Preh, Sellner, Saargummi oder zuletzt dem Weltmarktführer für Schließsysteme, Kiekert, im rheinischen Heiligenhaus.

„Die Innovationskraft mittelständischer Autozulieferer hat es den Chinesen sehr angetan“, sagt die Ernst & Young-Fachfrau Sun. Dabei gehe es längst nicht mehr um plumpen Technologie-Transfer. „Sie verstehen sehr genau, dass sie die Firmen mit ihren kompetenten Mitarbeitern erhalten müssen, sonst geht der Vorsprung in kurzer Zeit verloren.“ Ein zentrales Ziel der chinesischen Zentralregierung sei der Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Kfz-Industrie.

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Laut der Umfrage unter 400 chinesischen Managern liegt Deutschland als Investitionsstandort hinter China und den USA weltweit auf Platz 3. Wertgeschätzt würden die Infrastruktur, politische wie ökonomische Stabilität oder die hohe Produktivität und Innovationskraft. Das stärkste Euro-Land ist auch bei 63 Prozent erste Wahl, wenn es um den Standort eines Europasitzes geht. In Düsseldorf sitzen die Stahlkonzerne, in Hamburg die Logistiker und im Rhein-Main-Gebiet Elektroriesen wie Huawei oder Haier. Mit 158 Ansiedlungsprojekten lagen chinesische Investoren im vergangenen Jahr weit vor den USA an der Spitze, wie Germany Trade & Invest berichtet.

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet ein lebhafteres Übernahmegeschäft. „Deutschland als Absatzmarkt, aber auch die Erfahrungen deutscher Unternehmen passen zu dem, was Chinas Wirtschaft schon jetzt ausmacht“, sagt Außenwirtschaftsexperte Ilja Nothnagel. Neun Prozent der befragten Unternehmen, die in Deutschland investieren wollten, bekannten sich offen zu geplanten Zukäufen, teilte Ernst & Young mit.

Weitere 56 Prozent gaben an, zunächst an Joint Ventures interessiert zu sein, was aber durchaus als höfliche fernöstliche Untertreibung gelten kann. Inzwischen, so versichert die Unternehmensberatung, habe Peking die Vergabe der notwendigen Devisen beschleunigt und für kleinere Beträge dezentralisiert. Zudem zögen sie bei den Deals zunehmend externe Berater hinzu. Gut für Frau Sun.