Der Kampf um die Ausbildungsplätze hat längst begonnen, in zahlreichen Firmen ist er sogar schon entschieden. “Wir haben die neuen Auszubildenden...
Der Kampf um die Ausbildungsplätze hat längst begonnen, in zahlreichen Firmen ist er sogar schon entschieden. "Wir haben die neuen Auszubildenden bereits ausgesucht", sagt Volker Heinsohn, bei der HypoVereinsbank zuständig für den Bereich Ausbildung.
Als sie das hören, blicken die Schüler der 9f an der Gesamtschule Wilhelmsburg erstaunt auf. "Ich dachte, man bewirbt sich, wenn man den Abschluss in der Tasche hat", sagt Yesim (14). Um solche Irrtümer aufzuklären und den Jugendlichen Tipps für die Berufsfindung zu geben, haben sich Carsten Dieck, Direktor der HypoVereinsbank, Uta Bendixen, Ausbildungsleiterin bei der Axel Springer AG in Hamburg und Volker Heinsohn mit den Schülern zusammengesetzt. "Ich stelle immer wieder fest, wie groß die Orientierungslosigkeit der Jugendlichen ist", sagt Dieck, selbst Vater zweier Söhne. Die HypoVereinsbank beteiligt sich mit 100 Abos an der Patenaktion des Abendblatts, die zum Ziel hat, Schüler für aktuelle Themen zu interessieren und durch regelmäßige Zeitungslektüre ihre Lesekompetenz zu stärken. Zwei der Abos hat die Bank der Gesamtschule Wilhelmsburg spendiert.
Dass ihre Schüler es schwer haben auf dem Ausbildungsmarkt, weiß Schulleiterin Dörte von Wolffradt und sie redet nicht um den heißen Brei herum: "Vielen unserer Schüler fehlt der Antrieb, das ist unser großes Problem", sagt sie. Viele Eltern seien ohne geregelte Arbeit, es mangele an Unterstützung. 80 Prozent der über 900 Schüler haben ausländische Wurzeln, "an unserer Schule werden 30 Sprachen gesprochen", sagt von Wolffradt. Ohne qualifizierten Schulabschluss sinken die Chancen ihrer Schüler auf dem Arbeitsmarkt gen null. Auch deshalb steht das Fach Berufsorientierung auf dem Stundenplan. "Realschulabschluss ist bei uns Voraussetzung", erklären sowohl Heinsohn wie Bendixen. Bewerbungen von Hauptschülern seien zwecklos. Besonders für Heinsohn ist auch die Kontaktfreudigkeit der Bewerber wichtig: "In der Bank hat man viel Kundenkontakt." "Aber wenn Sie auf Kundenkontakt achten, schafft das nicht auch ein Hauptschüler?", fragt Yvonne (14). "Das Problem kommt dann in der Berufschule", entgegnet Heinsohn, "die ist hart". Klassenlehrerin Friederike Scheller empfindet die strikte Auslese als ungerecht: "Wenn ich mir meine Schüler angucke, die werden den Hauptschulabschluss machen. Aber ihre sonstigen Kompetenzen, ihre Eigenständigkeit, das wird gar nicht wahrgenommen."
Ihr Kollege Volker Weyland unterrichtet die 9f zwei Stunden pro Woche im Fach Berufsorientierung. Bei einigen hat er festgestellt: "Die möchten gleich den weißen Kittel anziehen und nicht den blauen - da fehlen die Voraussetzungen. Die Zeugnisse geben den Ausschlag."
Auch Yvonne möchte irgendwann einen weißen Kittel anziehen. "ich möchte tiermedizinische Fachangestellte werden", sagt die Schülerin, die den Realschulabschluss anstrebt. "Bei Yvonne bin ich optimistisch", sagt Weyland lächelnd.
Auch Yesim hat Pläne. Sie hat gerade ein Schülerpraktikum in einem Kindergarten absolviert. "In der Schule bin ich manchmal sehr flippig und vorlaut. Im Kindergarten musste ich ein Vorbild sein", erzählt sie. Sie könne sich auch vorstellen, später in diesem Bereich zu arbeiten, sagt sie, "aber ein Hauptschulabschluss reicht da wahrscheinlich nicht." Auch sie hat durchaus das Potenzial für einen Realschulabschluss, darin sind sich Klassenlehrerin und Schulleiterin einig. "Sie hat große Kapazitäten in Mathe", sagt von Wolffradt, "ich traue ihr das zu". Doch einige in der Klasse sind völlig ratlos, welche Richtung sie ansteuern sollen. "Viele haben noch große Angst vor dem Berufsleben", so die Schulleiterin.
Carsten Dieck hält für entscheidend, dass die Jugendlichen überlegen, was sie wirklich interessiert, wofür sie sich begeistern können: "Ich denke, das ist ein möglicher Ansatz, sich beruflich zu orientieren. Man muss gucken, ob man aus dem, was man gern macht, einen Blumenstrauß zusammenstellen kann, der zu einem Beruf hinführt."