Hamburg. Die Hamburger unterliegen im Duell mit Vorjahresaufsteiger 1. FC Heidenheim unglücklich. Weswegen die Fans trotzdem klatschten.

Es gibt gefühlte Wahrheiten und faktische. Dann gibt es den FC St. Pauli. Für dessen Fans die einzige Wahrheit. Theoretisch passten am späten Sonntagnachmittag daher zwar trotzdem nur 29.546 Zuschauer ins Millerntor-Stadion. Gefühlt huldigten im Kieztempel zur Rückkehr in die Bundesliga gegen den 1. FC Heidenheim aber weitaus mehr Anhänger, obwohl es praktisch, dem Auswärtsblock sei Dank, sogar nur 29.157 waren. Die Tribünen wirkten dennoch ein wenig gepackter als sonst, das Fahnenmeer welliger, der Einlauf zu den „Hell‘s Bell‘s“ lauter.

Die höllisch gute wie fiese Erkenntnis zugleich 90 Spielminuten, nachdem die Ultras die Saison mit der ebenso schlichten wie treffenden Bannerbotschaft „Zurück in Liga eins“ eröffnet hatten: St. Pauli ist wahrhaft in der Bundesliga angekommen. Was das bedeutet, wurde dem Kiezclub allerdings auch direkt gewahr. Eine gefühlte Überlegenheit bringt hier gar nichts, kleinste Fehler hinten und Schlampigkeiten vorne werden unbarmherzig bestraft. Der Willkommensakt im Oberhaus endete mit einer 0:2 (0:0)-Niederlage, nach der sich die Menschen auf den Tribünen nahezu ausnahmslos erhoben, um dennoch Beifall zu spenden.

FC St. Pauli verliert zum Auftakt in die Bundesliga gegen den 1. FC Heidenheim

„Wir sind enttäuscht, aber es ist eine gute Enttäuschung. Wir haben gut gespielt und hätten auch gewinnen können. Wir haben gezeigt, wie wettbewerbsfähig wir sein können“, sagte Kapitän Jackson Irvine. „Wir müssen aber gnadenloser vor dem Tor sein.“

Mit dem Publikum im Rücken hatten die Hamburger auch entsprechend schwungvoll begonnen und versucht, proaktiv das Spiel zu machen. Bei gegnerischem Ballbesitz gingen sie, wie vom neuen Cheftrainer Alexander Blessin gewünscht, drauf. Mitunter zu hart. Schon in der 18. Minute sah Irvine, der am Sonnabend seinen Vertrag vorzeitig verlängert hatte, die erste Gelbe Karte des FC St. Pauli in der Bundesliga seit 13 Jahren – allerdings wegen Meckerns.

Die erste Großchance seitdem folgte auf den Fuß, den starken linken von Connor Metcalfe (20.). Auf Ablage von Stürmer Johannes Eggestein verfehlte der Australier das Tor von der Strafraumkante aus nur knapp links. Überhaupt agierte Metcalfe viel stärker als noch im DFB-Pokalspiel in Halle (3:2 nach Verlängerung), mit ihm die gesamte Mannschaft, die das Pressing deutlich konsequenter umsetzte. Immer funktionierte es freilich noch nicht, wenn, dann wurde es aber zumeist gefährlich.

Metcalfe vorn aktiv, Mets hinten stark, aber keine Tore

Aus solch einem Ballgewinn heraus hätte Metcalfe, ebenfalls gerade erst verlängert worden, dann aber das Führungstor erzielen müssen. Diesmal auf Flanke des zweiten Angreifers, Morgan Guilavogui, kam Metcalfe kurz vor dem Fünfmeterraum frei zum Abschluss. Gefühlt war der Ball schon drin. Faktisch packte sich Heidenheims Torwart Kevin Müller, der in seinem ulkig gelben Trikot aussah wie ein Kreisliga-Schiedsrichter, die wenig druckvolle Direktabnahme (30.).

Erkenntnisse der ersten Halbzeit: St. Pauli spielt immer noch Bundesliga und lässt dort defensiv gegen zugegebenermaßen weitgehend zurückhaltende Heidenheimer wenig anbrennen. Was dem eigenen Strafraum doch mal nahe kam, wurde zur Beute von Karol Mets. Gefühlt, wenn er sich für eine erfolgreiche Grätsche feiern ließ wie für den Gewinn des Zweitligatitels, wie auch faktisch, was eine Zweikampfquote von 100 Prozent (fünf von fünf) nachweist.

St. Pauli vergibt Großchancen en masse, Heidenheim kontert sich zur Führung

Erstes Theorem nach dem Seitenwechsel: Die Chancenverwertung der Gastgeber ist noch nicht erstklassig. Sowas kann in jeder Liga schmerzhafte Gefühle hervorrufen. Wie Guilavogui freistehend links am Tor vorbei köpft (47.); wie Lars Ritzka aus gut fünf Metern den Ball mit dem Schienbein statt dem Fuß trifft und daher verzieht (55.); wie erneut Guilavogui nach australischer Kombination von Metcalfe und Irvine knapp neben die Flanke segelt (63.). Und wie schließlich Hauke Wahl Müller aus einem Getümmel heraus anschießt (66.).

Was folgte, war eine uralte Fußball-Wahrheit. Das Gefühl beim unmittelbaren Konter der Gäste, den St. Pauli zu schlecht absicherte, war so stark, es war zum Fakt geworden, längst bevor Paul Wanner am Ende der Drei-gegen-Drei-Situation Nikola Vasilj überwunden hatte (66.). „Heidenheim hat das mit seiner Geschwindigkeit brutal ausgenutzt. Das war der Knacks im Spiel“, sagte Eggestein. „So eine Geschwindigkeit immer zu verteidigen, ist schwierig. Wir müssen vorne besser abschließen, damit so eine Situation gar nicht erst entsteht.“

Vorentscheidung in der Schlussphase nach schlechter Zuordnung

Die Fans reagierten darauf mit noch lauteren Gesängen. Und Blessin? Wartete weitere zehn Minuten, ehe per Dreifachwechsel eine aktive Änderung vornahm, dabei aber defensiv an der 3-5-2-Grundordnung festhielt. Durchaus verständlich: Seine Mannschaft hatte die Begegnung bis dato weitgehend bestimmt, hätte die Führung verdient gehabt.

Die Wahrheit auf der Anzeigetafel sprach eine andere Sprache und animierte das Publikum, die Braun-Weißen noch lautstärker unter die Arme zu greifen beziehungsweise, um die Köpfe nach oben zu richten. Der Vorjahresaufsteiger erhöhte nämlich durch Jan Schöppner nach einer Ecke, bei der die Zuordnung und Keeper Vasilj unglücklich wirkten, auf 2:0 (82.).

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St. Pauli schrieb das Match nicht ab und orientierte sich weiter offensiv. Dafür gab es Sprechchöre. Was fürs Gefühl. „Ich bin gar nicht so niedergeschlagen, weil ich gemerkt habe, dass wir gute Szenen und gute Ballbesitzphasen hatten. Wir konnten mehr als mithalten und hätten das Spiel in Momenten für uns entscheiden können“, sagte Eggestein. Der Auftritt am ersten Spieltag verheißt aber null Punkten zum Trotz, dass diese Mannschaft in die Bundesliga gehört. Das ist die Wahrheit.

FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Ritzka (76. Saliakas), Wagner (76. Boukhalfa), Irvine, Metcalfe (84. Saad), Treu – Eggestein, Guilavogui (76. Afolayan).
1. FC Heidenheim: Müller – Traoré (90.+2 Busch), Mainka, Gimber, Föhrenbach – Maloney, Schöppner – Beck (62. Pieringer), Wanner (81. Honsak), Scienza (62. Conteh) – Breunig (79. Kerber).
Tore: 0:1 Wanner (66.), 0:2 Schöppner (82.). Schiedsrichter: Jablonski (Bremen). Zuschauer: 29.157. Gelbe Karten: Irvine, Wagner – Maloney, Traoré, Gimber. Statistiken: Torschüsse: 11:6; Ecken: 4:2; Ballbesitz: 58:42 Prozent; Zweikämpfe: 91:78; Laufleistung: 118,1:116 Kilometer.