Hamburg. Oke Göttlich spricht im exklusiven Abendblatt-Videopodcast „Millerntalk“ über die Bundesliga, den Kader, die DFL und Doppelmoral.
Der FC St. Pauli ist ein basisdemokratisch geführter Verein. Die Amtszeit seines Präsidenten erreicht dagegen langsam – Achtung, Ironie – autokratische Züge. Zehn Jahre wird Oke Göttlich im November dieses Jahres schon an der Spitze der Hamburger stehen, seit zwei Jahren arbeitet er hauptamtlich. Premieren erlebt der langjährige Musikmanager trotzdem immer wieder. Seine wichtigste: die als Präsident eines Bundesligisten am Sonntag (17.30 Uhr) im Millerntor-Stadion gegen den 1. FC Heidenheim.
Zuvor nahm sich der 48-Jährige ausführlich Zeit, um im Abendblatt-Videopodcast „Millerntalk“ über die anstehenden Herausforderungen und die Lage der Fußballwelt zu sprechen. Wie es sich für einen waschechten Demokraten gehört, kam Göttlich ganz entspannt in der Redaktion vorbei, anstatt im diktatorischen Stil zur Audienz ans Millerntor zu bitten.
FC St. Pauli: Präsident Oke Göttlich im Abendblatt-Videopodcast „Millerntalk“
Er sei ja auch kein „weißer Ritter“, der sich aufschwinge, den deutschen Fußball zu revolutionieren. Im Grunde genommen, das wird im rund einstündigen Interview deutlich, ist Göttlich vor allem eines: ein riesiger Fan des FC St. Pauli. „Dieser Verein ist mir seit mehr als 30 Jahren ans Herz gewachsen. Es klingt fast ein wenig kitschig, aber ich habe ihm viel zu verdanken“, sagt der Hamburger.
Daher investiert er auch gewaltig. Zeit, Leidenschaft und, ja, auch Geld des Vereins, um die Braun-Weißen möglichst in der Bundesliga zu etablieren. Dass manchem Fan die Höhe der Ausgaben für die Mannschaft nach dem Aufstieg zu gering erscheint, ist Göttlich bewusst. Er wirbt jedoch um Verständnis dafür.
Göttlich: „Wir sind ein Aufsteiger, aber kein Bundesligist“
„Wir sind ein Aufsteiger, aber kein Bundesligist“, sagt der zweifache Vater mehrmals. Damit ist gemeint: Ein mitgliedergeführter Verein befindet sich im Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten, die durch andere Geschäftsformen Zugang zu lukrativeren Kapitalzufuhren erhalten. „Für uns ist es eine riesige Leistung, das Miteinander und Gemeinwohl zu fördern, unsere sozialen Aktivitäten zu leben, und dabei eine Antwort auf die natürlichen Limitierungen zu finden“, sagt Göttlich.
Zusätzliche Einnahmen können nur schwerlich aus dem Millerntor-Stadion sprudeln – zumindest, solange die geplante Genossenschaft noch nicht gegründet ist –, als innerstädtische Spielstätte ist ein Ausbau nahezu unmöglich, der Name unverkäuflich. Als „gläserne Decke“ bezeichnet Göttlich das. Daher muss sich St. Pauli auf das investitionsteuerste, zugleich aber renditestärkste Kerngeschäft fokussieren: Transfererlöse.
Transfererlöse stiegen binnen zehn Jahren von drei auf 30 Millionen Euro an
„Als ich vor zehn Jahren begonnen habe, hatten wir in 104 Jahren Vereinsgeschichte bummelig drei Millionen Euro umgesetzt. In der zurückliegenden Dekade waren es knapp 30 Millionen Euro. In dieser Größenordnung müssen wir uns weiterentwickeln, um ein sicherer Arbeitgeber zu bleiben und uns als Bundesligist zu etablieren“, betont Göttlich.
Zwar regnet ein erstklassiges TV-Geld von mehr als 33 Millionen Euro quasi vom Himmel, nebst der Bezüge von rund zwei Millionen Euro jährlich aus dem Deal mit Puma. Aber: Die Kostenstrukturen wachsen in fast gleichem Umfang mit. Zudem muss St. Pauli Rückzahlungen aus der Corona-Zeit leisten. Ein positives Jahresergebnis müsse das Ziel bleiben.
Alles Geld in die Mannschaft des FC St. Pauli stecken? Eine Milchmenschenrechnung
Nach den Verkäufen des ehemaligen Cheftrainers Fabian Hürzeler und von Talent Eric da Silva Moreira, die insgesamt einen hohen siebenstelligen Betrag einbringen dürften, zu fordern, alles Geld wieder in den Kader zu stecken, sei eine „Milchmenschenrechnung. Es geht ja auch darum, wann die Einnahmen vollzogen werden, bis zum 30. Juni oder ab dem 1. Juli; welche Relevanz sie auf die Bilanz haben; und was steuerlich erlaubt ist. Aber wir bewegen uns bei den prozentualen Ausgaben für die Mannschaft im ligaüblichen Umfeld zwischen 30 und 50 Prozent des Gesamtumsatzes.“
All das zeigt, der FC St. Pauli mag als eingetragener Verein mittlerweile eine Ausnahme in den Profiligen sein, Fußball-Kommunisten sind dort aber nicht am Werk. „Niemand hat gesagt, dass wir kein Geld verdienen wollen. Selbstverständlich wollen wir unsere Strahlkraft monetarisieren“, sagt Göttlich.
Die Hamburger verzichten zu Gunsten ihrer Werte auf Sponsoringeinnahmen
Das Thema kratzt den gebürtigen Barmbeker auf. Weil es aus seiner Sicht oft falsch dargestellt wird. Mode-Label mit angeschlossener Fußball-Abteilung. Wasser predigen, Wein trinken. Den Sportwettenanbieter aus dem Sponsorenpool nehmen, aber der Spielbank die Tür öffnen. So etwas ärgert Göttlich. Weil er die „Marke FC St. Pauli“ primär zu Gunsten der Vermittlung der gesellschaftlichen und sozialen Werte einsetzen will, nach deren Überzeugung er lebt. Das gehe nun mal besser als erfolgreicher Erstligist als in der Regionalliga.
„Wir sind nicht doppelmoralisch. Wir verzichten jedes Jahr auf einen eklatanten Betrag, lehnen Sponsoren ab, damit sich unser Markenkern und unsere Darstellung nicht widersprechen. Das mag eine Differenzierung bedeuten, die manche Leute da draußen nicht akzeptieren wollen und das nutzen, um uns zu kritisieren“, sagt der Diplom-Sportwissenschaftler.
Den Sportwettenanbieter ablehnen, die Spielbank akzeptieren: Wie passt das zusammen?
Im konkreten Fall des Endes der Partnerschaft mit bwin, dem kurz darauf folgenden Sponsoring der Spielbank Hamburg gibt Göttlich zu, dass dies kommunikativ unglücklich wirkte. Aber: „Der Vertrag mit der Spielbank war weit im Vorhinein unterschrieben. Zudem besteht ein gravierender Unterschied zwischen beiden Unternehmen. Wettanbieter sind globale Konzerte, die zumeist in Ländern mit geringer Steuerlast unterwegs sind. Eine Spielbank hat ein anderes Geschäftsmodell, Sozialstrukturen, und ist lokal unterwegs.“ Dennoch sei er sich der Spielsuchtgefahr bewusst.
Zockermentalitäten ganz anderen Ausmaßes herrschen inzwischen im internationalen Fußball vor. Großinvestoren, Werbetouren nach Südkorea, immer neue Wettbewerbe und tägliches Programm. Alles ist recht, solange der Rubel, Pardon, der Ball rollt. „Wir laufen Gefahr, dass der Sport marginalisiert wird“, warnt Göttlich. Man dürfe nicht das US-System auf der einen Stelle, der des maximalen Erlösfaktors, kopieren, an der anderen die Regulierung durch Gehaltsobergrenzen und ein Talentvergabesystem zu Gunsten sportlich schwächerer Clubs aber nicht mitdenken.
50+1 ist für den FC St. Pauli nicht verhandelbar
Als Mitglied des Präsidiums der Deutschen Fußball Liga (DFL) arbeitet Göttlich daher daran, zumindest im Kleinen gedankenanregend einzuwirken. Und wenn dann nur „eine Entscheidung ein paar Prozent weniger schlecht getroffen wird“. Damit geben sich der ehemalige Journalist und der FC St. Pauli in puncto 50+1 allerdings nicht zufrieden.
„Wir sind der Bereiter der Diskussion darüber, und wir wollen Rechtssicherheit dafür“, stellt Göttlich klar. Es müssen Wege gefunden werden, dass sich Konstrukte wie RB Leipzig oder der VfL Wolfsburg partizipativer organisieren. „Sie haben eine Verantwortung der demokratischen Mehrheit der anderen Vereine gegenüber“, sagt Göttlich.
Trainer und Spieler bei derselben Agentur „völlig neben der Kappe“
Noch etwas beschäftigt Göttlich beim Blick auf den Status quo des Fußballs. Wie könne es angehen, dass Agenturen Spieler und Trainer gleichermaßen vertreten? „Für mich ist das absolut nicht compliant, völlig neben der Kappe, ein komplettes No-Go“, echauffiert sich Göttlich. So etwas öffne Tür und Tor für mögliche Nebengeschäfte; dafür, dass Trainer sich dafür einsetzen, Spieler der sie vertretenden Agentur zu verpflichten. Die Lösung könne daher nur lauten, als Beratungsfirma entweder Coaches oder Akteure als Klienten aufzunehmen.
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Allerdings ein Thema, mit dem sich Göttlich ausnahmsweise nur am Rande beschäftigen muss. Sportchef Andreas Bornemann in dessen Arbeitsbereich hineinzureden, maßt er sich nicht an. Für den Fußballfan geht es am Ende zuvorderst um eines: „HSV gegen St. Pauli zu gucken und zwei Wochen darüber reden. Es ist nicht relevant, ob der Haaland gegen Xavi Simons spielt. Dieter gegen Peter nimmt die Leute genauso mit.“
Eine kleine Korrektur erlaubt sich der Präsident allerdings. In Demokratien ist das gestattet. HSV gegen St. Pauli in der Bundesliga, bitteschön. Denn so sehr wagt sich Göttlich aus der Deckung. In fünf Jahren ist sein Herzensclub ein gestandener Erstligist: „Ja!“