Halle (Saale)/Hamburg. Die neue Formation funktioniert beim Bundesliga-Aufsteiger noch nicht einwandfrei. Warum dies dennoch kein Rückschritt ist.
Eine steife Brise wehte am Freitagabend nicht durch Halle an der Saale. Im Gegenteil: Die Luft im Leuna-Chemie-Stadion stand förmlich, was dazu führte, dass der Rauch der von den Fans des Halleschen FC gezündeten Pyros schlecht abzog und der Anstoß um vier Minuten verschoben wurde. Dennoch spürte Alexander Blessin einen Luftzug.
Nicht nur den Sturmlauf, den sein FC St. Pauli entfachte, um die erste Runde des DFB-Pokals noch mit 3:2 nach Verlängerung zu überstehen, sondern ein „Windchen“, das den Hamburgern vor allem in der ersten Halbzeit ins Gesicht blies. In der neuen 3-5-2-Formation taten sich die Kiezkicker sichtlich schwer gegen den Regionalligisten. Doch der Cheftrainer blieb standhaft.
FC St. Pauli zwischen zwei Systemen: Vorteil oder Nachteil?
Unter dem 51-Jährigen soll in der Bundesliga überwiegend Umschaltfußball gespielt werden, was während der Vorbereitung auch intensiv trainiert wurde. Gegen Halle war St. Pauli aber im Ballbesitz gefordert. Dem Spiel also, das vergangene Saison in der Zweiten Liga überwiegend im 3-4-3 hervorragend funktionierte. Und so wirkten die Braun-Weißen mitunter wie gefangen zwischen zwei Systemen.
Es war zu erwarten gewesen, dass Blessin daher beim Halbzeitstand von 0:1 umstellt, die Außenbahnquälgeister Oladapo Afolayan und Elias Saad bringt. Nichts dergleichen geschah. „Ich stelle nicht gleich alles um, wenn mal ein Windchen weht. Für mich war klar, wo die Fehler liegen. Das haben wir in der Halbzeit angesprochen“, sagte Blessin.
Hauke Wahl: „Spielen einen neuen Style of Football“
Der Pokalexperte – vergangene Saison gewann er in Belgien mit Royale Union Saint-Gilloise den Cup – behielt Recht. Vor allem das mangelhafte Gegenpressing und die unsauberen Offensivbemühungen hatte er in der Pause thematisiert. Beides verbesserte sich.
Vielmehr war zuvor zu beobachten, dass St. Pauli bemüht ist, die neuen Vorgaben umzusetzen, dafür aber noch etwas Zeit benötigt. „Das ist ein neuer Style of Football, den wir gemeinsam erst entwickeln müssen. Solche Momente wie heute helfen uns, schneller zu lernen“, sagte Innenverteidiger Hauke Wahl, der neben Karol Mets ein zentraler Teil des Aufbauspiels ist.
St. Pauli leistet sich in Halle zu viele individuelle Fehler
Das sah unter anderem vor, dass der Ball von den Achterpositionen übers Zentrum nach außen verlagert wird. Die sich durch das Hallenser Pressing ergebenden Räume sahen die Kiezkicker aber zu selten. „Wir haben nicht schnell genug verlagert, hatten Schwierigkeiten mit der Ballzirkulation“, meinte Blessin. „Wir haben im Zwischenraum nicht die richtigen Lösungen gefunden“, ergänzte der sehr gute Stürmer Johannes Eggestein.
Zumeist, und das sollte beruhigend sein, weil es nicht grundsätzlich gegen das System spricht, ergaben sich die Probleme aber durch individuelle Fehler. Neuzugang Fin Stevens verlor im rechten Mittelfeld 28-mal den Ball, seine sieben Flanken liefen ins Leere; selbst Mets leistete sich 19 Fehler, beim unglücklich agierenden Connor Metcalfe waren es 18. Auch die Passquoten des Australiers, von Stevens und Robert Wagner befanden sich allesamt unter 70 Prozent.
Bundesliga-Aufsteiger kann nun von 3-5-2 auf 3-4-3 wechseln
Alles entschuldbar. Metcalfe kam in der Vorsaison überwiegend über Rechtsaußen, um mit seinem starken linken Fuß nach innen zu ziehen. Nun lief er im linken zentralen Mittelfeld auf. Stevens hat bislang nicht auf derart hohen Niveau gespielt. Wenngleich der Gegner ein Viertligist war, ist die Komplexität von St. Paulis System eine andere als zuvor in der dritten englischen Liga. Auch Wagner ist neu, agiert als Rechtsfuß als rechter Achter, orientiert sich also mehr in Richtung außen. Eine qualitative Anpassung ist zu erwarten.
Eine systematische Anpassung wiederum nahm Blessin in der 71. Minute doch noch vor. Blies der Wind beim Stand von 1:2 zu heftig? Eher wollte der Trainer selbst den Ventilator anwerfen, brachte Afolayan und Saad und mit ihnen das 3-4-3. „Sie sind sehr wichtige Spieler“, sagte er. Das Duo stellte es direkt unter Beweis.
System-Umstellung bringt Wende im Spiel
„Dadurch konnten wir mehr Eins-gegen-Eins-Situationen auf den Außenbahnen kreieren, das hat vorher etwas gefehlt. Nach der Umstellung hat es besser funktioniert“, sagte Adam Dzwigala. Der polnische Verteidiger war gleichzeitig eingewechselt worden, avancierte mit als später Stoßstürmer mit seinem Treffer zum 2:2 in der Nachspielzeit zum Matchwinner.
„In der Offensive haben wir jetzt die Möglichkeit, etwas zu verändern, ob systematisch oder mit neuen Spielern. Das hilft uns enorm, so variabel zu sein“, sagte 1:1-Torschütze Eggestein. Das Fazit könnte also lauten, dass St. Pauli nicht in der Systemfalle gefangen ist, sondern sogar einen Systemvorteil erarbeitet hat.
- Einzelkritik St. Pauli: Guilavogui überzeugt, Vasilj patzt böse
- FC St. Pauli: Fan-Organisation kritisiert Richter-Projekt
- FC St. Pauli im DFB-Pokal: Kann Trainer Blessin auch Ballbesitz?
Die Probe aufs Exempel kommt allerdings erst mit Beginn der Bundesliga-Saison am kommenden Sonntag (17.30 Uhr) im Millerntor-Stadion gegen den 1. FC Heidenheim. Dann kann der Schwabe Blessin zeigen, ob er auch norddeutschen Stürmen standhält.