Hamburg. HSV gegen Magdeburg ist auch das Duell der Joker-Könige. In Hamburg könnte sich das Blatt wenden. Bundesliga-Topjoker gibt Analyse ab.

Der Joker hat ein Problem. Er verliert an Strahlkraft und an Bedeutung. Die Zuschauer fliehen teilweise noch während der Vorstellung, die Kritik fällt mitunter vernichtend aus. Trotz großer Werbetrommel sind die Kinos beim zweiten Teil des Psychothrillers nur schlecht besucht. Die Musical-Fortsetzung entwickelt sich zum Reinfall – auch in Hamburg.

Dabei hat sich die Hansestadt seit dem Sommer zur Hochburg der Joker entwickelt. Allerdings nicht unter den Kinostreifen, sondern im Fußball. Denn neben Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Magdeburg stellt der HSV mit jeweils fünf Toren nach Einwechslungen die torgefährlichste Bank der Liga – eine filmreife Vorstellung. Die Partie am Sonntag zwischen Hamburg und dem FCM wird also auch zum Duell der Joker-Könige.

HSV ist das Joker-Team der Liga

Am meisten glänzt das goldene Händchen von HSV-Trainer Steffen Baumgart, dessen Reservisten auch für vier Vorlagen verantwortlich sind. Neun Torbeteiligungen durch Joker, das hat kein anderer Zweitligist geschafft. Und trotzdem drohen die Hamburger in den kommenden Monaten eine ihrer größten Stärken zu verlieren. Denn durch den Ausfall von Torjäger Robert Glatzel, der wegen eines Sehnenabrisses im Hüftbeuger frühestens im März zurückkehrt, verschiebt sich die Hierarchie im Sturm.

Plötzlich liegt der Fokus auf Davie Selke, der bereits zwei Tore nach Einwechslungen erzielt hat, nun aber als erster Zielspieler gefordert ist. Da Baumgart weiterhin zu einer Doppelspitze tendiert, wird Ransford Königsdörffer an seiner Seite stürmen. Einer der beiden diente bislang immer als hochkarätiger Joker, von denen es nun keinen mehr auf der Bank gibt.

„Die Qualität wird ab der 70. Minute darunter leiden, wenn beide müde werden und der HSV nicht mehr personell so nachlegen kann wie bisher“, sagt einer, der es wissen muss. Nicht Arthur Fleck, sondern Nils Petersen ist der Top-Joker der Bundesliga-Geschichte.

Petersen erklärt Besonderheiten der Joker-Rolle

34-mal traf der frühere Stürmer von Werder Bremen, dem SC Freiburg und dem FC Bayern München nach Einwechslungen, auch wenn er gern häufiger in der Startelf gestanden hätte. „Es tut immer weh, zu erfahren, nicht von Anfang an zu spielen. Aber man muss diese Rolle annehmen und auf den Punkt bereit sein. Viele Spiele werden ab der 70. Minute entschieden. Als Joker sollte man seinen Mitspielern und Fans ein gutes Gefühl geben und sie mit seiner Präsenz pushen“, weiß Petersen. „Man bekommt meist diese eine Torchance. Das Ziel muss es sein, dass die Verteidiger Angst vor dir als Stürmer haben, wenn du reinkommst. Das ist bei Davie Selke auch häufig der Fall.“

Nils Petersen (M.) ist auch in der Champions League als Experte bei Amazon Prime an der Seite von Matthias Sammer und Tabea Kemme im Einsatz.
Nils Petersen (M.) ist auch in der Champions League als Experte bei Amazon Prime an der Seite von Matthias Sammer und Tabea Kemme im Einsatz. © Imago | Ulrich Hufnagel

Es ist genau diese Art, weshalb Selke von vielen Fußballfans vorverurteilt wird. Beim HSV betonen die Verantwortlichen regelmäßig, dass sie einen unbequemen Spielertypen wie Selke lieber in der eigenen Mannschaft haben als beim Gegner. Der 29 Jahre alte 1,95-Meter-Hüne ist berüchtigt für seine körperbetonte Spielweise an der Grenze des Erlaubten und manchmal auch darüber hinaus. Mit seiner Wucht hat er sich beim HSV bislang als optimaler Joker erwiesen.

„Davie ist häufig sogar besser, wenn er sauer ist, weil er von der Bank kommt. Das sieht man dann auch an seinem Torjubel, wenn er positiv durchdreht“, sagt Petersen. Der sechs Jahre ältere Stürmer kennt Selke aus der gemeinsamen Bremer Zeit und von Olympia 2016, als beide für Deutschland die Silbermedaille holten. „Da war ich sein Joker“, freut er sich im Gespräch mit dem Abendblatt. „Wir haben uns gegenseitig unterstützt.“

Zu seiner Bundesligazeit ist Petersen immer entspannt in die Spiele als Reservist gegangen. „Man hat nicht den Druck, gut schlafen und morgens ausreichend frühstücken zu müssen“, beschreibt er die Rolle, die erst spät in der Partie wichtig wird. „Die letzten Minuten eines Spiels sind für einen Stürmer häufig ein Geschenk, weil viele Flanken in den Strafraum segeln. Das ist eklig für die Verteidiger. Ich kenne viele Abwehrspieler, die in der Schlussphase gar nicht eingewechselt werden wollen, weil sie durch Fehler nur noch verlieren können.“

Holt HSV neuen Stürmer? Petersen ist überzeugt

Allerdings wird Selke nicht immer diese letzten, womöglich entscheidenden Minuten eines Spiels erleben, prognostiziert Petersen. „Davie darf sich jetzt nicht auch noch verletzen. Seine Belastung muss gesteuert werden, er kann bei dieser Intensität nicht jedes Spiel über 90 Minuten gehen.“ Trotzdem liege in den kommenden Monaten das Hauptaugenmerk auf seinem früheren Mitspieler.

„In der Bringschuld zu sein, ist ein angenehmer Druck, den Davie auch braucht. Er darf sich jetzt freuen, eine Schlüsselrolle einzunehmen. Daran wird er auch gemessen. Er kann 15 bis 20 Tore in dieser Saison schießen, die braucht der HSV“, sagt Petersen, der aber auch die anderen Offensivkräfte in die Pflicht nimmt. „Ich erwarte auch von Spielern wie Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé mindestens sechs Saisontore plus Assists.“

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Sollte Glatzel aus den eigenen Reihen nicht zu ersetzen sein, hält sich der HSV die Option eines Wintertransfers offen. Für Petersen wäre das nur der logische Schritt. „Ich denke, dass Hamburg im Winter einen neuen Stürmer verpflichten wird. Das halte ich auch für absolut sinnvoll. Der Club darf den Aufstieg nicht herschenken“, sagt der zweimalige Nationalspieler. Mit einem neuen Angreifer hätte der HSV wieder mehr Optionen – und einen neuen Joker in der Hinterhand.