Hamburg. HSV holt Verteidiger, der bis zuletzt Stammspieler in Frankreichs erster Liga war. Wie ist das möglich? Die Spur reicht bis zu Chelsea.

Als am Donnerstag der bevorstehende Wechsel von Racing Straßburgs Lucas Perrin zum HSV bekannt wurde, rieb sich der eine oder andere Beobachter verwundert die Augen. Wie kann es sein, dass der Hamburger Zweitligist auf der Zielgeraden der Transferperiode einen gestandenen Abwehrspieler von einem französischen Erstligisten verpflichtet? Ein Profi, der in der vergangenen Saison Stammspieler in der Ligue 1 war. Und dann auch noch ablösefrei.

Perrin war immer Stammspieler, seit er im Sommer 2021 von Olympique Marseille in die Stadt nahe der deutschen Grenze im Elsass zunächst verliehen und ein Jahr später für 1,5 Millionen Euro fest verpflichtet worden war. Seit in Frankreichs höchster Spielklasse der Spielbetrieb wieder läuft, ist der Innenverteidiger allerdings außen vor. An den ersten beiden Spieltagen stand er nicht einmal im Kader. Er wurde aussortiert. Was ist also vorgefallen zwischen Straßburg und dem Mann, der beim HSV den wegen Dopings bis November 2026 gesperrten Mario Vuskovic ersetzen soll?

HSV bekommt Perrin ablösefrei wegen Zoff in Straßburg

Tatsächlich gibt es eine Vorgeschichte, die bereits vor 14 Monaten im Juni 2023 begann, als Racing von der Investorengruppe BlueCo übernommen wurde. Das US-Konsortium, das auch den englischen Topclub FC Chelsea besitzt, versprach „nachhaltige“ und „strategische Investitionen“, die auch der Nachwuchsarbeit zugutekommen sollen.

In der Praxis stellte sich das Projekt wie folgt dar: Allein in der ersten Saison 2023/24 wurden elf Spieler für insgesamt 60 Millionen Euro verpflichtet. Die Neuzugänge haben etwas gemeinsam: Mit Ausnahme von zwei Profis, die 25 und 34 Jahre alt waren, sowie einem 21-Jährigen war keiner älter als 20 Jahre. Im Gegenzug verließen zahlreiche erfahrene Spieler den Club.

Ein ähnliches Bild zeichnete sich in diesem Sommer ab, in dem 55 Millionen Euro an Transferausgaben null Euro an Transfereinnahme gegenüberstehen. Zum Vergleich: In den beiden vorherigen Spielzeiten, als BlueCo noch nicht bei Straßburg eingestiegen war, gaben die Franzosen lediglich 11,5 Millionen Euro für neue Spieler aus.

HSV-Zugang Perrin kritisiert Straßburg-Projekt

Es ist eine Entwicklung, der HSV-Neuzugang Perrin, der am Freitag seinen Medizincheck in Hamburg absolvierte, überhaupt nichts abgewinnen kann. Nachdem er seine Meinung nicht nur intern, sondern auch gegenüber dem französischen Radiosender „France Bleu Alsace“ kundtat, ist das Verhältnis mit den Club-Bossen nicht mehr zu kitten.

„Wir können uns nicht vor der Realität verstecken: In dieser Saison grenzte es an ein Wunder, dass wir die Klasse gehalten haben“, sagte der Abwehrspieler vor dem letzten Spieltag, an dem er dann nicht mehr in der Startelf stand. „Ich habe nichts gegen junge Leute, aber wir verlangen von 18- und 19-jährigen Spielern, dass sie die Verantwortung von 30-jährigen Spielern übernehmen.“

Wie es zum Knall mit Perrin in Straßburg kam

Perrin zweifelte am Erfolg der von Grund auf modifizierten Kaderplanung. „Wir brauchen ältere Spieler, es fehlt uns an Erfahrung.“ Straßburg schloss die Saison zwar als Tabellen-13. mit zehn Punkten Vorsprung auf einen Abstiegsplatz ab, doch für Perrin wäre viel mehr drin gewesen. „Wir haben dumme Fehler gemacht, jugendliche Fehler. Es hat viel gefehlt, um die zu Saisonbeginn gesteckten Ziele erreichen zu können. Wir hatten uns die Top Ten vorgenommen, sind aber sehr, sehr weit davon entfernt.“

Zum Abschluss seiner Brandrede nahm er Racings Präsident Marc Keller, der seit 2012 im Amt ist und das BlueCo-Konsortium in den Verein holte, in die Verantwortung. „Es war der Präsident, der dieses Projekt wollte.“

Lucas Perrin kommt mit der Empfehlung von 99 Erstligaspielen in Frankreich zum HSV.
Lucas Perrin kommt mit der Empfehlung von 99 Erstligaspielen in Frankreich zum HSV. © imago/PanoramiC | IMAGO/Federico Pestellini

Der Plan der ominösen Straßburg-Investoren

Das Prinzip der Investorengruppe BlueCo hat bereits bei Chelsea für Aufsehen gesorgt. Die Idee ist, dass junge Spieler mit vergleichsweise überschaubaren Gehältern ältere Großverdiener ersetzen. Dadurch sollen die Gehaltskosten gesenkt werden. So weit die Theorie, die in der Praxis allerdings nur bedingt umsetzbar ist. Chelsea wird in dieser Saison auf einem auf knapp 40 Spieler aufgeblähten XXL-Kader sitzen bleiben, bei dem die Trainingsgruppe zwei die erste Garde beinahe übertrifft.

Auch in Straßburg wurde der Kader massiv verjüngt. Gerade einmal fünf Spieler, darunter zwei Ersatztorhüter, sind älter als der 25 Jahre alte Perrin, der nun das Weite sucht.

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HSV-Zugang Perrin erfuhr von Straßburg-Aus vor Interview

Laut der französischen Sportzeitung „L’Équipe“ soll Perrin unmittelbar vor seinem Aufsehen erregenden Interview erfahren haben, dass sein in einem Jahr auslaufender Vertrag bei Racing nicht verlängert werde. Er sei zu alt für das neue Projekt, lautete die Begründung.

Für den HSV hat sich diese Geschichte als Glücksfall erwiesen. „Lucas ist ein Innenverteidiger, der über ein hohes taktisches Spielverständnis verfügt. Seine Zweikampfstärke, Ruhe und das Passspiel runden sein Profil ab“, freut sich Profifußballdirektor Claus Costa.

Am Freitagvormittag absolvierte Perrin seinen Medizincheck in Hamburg, um im Anschluss einen Zweijahresvertrag im Volkspark zu unterschreiben. Zum Ende dieser Laufzeit wird der neue Verteidiger 27 Jahre alt sein, also immer noch im besten Fußballeralter.

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