Hamburg. HSV führt lange gegen Hertha, wird aber am Ende für die eigene Passivität bestraft. Dahinter steckt ein Plan, der diesmal nicht aufging.
Steffen Baumgart war am späten Sonnabendabend spürbar um eine positive Stimmung bemüht. In den vielen Interviews nach dem 1:1 gegen Hertha BSC wurde der Trainer des HSV nicht müde, seine Mannschaft zu loben, auch wenn der Heimsieg nach einem späten Ausgleichstreffer der Berliner ausgeblieben war. Weil dem 52-Jährigen schon länger missfällt, dass ein Unentschieden aus seiner Sicht in Hamburg wie eine Niederlage bewertet werde, kämpft er seit dieser Saison mit seiner Wortwahl gegen diese Wahrnehmung an.
„Die Jungs haben ein gutes Spiel gemacht und sehr intensiv gearbeitet, wir haben ein intensives Spiel auf beiden Seiten gesehen“, sagte Baumgart, der ganz einfach die Leistungen beider Mannschaften hervorhob, um die seiner eigenen positiv dastehen zu lassen. „Wir haben sehr gut verteidigt, es ist ein gerechtes Ergebnis.“
HSV gegen Hertha zu passiv: Das war der Plan
Allerdings ist das Ergebnis vor allem deshalb gerecht, weil der HSV seine Offensivbemühungen in der zweiten Halbzeit fast komplett eingestellt hatte. Nach einer starken ersten Halbzeit, in der Ransford Königsdörffer die Führung erzielt hatte, zogen sich die Hamburger im zweiten Durchgang sehr weit zurück und sorgten kaum noch für Entlastung. Stattdessen fielen die Gastgeber durch viele und vor allem schnelle Ballverluste auf. Und auch der Druck auf den ballführenden Berliner wurde mit zunehmender Spieldauer weniger.
Ein ähnlicher Spielverlauf war bereits beim siegreichen Saisonstart in Köln (2:1) zu sehen, als der HSV ebenfalls nach der Pause ein anderes Gesicht zeigte, sogar noch früher die Bälle verlor, letztlich aber den Sieg über die Ziellinie verteidigte. „Es gibt sicherlich Parallelen zur vergangenen Woche“, räumte Kapitän Sebastian Schonlau ein, der allerdings auch mit der Chancenverwertung vor der Pause haderte. „Wir haben eine sehr gute erste Hälfte gespielt, in der Hertha kaum Ideen hatte, wie sie angreifen sollen. Wir müssen auf 2:0, vielleicht sogar 3:0 erhöhen.“ Doch der HSV ließ teilweise beste Möglichkeiten ungenutzt.
Dafür nutzte Baumgart seine Chance, zur Halbzeit ein paar taktische Korrekturen vorzunehmen. Wie schon in Köln forderte er von seiner Mannschaft ein, sich tiefer zurückzuziehen und auf Konter zu lauern. „Wir haben uns nach der Führung defensiver hinten reingestellt, um die Räume zum Kontern zu nutzen. Das war schon teilweise so geplant“, erklärte Jonas Meffert die Herangehensweise, haderte aber zugleich mit der Umsetzung. „Wir wollten aktiv weiterspielen. Das haben wir nicht so gut hinbekommen, wir hätten mutiger auftreten müssen. Es war ähnlich wie gegen Köln.“
Mehr Offensivpower beim HSV? Baumgart will bessere Konter
Da war er also wieder: der Quervergleich zum Köln-Spiel, den Baumgart allerdings überraschend deutlich abmoderierte. „Nein, das würde ich nicht so sehen. In Köln haben wir viele Bälle weggeschlagen. Diesmal haben wir in der zweiten Halbzeit versucht, besser zu spielen. Wir hatten drei, vier gute Umschaltaktionen, die individuell nicht gut ausgeführt wurden.“
Tatsächlich hatte der HSV im zweiten Durchgang gegen Hertha mehr Torchancen als im zweiten Abschnitt in Köln, spielte diesmal allerdings auch zu Hause mit den eigenen Fans im Rücken. Baumgart kündigte deshalb Verbesserungen an. Die Mannschaft möge künftig die Konter besser ausspielen, indem sie bessere Lösungen nach Ballgewinnen aufgezeigt bekomme. An seiner eher defensiven Herangehensweise nach einer Führung will der HSV-Coach allem Anschein nach jedoch festhalten.
HSV-Defensive funktionierte bis zum Gegentor
Klar ist aber auch, dass die Baumgart-Elf mit Ausnahme der Szene, die zum Gegentor führte, Hertha über das gesamte Spiel kaum torgefährlich in Erscheinung treten ließ. „Wir haben wenig Schüsse direkt aufs Tor zugelassen“, lobte der Trainer. Das sah auch Abwehrchef Schonlau so, wenngleich der 30-Jährige mit dem Gegentreffer haderte, als die Defensive einmal unsortiert wirkte.
„In der Szene schieben wir nicht gut genug durch, dadurch kommt der Ball erst in den Strafraum. Danach wird es zu wild. Wir werden zu hektisch und verlieren die Kontrolle.“ Es folgte ein kurzer Wackler von Torschütze Kenny, der den eingewechselten Guilherme Ramos aussteigen ließ und ins lange Eck traf. „Kenny macht einen Haken und wir steigen drauf ein“, klagt Schonlau.
HSV-Kapitän Schonlau wird deutlich
Mitspieler Meffert fasst es schließlich treffend zusammen: „Dadurch, dass wir das Gegentor kassieren, müssen uns vorwerfen lassen, nicht aktiv und mutig genug gespielt zu haben.“
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Schon in Köln hatte der HSV nur 43 Prozent Ballbesitz, gegen Hertha waren es 45 Prozent, also immer noch deutlich weniger als der Gegner. „Natürlich wollten wir mehr Ballbesitz haben, der Plan war ein anderer“, sagte Schonlau. „Wir schaffen es aktuell nicht, unser Spiel mit dem Ball über den Großteil des Spiels aufrechtzuerhalten. Das wird die Aufgabe sein für die nächsten Wochen“, gibt der Kapitän die Richtung vor, ehe er ganz nach dem Motto seines Trainers lobende Worte fand: „Trotzdem war unser Saisonstart sehr ordentlich.“
Die Statistik
- HSV: Heuer Fernandes – Jatta (67. Hefti), Hadzikadunic, Schonlau, Muheim – Elfadli (83. Ramos), Meffert – Karabec (83. Baldé), Reis (67. Pherai), Dompé (70. Selke) – Königsdörffer.
- Hertha BSC: Ernst – Kenny, Gechter (64. Leistner), Kempf, Dudziak (46. Zeefuik) – Demme, Karbownik (76. M. Dardai), Maza – Marten Winkler (90.+2 Christensen), Tabakovic, Scherhant (76. Schuler).
- Tore: 1:0 Königsdörffer (11.), 1:1 Kenny (86.).
- Schiedsrichter: Timo Gerach (Landau)
- Gelbe Karten: Elfadli, Schonlau – Dudziak, Zeefuik
- Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)
- Torschüsse: 13:13
- Ecken: 9:11
- Ballbesitz: 45:55 Prozent
- Zweikämpfe: 72:74