Hamburg/Berlin. Herthas Topspieler Reese fällt gegen den HSV aus. Vorteil für Hamburg, denn im Pokal war er der dominierende Spieler.

Fabian Reese hat ein gutes Gespür für die richtige Dramaturgie eines Krimis. Der Profi von Hertha BSC weiß, dass die Spannung langsam aufgebaut werden muss, letztlich aber die überraschende Wende maßgeblich für eine gelungene Schlusspointe ist. Obwohl diese Beschreibung auf die Pokalniederlage des HSV bei der Hertha (3:5 i.E.) am Nikolausabend vor neun Monaten zutrifft, hätte Reese die Geschichte im Vorwege als unglaubwürdig zurückgewiesen.

„Wenn man ein Drehbuch für ein Pokalspiel hätte schreiben müssen, hätte jeder Autor diesen Verlauf abgelehnt, weil er eigentlich zu kitschig war“, sagt der Flügelstürmer im Berliner Admiralspalast im Gespräch mit dem Abendblatt am Rande des Draft Days der neuen Kleinfeldliga Icon League. „Die Hertha-Fans werden sich noch etliche Jahre über diese magische Nacht im Olympiastadion unterhalten. Und auch ich denke sehr gern an diesen grandiosen Abend zurück.“

HSV – Hertha: Als Reese Hamburg überrollte

Reese strahlt, als er auf das denkwürdige Pokal-Achtelfinale angesprochen wird, in dem der HSV über 120 Minuten hilflos gegen seine Tempoläufe wirkte. So positiv Reeses Erinnerungen auch sind, seinen an diesem Abend überforderten Gegenspielern William Mikelbrencis und Nicolas Oliveira dürfte noch immer schwindlig werden, wenn sie den Namen Reese hören.

Allein gelassen von ihrem damaligen Trainer Tim Walter, der taktisch nicht auf Reeses übermächtig erscheinende Rolle reagierte – zum Beispiel durch Doppeln –, wirkten die beiden HSV-Youngster wie lästige Fahnenstangen auf dem Weg zum Tor. Zwei Treffer erzielte Reese selbst, ein Tor bereitete er vor.

Herthas Fabian Reese zeigte im Pokal HSV-Talent William Mikelbrencis (l.), der in der Startelf stand, seine Grenzen auf.
Herthas Fabian Reese zeigte im Pokal HSV-Talent William Mikelbrencis (l.), der in der Startelf stand, seine Grenzen auf. © imago/Beautiful Sports | IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Luciano Lima

Trotz seiner Galavorstellung sah der HSV zweimal wie der sichere Sieger aus. Doch durch zwei späte Tore jeweils in der Nachspielzeit der regulären Spielzeit und in der Verlängerung erzwangen die Berliner das Elfmeterschießen, in dem nur Hamburgs Ransford Königsdörffer verschoss. Den entscheidenden Elfmeter verwandelte – wie sollte es auch anders sein? – Reese. Was für eine kitschige Schlusspointe.

Reese erlebte gegen HSV „bestes Spiel meiner Karriere“

„Es war das beste Spiel meiner Karriere“, schwärmt der Angreifer, den Herthas damaliger Trainer Pal Dardai anschließend zum deutschen Nationalspieler formen wollte. Doch inzwischen hat sich viel verändert. Statt Dardai und Walter geben nun Cristian Fiél und Steffen Baumgart den Ton an. Und Reese? Der fällt beim Zweitliga-Topspiel am Sonnabend beim HSV (20.30 Uhr/Sky, Sport1 und im Liveticke­r bei abendblatt.de) wegen eines Syndesmosebandrisses aus.

„Ich hätte sehr gern dieses Spiel gemacht“, sagt Reese, während er seinen operierten Knöchel über eine seiner beiden Krücken legt.

Wie lange Hertha auf seinen dynamischen Tempodribbler verzichten muss, ist unklar. „Ich werde nicht so lange ausfallen, wie spekuliert wurde“, sagt Reese, der auf eine Rückkehr nach der Länderspielpause Mitte September hofft.

Herthas Reese: Wechsel-K.o. wegen Verletzung

Bis zu diesem Zeitpunkt wollte der Offensivspieler eigentlich bereits den nächsten Schritt in seiner Karriere gegangen sein. Wenn ein Verein eine hohe einstellige Millionen-Ablöse bezahlt hätte, soll sich Reese mit Hertha mündlich auf einen Wechsel verständigt haben. Durch seine Verletzung haben sich etwaige Gedanken jedoch erledigt.

Nicolas Oliveira wurde im Pokal in der 97. Minute für William Mikelbrencis (nicht im Bild) eingewechselt, doch auch er konnte Fabian Reese nicht stoppen.
Nicolas Oliveira wurde im Pokal in der 97. Minute für William Mikelbrencis (nicht im Bild) eingewechselt, doch auch er konnte Fabian Reese nicht stoppen. © WITTERS | ValeriaWitters

Reeses Pech ist mittelfristig Herthas sportliches Glück, denn ohne seinen Vizekapitän wirkt die Offensive harmlos, wie beim missglückten Saisonauftakt zu Hause gegen Paderborn (1:2) zu sehen war und vermutlich auch gegen den HSV zu sehen sein wird.

„Es kann sich jeder vorstellen, wie wichtig Fabian für diese Mannschaft ist“, sagt Hamburgs Trainer Baumgart, der seine taktische Ausrichtung an den Gegner anpassen wird. Der 52-Jährige will in dieser Saison variabler agieren, um weniger ausrechenbar zu sein. Beim erfolgreichen Saisonstart in Köln (2:1) überraschte er den FC mit einer sehr tief stehenden Formation mit Jonas Meffert im Zentrum einer defensiven Fünferkette.

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„Wir sind in der Lage, uns nicht nur anzupassen, sondern auch auf den Gegner zu reagieren“, kündigte Baumgart an, der seine Mannschaft beim ersten Heimspiel allerdings offensivfreudiger sehen will, nachdem das Spiel der Hamburger in der zweiten Hälfte gegen Köln von vielen Ballverlusten, aber eben auch einer leidenschaftlichen Defensivleistung geprägt war. „Am Ende wollen wir unseren Fußball durchsetzen, offensiv agieren und mutig sein“, verspricht Baumgart.

Aufstieg? Baumgart rechnet mit Hertha

Zu seiner Philosophie gehört auch, dem Gegner Respekt zu zollen, auch wenn mit Reese der nicht zu ersetzende Unterschiedsspieler fehlt. „Hertha wird um den Aufstieg mitspielen. Der Trainer hat eine klare Handschrift und weiß, wie er die Jungs anpacken muss“, sagt Baumgart über Fiél, dessen Entwicklung er mit Interesse verfolgt.

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Der Nachfolger Dardais hat bei Hertha eine Ballbesitz-orientiertere Spielweise eingeführt und lässt die Offensivspieler nun deutlich höher anlaufen als in der vergangenen Saison. Nach Ballverlusten soll die Mannschaft das Spielgerät möglichst schnell im Vollsprint zurückerobern – auf Neudeutsch auch Gegenpressing genannt. Diese Herangehensweise ähnelt der Spielidee Baumgarts, wodurch eine Ursache für die gegenseitige Sympathie gefunden ist.

HSV-Schreck Reese schwärmt von Hamburg

Eine weitere Parallele sind die ambitionierten Ziele der beiden Trainer, die aufsteigen wollen, wie auch Reese unterstreicht. „Das Ziel von Hertha muss es sein aufzusteigen. Wie schon in der vergangenen Saison sollte das der Anspruch von jedem Einzelnen sein“, sagt er in einer in dieser Form bislang noch nicht wahrnehmbaren Deutlichkeit.

Als Hauptkonkurrenten um den Aufstieg zählt Reese Hannover, Köln, Düsseldorf und natürlich den HSV auf. „Ich mag Hamburg, es ist eine schöne Stadt mit einem großen Verein, der genau wie wir in die Bundesliga gehört“, prognostiziert Reese unabhängig vom Ausgang des Topspiels. „Die Saison wird nicht an den ersten Spieltagen entschieden.“ Eine bekannte Weisheit unter Drehbuchautoren.

Die voraussichtlichen Aufstellungen

  • HSV: Heuer Fernandes – Hadzikadunic, Schonlau, Muheim – Jatta, Elfadli, Meffert, Dompé – Karabec, Reis – Königsdörffer.
  • Hertha: Ernst – Kenny, Gechter, Kempf, Dudziak – Demme – Cuisance, Maza – Winkler, Tabakovic, Scherhant.