Hamburg. Viele Gegner provozieren den Spitzenreiter. Wie sich darauf reagieren lässt, verrät die Hamburger Sportpsychologin Annika Weinkopf.

„Überhaupt kein Thema“, da waren sich die Spieler des FC St. Pauli einig, sei es, als Tabellenführer der Zweiten Liga nun wieder der Gejagte statt der Jäger zu sein. Ein winziger Nachteil an der Geschichte: „Gegen den Spitzenreiter sind alle Teams heiß, wollen ihn aus der Reserve locken“, sagt die Hamburger Sportpsychologin Annika Weinkopf.

Spielerisch sind viele Teams den Hamburgern nicht gewachsen und versuchen, durch Nickligkeiten Profit zu ziehen. Der 1. FC Kaiserslautern machte es am Sonnabend vor.

Spielerisch schwächere Gegner provozieren St. Pauli

Eric Smith, eigentlich ein besonnener Vertreter, fing sich nach einer Rangelei die Gelbe Karte ein, Cheftrainer Fabian Hürzeler durch anschließendes Meckern ebenso. Er fehlt kommenden Sonnabend bei Fortuna Düsseldorf.

Für Smith war es die vierte Verwarnung dieser Saison. Eine weitere, und den durch seine Qualitäten im Spielaufbau fast unverzichtbare Schweden würde für eine Partie Hürzelers Schicksal ereilen. Entscheiden Gelbsperren das Aufstiegsrennen mit?

Kiezkicker eine der fairsten Mannschaften der Zweiten Liga

Die gute Nachricht: Bislang hatten die Kiezkicker Emotionen und Aggressionen weitgehend unter Kontrolle. In der Fairplaywertung der Zweiten Liga belegen sie gemeinsam mit Holstein Kiel den geteilten vierten Platz. 33 Gelbe Karten sowie eine Rote von Karol Mets stehen in der Statistik.

Noch besser: Es kann so bleiben, „wenn man einen Plan hat“, sagt Weinkopf. „Wenn ein Bewusstsein dafür besteht, dass der Gegner alle Register zieht, zeigt das den Spielern nur, dass alles läuft wie erwartet, das kann Sicherheit geben“, sagt die 31-Jährige.

Sportpsychologin: "Jeder Spieler sollte ein Konzept haben"

Entscheidend sei dann, vorab ein Konzept zu haben, wie auf die Provokation reagiert werden soll. „Jeder Spieler sollte für sich wissen, ob er die Rangelei eingeht, um die Emotionen zu schüren, oder einfach die Situation verlässt“, sagt Weinkopf.

Die schlechte Nachricht: Selbst bei Einhaltung dieser Regeln sind die nächste Sperren am Horizont. Neben Smith gibt es weitere Kandidaten, denen eine Zwangspause droht.

Irvine und Metcalfe mit Australien gegen Usbekistan

Zumindest Kapitän Jackson Irvine hat seine erste Sperre bereits in der Hinrunde abgesessen, besitzt nun wieder vier „Freischüsse“. Sein australischer Landsmann und Mittelfeldkollege Connor Metcalfe dagegen, mit dem er an diesem Dienstag (12.30 Uhr) im finalen Vorrundenspiel des Asien-Cups in al-Wakra (Katar) gegen Usbekistan um den Gruppensieg spielt, steht bei vier Verwarnungen. Auch Linksaußen Elias Saad ist nur einen Verstoß von einer Arbeitsrestriktion entfernt.

Den Kreativdribbler zu ersetzen, wäre kompliziert, da die Rochade kaum aufgehen würde. Zwar könnte Rechtsaußen Oladapo Afolayan ohne Weiteres auf die von ihm präferierte Gegenbahn wechseln, aber wer ersetzt den Engländer?

Sinani derzeit auf dem Abstellgleis

Metcalfe als angestammte Alternative ist voraussichtlich erst Mitte Februar wieder vom Asien-Cup zurück. Die zweite in Danel Sinani scheint nur eine theoretischer Natur zu sein.

Der Luxemburger mit serbischen Wurzeln kann sich seit seiner ablösefreien Verpflichtung im vergangenen Sommer nicht ansatzweise durchsetzen. Erst auf sechs Einsätze in der Zweiten Liga bei insgesamt 108 Minuten sowie zwei weitere im DFB-Pokal kommt der 26-Jährige. Der einzig nennenswerte Datenpunkt von ihm: eine Gelbe Karte.

Wird St. Pauli noch auf dem Transfermarkt aktiv?

Obwohl St. Pauli in dieser Transferperiode keine Spieler abgeben möchte, gilt es dem Vernehmen nach nicht als ausgeschlossen, jedoch eher unwahrscheinlich dass Sinani sich anderweitig umsieht. Wohl nur dann würden die Hamburger selbst noch auf dem Spielermarkt aktiv werden.

Intern wachsen die Zweifel, noch einen Akteur zu finden, der eine Verstärkung auf Rechtsaußen darstellt. Es hat schließlich seine Gründe, wenn Fußballer mitten in der Saison verfügbar sind. Zudem soll die gute Leistung Afolayans gegen Kaiserslautern diese Denkweise verstärkt haben.

Verlängerung von Vasilj steht kurz bevor

Stattdessen befassen sich die Braun-Weißen primär mit Vertragsverlängerungen wie der nahenden von Torwart Nikola Vasilj. Auch U-17-Weltmeister Eric da Silva Moreira soll nach Möglichkeit langfristig nicht nur nahe des Millerntors in der Familienwohnung beheimatet sein, sondern sportlich auch darin.

Dort also, wo es künftig nicht heißhergehen soll, sich die Gemüter dennoch nicht zu sehr erhitzen dürfen. Wie man charmant mit Aggressionen umgeht, hat ein St. Paulianer höchstpersönlich bereits vorgemacht – übrigens auch gegen Kaiserslautern.

Als der als „Giftzwerg“ verschriene Jean Zimmer den Brasilianer Maurides rüde anging, küsste ihn der lebensfrohe Südamerikaner einfach auf die Stirn. „Humor ist eine sehr kluge Reaktion, die dem Gegner zeigt, dass er einem gar nichts kann“, sagt Weinkopf. Oder auch: St. Pauli mag gejagt werden, aber Angst jagt der Mannschaft niemand ein.