Hamburg. Der wegen Dopings gesperrte HSV-Profi baut seine Verteidigungsstrategie auf den Fall Peter Bol auf. Vieles kann kein Zufall sein.
Mario Vuskovic verbrachte die Weihnachtstage bei seiner Familie in der kroatischen Hafenstadt Split. Das Fest der Liebe ist dem Ursprung nach mit Hoffnung verbunden. Eine auf die Zukunft ausgerichtete Gefühlslage, an die sich auch der wegen Dopings gesperrte Abwehrspieler des HSV klammert, um ein Licht am Ende des schier endlosen Tunnels zu sehen. Dabei basiert seine Hoffnung keinesfalls nur auf einem frommen Weihnachtswunsch. Sie trägt sogar einen Namen: Peter Bol.
Wie berichtet, ist die Verteidigungsstrategie der Anwälte Vuskovics maßgeblich auf dem Fall des australischen Mittelstreckenläufers aufgebaut, der im Oktober 2022 zunächst positiv auf die verbotene Substanz Erythropoetin (Epo) getestet worden war, ehe seine Sperre nach einer „atypischen“ B-Probe aufgehoben wurde.
Es wäre aktuell zwar unseriös, über den Zeitpunkt des Berufungsprozesses von Vuskovic vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) zu spekulieren. Doch schon jetzt ist klar, dass Bols Schicksal als Präzedenzfall dienen soll.
Mario Vuskovic: Hoffnung dank Parallelen zu Peter Bol
Bei einer tieferen Betrachtung der beiden Dopingfälle fallen erstaunlich viele Parallelen auf. So ist nicht nur der US-Amerikaner Paul Greene der federführende Anwalt sowie der kanadische Proteinchemiker David Chen der Hauptgutachter beider Sportler, wie bereits bekannt war. Mit dem norwegischen Biochemiker Jon Nissen-Meyer ist auch der zweite wissenschaftliche Experte, der für Bols Aufhebung der Dopingsperre sorgte, in Vuskovics Team vertreten.
Und nicht nur die Namen sind identisch. Auch die Analysen der beiden Gutachter Chen und Nissen-Meyer lesen sich in beiden Fällen erschreckend ähnlich. Am 20. März dieses Jahres schrieb Anwalt Greene einen fünfseitigen Brief an die australische Antidoping-Agentur (SIA), in dem er das Ergebnis der positiven A-Probe als „katastrophalen und schwerwiegenden Fehler“ bezeichnete und die Behörde bat, die Ermittlungen gegen den zu diesem Zeitpunkt zumindest nicht mehr gesperrten Bol einzustellen. Ein Vorgang, der sich bis August hinziehen sollte.
In dem Brief an die SIA wird detailliert dargelegt, dass es keine Beweise für ein Dopingvergehen gebe, weshalb das gesamte Testverfahren infrage gestellt wird – auch das ist eine Parallele zu Vuskovic.
Epo-Fehler der Wada war „nicht mal knapp“
In dem fünfseitigen Brief ist es vor allem Chen, der in die Offensive geht. Der Kanadier beklagt „die schlechte Qualität“ der Epo-Analyse und die „Missachtung“ der in den Regularien der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) festgelegten Standards, weshalb selbst die A-Probe niemals hätte positiv ausfallen dürfen.
Zum gleichen Ergebnis kommt Nissen-Meyers vierköpfige Expertengruppe, die wie bei Vuskovic pro bono arbeitete. „Es war nicht mal eine knappe Entscheidung, sondern ein ganz normaler und klar zu erkennender negativer Test“, fasste Anwalt Greene die Arbeit seiner beiden Wissenschaftler in einem späteren TV-Interview zusammen.
Auch Vuskovics Anwälte hatten vor dem DFB-Sportgericht auf Verfahrensfehler wie die Nichteinhaltung der Kühlkette, die dreitägige Lagerung der Urinprobe in einem privaten Kühlschrank des Dopingkontrolleurs sowie die fehlende Aufklärung über eine Kontrolle hingewiesen – allerdings ohne Erfolg.
Sieben Gründe, die Vuskovic Hoffnung machen
Im Fall von Bol listet Chen sieben Gründe auf, die seine These eines „falsch-positiven“ Tests belegen.
- Mit der Obergrenze von 15 Milliliter sei bei der Analyse zu viel Urin (Protein) verwendet worden, weshalb es zu einer Überladung der Banden (Teststreifen) gekommen sei.
- Der Laborant habe legales körpereigenes Epo mit synthetischem verwechselt.
- Die Bilder des Gels, welches vor den Urintropfen auf die Banden aufgetragenen wird, seien verzerrt.
- Die herangezogene positive Vergleichsprobe (bei Epo gibt es keine Grenzwerte, sondern es werden Bilder verglichen) sei von schlechter Qualität.
- Die Dopinganalyse sei falsch interpretiert worden.
- Und zu guter Letzt hätte eine alternative Methode (IEF-Page) zur Aufklärung herangezogen werden müssen.
Wem nun der Kopf von überladenen Banden und Proteinen brummt, dem sei vereinfacht gesagt: Es ist nahezu die identische Argumentation, mit der auch Vuskovics Anwälte seine Unschuld beweisen wollen.
Die Verteidigung hofft, dass gerade Chen bei einem noch nicht terminierten Cas-Prozess mehr Gehör findet als vor dem DFB-Sportgericht, das den Analysen der vier Gutachter des Abwehrspielers nicht folgte. Vorausgegangen war die Ansicht des von Richter Stephan Oberholz engagierten Wada-Experten Jean-Francois Naud (Kanada), der die Verfahrensfehler für nichtig erklärt hatte, ohne dabei genauer auf die wissenschaftlich vorgetragenen Erkenntnisse einzugehen.
Vuskovic-Anwalt: Epoverfahren ist „subjektiv“
Es ist sicherlich kein Zufall, dass Anwalt Greene sowie die beiden Gutachter Chen und Nissen-Meyer nach dem Erfolg bei Bol nun auch feste Bestandteile in Vuskovics Team sind. Zumal die beiden Wissenschaftler auch schon von anderen Sportlern herangezogen wurden. Sie gelten als Kritiker der zu stark von der Interpretation der Bilder abhängigen Epo-Analysemethode. „Es ist ein subjektives Verfahren, das keine Klarheit schafft“, schimpfte Greene über Bols positive A-Probe.
Umso verwunderlicher ist es allerdings, dass mehrere führende Epo-Forscher der Wada in Gesprächen mit dem Abendblatt betont haben, Vuskovics Wissenschaftler nicht ernst zu nehmen, weil sie von der so komplexen Epo-Analytik keine Ahnung hätten. Tatsächlich waren es aber Chen und Nissen-Meyer, die das vermeintlich fehlerfreie System der Wada schon einmal ins Wanken gebracht haben.
Es überrascht daher kaum, dass die Wada beim Cas beantragt hatte, alle Inhalte des Bol-Prozesses als Beweismittel abzulehnen. Schließlich sei jeder Fall individuell zu betrachten, argumentierte die Organisation. Oder spielten etwa auch die negativen Erfahrungen mit Chen, Nissen-Meyer und Greene eine Rolle für diesen Antrag, den der Cas ablehnte?
Mario Vuskovic: Wiederholt sich der Fall Peter Bol?
Beide Dopingfälle weisen allerdings auch Unterschiede auf. So wurde Bols B-Probe entgegen der gängigen Methoden nicht in demselben Labor wie die A-Probe (Köln) analysiert, sondern in Oslo. Ein Glücksfall für den Olympiavierten, ist Nissen-Meyer überzeugt. Sonst wäre der Australier „höchstwahrscheinlich immer noch für schuldig befunden worden“. Vuskovics A- und B-Probe ist dagegen jeweils in Kreischa (Sachsen) untersucht worden.
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Eine weitere Parallele ist dagegen, dass bei beiden Sportlern keine Dopingnachweise auf ihren Handys, Tablets und Laptops gefunden wurden. „Es gibt überhaupt keinen Beweis für ein Dopingvergehen“, sagte Greene einst bei Bol. Ein Satz, den er im Fall Vuskovic wiederholen könnte.
Nach der Fehlinterpretation von Bols Epo-Bildern hatte die Wada versprochen, „eine Überprüfung der aktuellen Epo-Prozesse durchzuführen“, ergänzt mit dem Hinweis, dass die Organisation natürlich keinen Grund sehe, die umstrittene Methode generell infrage zu stellen. Es sollte lediglich ermittelt werden, was bei Bol schiefgelaufen ist. Mögliche Konsequenzen wurden dagegen nicht in Erwägung gezogen. Dadurch lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass sich der Fall Peter Bol wiederholt – oder im Fall von Mario Vuskovic sogar schon wiederholt hat?