Hamburg. Team von Steffen Baumgart nach 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel sechs Punkte von Platz drei entfernt. Fans reagieren wütend-aggressiv.
„It Ain’t Over Till It’s Over“, stand vor Anpfiff auf einem großen Banner auf der Nordtribüne. Die Botschaft („Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist“) der Fans war klar vor dem Topspiel des HSV gegen Zweitliga-TabellenführerHolstein Kiel. Obwohl Fortuna Düsseldorf bereits am Nachmittag mit einem 1:0-Zittersieg gegen Greuther Fürth den viertplatzierten HSV auf sechs Punkte distanziert hatte, glaubten die Hamburger weiterhin an ihre Chance im Aufstiegsrennen.
Rund zwei Stunden später hieß es dann allerdings tatsächlich: It’s Over. Durch eine bittere 0:1 (0:0)-Heimpleite ist ein HSV-Aufstieg vier Spiele vor Schluss praktisch vom Tisch. Denn neben den sechs Punkten Rückstand auf Relegationsplatz drei weist der HSV gegenüber Düsseldorf auch die um 16 Treffer schlechtere Tordifferenz auf. „Jetzt hilft nur noch ein Wunder“, sagte Stürmer Robert Glatzel.
HSV nach 0:1-Pleite gegen Kiel wohl raus aus dem Aufstiegsrennen
Als die HSV-Profis nach dem Abpfiff in Richtung Nordtribüne gingen, schlug ihnen der ganze Frust der Anhänger entgegen. Neben wüsten Beschimpfungen, Mittelfingern und anderen abwertenden Gesten warfen einige Fans auch Bierbecher und Fahnenstangen in Richtung der Mannschaft.
„Für uns war es auch richtig schlimm, aber für die Fans war es noch viel schlimmer. Jeder von uns kann sie verstehen. Wir sind genauso enttäuscht und sauer“, sagte Mittelfeldspieler Jonas Meffert. Auch die restlichen HSV-Profis äußerten ihr Verständnis für die Proteste.
Laszlo Benes fiel beim HSV mit muskulären Problemen aus
Die erste schlechte Nachricht hatte es für den HSV bereits am Vormittag gegeben. Beim Anschwitzen klagte Mittelfeldspieler Laszlo Benes wie bereits in den Tagen zuvor über muskuläre Probleme, fiel somit aus. Da Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt in die Startelf zurückkehrte, konnte Trainer Steffen Baumgart allerdings Ludovit Reis problemlos für Benes auf die Achterposition beordern.
Die größte Überraschung vor dem Anpfiff war die Startelfnominierung von Levin Öztunali, der den Platz von Bakery Jatta auf der rechten Offensivseite einnahm. Jean-Luc Dompé saß zu Spielbeginn nur auf der Bank.
Zu Beginn der Partie durften die 57.000 Zuschauer im ausverkauften Volksparkstadion, darunter Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), direkt auf ein Nordduell hoffen, das den Namen Topspiel verdiente. Beide Teams liefen sofort aggressiv hoch an, ein abgefälschter 20-Meter-Schuss von Ex-HSV-Profi Finn Porath klatschte nach weniger als zwei Minuten an den Pfosten des HSV-Gehäuses.
HSV und Kiel mit vielen langen Bällen in der ersten Halbzeit
Je weiter die erste Halbzeit voranschritt, desto mehr kam die Partie ins Stocken. Kiel präsentierte sich zwar stabil und spritzig, beschränkte sich aber wie zuvor erwartet vor allem auf schnelles Umschaltspiel und lange Bälle. Der HSV war hingegen um Kontrolle bemüht, blieb im Spielaufbau aber dummerweise ziemlich ideenlos.
Unter dem Pressingdruck der Gäste schlug vor allem HSV-Linksverteidiger Miro Muheim viele lange Bälle auf Ransford Königsdörffer, der mit seinem Tempo erste Torannäherungen (13./20.) zustande brachte. Abgesehen von ein paar Unsicherheiten von Innenverteidiger Dennis Hadzikadunic machte die Hamburger Abwehr einen stabilen Eindruck, auch das Mittelfeld ging energisch in die Zweikämpfe.
Ex-HSV-Profi Porath früh verletzt ausgewechselt
Mitte der ersten Halbzeit musste Kiel früh wechseln, Porath hatte sich eine muskuläre Verletzung am hinteren linken Oberschenkel zugezogen, konnte nur gestützt von zwei Betreuern in Richtung Katakomben humpeln. Holstein-Coach Marcel Rapp hatte in Tom Rothe aber einen ebenbürtigen Ersatz für Porath, dem auch Baumgart beim Gang in die Kabine aufmunternde Worte mitgab, als Einwechselspieler parat (24.).
Wenige Minuten später leitete ein verunglückter Pressschlag von Reis eine der besten Kieler Chancen ein, nach Vorarbeit von Rechtsaußen Alexander Bernhardsson verfehlte Steven Skrzybskis Abschluss das Hamburger Tor nur um etwa einen Meter (30.). Fast im direkten Gegenzug wurde auch der HSV erstmals richtig gefährlich, einen Kopfball von Robert Glatzel entschärfte Rothe knapp vor der Torlinie.
Stegemann verweigert Kiel nach Videobeweis Elfmeter
Schiedsrichter Sascha Stegemann leitete das Spiel mit sehr großzügiger Linie, verzichtete trotz vieler Fouls und Nicklichkeiten beider Teams in der ersten Halbzeit auf Gelbe Karten. Nach weiteren Chancen von Kiels Lewis Holtby (42.) und HSV-Angreifer Glatzel (45.) hatte der HSV kurz vor der Pause Glück, als Reis innerhalb des Strafraums einen Schuss von Timo Becker aus kurzer Distanz an den linken Arm bekam. Stegemann sah sich die Szene am Videobildschirm ausführlich selbst an, entschied sich aber richtigerweise gegen den Elfmeterpfiff.
Nachdem die Gästefans die zweite Halbzeit mit ein paar Silvesterraketen eröffnet hatten, wurde es auch auf dem Platz immer bunter. Nach einer Königsdörffer-Flanke verpassten Reis mit dem Kopf, Glatzel mit der Hüfte und Jonas Meffert mit dem Fuß die Führung, weil Kiel mehrfach kurz vor oder auf der Linie rettete (53.). Auch defensiv spielte der HSV mit Hingabe, Reis warf sich in einen gefährlichen Holtby-Flachschuss, nicht nur die Nordtribüne war spätestens jetzt euphorisiert.
0:1 durch Tom Rothe schockt den HSV
Die Führung nur noch eine Frage der Zeit? Ja – allerdings auf der Gegenseite. Denn nur drei Minuten später hielt Rothe den Fuß in einen verunglückten Holtby-Abschluss, das 0:1 zog dem Stadion den Stecker (59.). Für Diskussionen dürfte aber noch sorgen, dass HSV-Keeper Matheo Raab innerhalb des Fünfmeterraums von Kiels Marko Ivezic behindert worden war – Stegemann entschied sich nach erneuter Ansicht der Videobilder aber gegen ein Foul. „Für mich war das ein klares Foul und das habe ich dem Schiedsrichter auch gesagt. Er hat mir die Entscheidung nicht mehr erklärt“, sagte Raab.
„Für mich war das ein handelsübliches Positionsgerangel und kein Zweikampf um den Ball. Die Sonderregel, dass der Torwart im Fünfmeterraum besonders geschützt ist, gibt es nicht mehr. Der Torwart wäre auch nicht mehr an den Ball gekommen. Die Distanz zwischen dem Torwart und dem Ball war sehr groß“, erklärte Stegemann im Anschluss.
Ex-HSV-Star Holtby sieht Gelb-Rot in Halbzeit zwei
Der HSV musste nun ins Risiko gehen, selbst ein Remis wäre im Aufstiegskampf zu wenig gewesen. Baumgart wechselte beide offensiven Flügel, brachte Jean-Luc Dompé und Masaya Okugawa für Königsdörffer und Öztunali. Als wenig später der frühere Hamburger Holtby nach hartem Einsteigen gegen Miro Muheim mit Gelb-Rot vom Platz flog (73.) und Baumgart in Andras Nemeth und Bakery Jatta weitere Offensivkräfte einwechselte, begann die Schlussoffensive des HSV.
- Ex-Kapitän redet Klartext: „HSV hätte Arp schützen müssen“
- Wie geht es Tim Walter? Neue Hintergründe zum HSV-Aus
- Almuth Schult: „Frauen brauchen mehr Unterstützung“
- Wird HSV-Talent wichtig? Baumgart öffnet Youngster die Tür
Doch auch die guten Abschlüsse von Muheim (82.), Okugawa und Anssi Suhonen (beide 85.) fanden den Weg ins Tor nicht. So blieben dem HSV nur noch sechs Minuten Nachspielzeit, um zumindest einen Punkt mitzunehmen. Doch nicht einmal das gelang.
„Sechs Punkte und das schlechtere Torverhältnis sind ein absolutes Brett. Aber im Fußball ist alles möglich“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau bezüglich der Resthoffnungen im Aufstiegskampf. Keeper Raab gab sich kämpferisch: „Ich glaube dran, dass wir es noch schaffen.“ Diesen Optimismus dürfte aber kaum ein Hamburger Fan teilen.
- HSV: Raab – Van der Brempt, Schonlau, Hadzikadunic, Muheim – Meffert – Reis, Pherai – Öztunali (70. Okugawa), Glatzel, Königsdörffer (70. Dompé).
- Kiel: Weiner – Johansson, Erras, Ivezic – Porath, Sander, Holtby, T. Becker, Skrzybski – Bernhardsson, Machino.
- Tore: 0:1 Rothe (59.).
- Gelb-Rote Karte: Holtby (73./wiederholtes Foulspiel).