Hamburg. Frühere Welttorhüterin kehrt als erste deutsche Profifußballerin als dreifache Mutter in den Spitzensport zurück. Wie funktioniert das?

Auf dem Teppich-Fußboden liegen jede Menge Spielzeug, Baby-Schuhe und eine Kuscheldecke. Almuth Schult lächelt freundlich, rückt den Maxi-Cosi etwas zur Seite und nimmt ihren acht Monate alten Sohn auf den Schoß. Der Raum im ersten Stock der HSV-Geschäftsstelle in Norderstedt ist zu einem halben Kinderzimmer umfunktioniert, als die langjährige Fußball-Nationaltorhüterin zum Abendblatt-Interview an einem großen Konferenztisch Platz nimmt. Anders ginge es momentan nicht, sagt die 33-Jährige fast schon entschuldigend und streicht ihrem Sohn über den Kopf.

Als Schult in der vergangenen Woche einen Vertrag bei den zweitklassigen HSV-Frauen unterschrieben hatte, sorgte die Meldung für große mediale Aufmerksamkeit. Die Welttorhüterin von 2014, die mit der Nationalmannschaft 2013 Europameisterin sowie 2016 Olympiasiegerin wurde und mit dem VfL Wolfsburg sechs deutsche Meistertitel, acht DFB-Pokalsiege und den Champions-League-Titel 2014 feierte, ist die erste deutsche Profifußballerin, die als dreifache Mutter in den Leistungssport zurückkehrt. Bereits im Frühjahr 2020 hatte die gebürtige Dannenbergerin Zwillinge zur Welt gebracht.

HSV-Frauen: Almuth Schult spricht über Geschlechtergerechtigkeit

Vor ihrer zweiten Schwangerschaft war Schult, die auch als TV-Expertin für die ARD aktiv ist, zum Angel City FC in die USA gewechselt, aus familiären Gründen aber nach wenigen Monaten nach Deutschland zurückgekehrt. Im Anschluss gab sie im November 2022 nach 1165 Tagen ihr Comeback bei der Nationalmannschaft, ehe sie erneut schwanger wurde.

Beim Heimspiel der HSV-Frauen gegen den VfL Wolfsburg II an diesem Sonntag (14 Uhr) wird Schult mit leichten muskulären Problemen noch aussetzen, zu ihrem ersten Einsatz dürfte es dann am 28. April auswärts beim SC Sand kommen. Im Abendblatt spricht Schult über ihre Rückkehr in den Leistungssport, Geschlechtergerechtigkeit und ihren Traum von einer erneuten Olympiateilnahme.

Hamburger Abendblatt: Frau Schult, Sie haben im vergangenen August Ihr drittes Kind bekommen. Wie kam es dazu, dass Sie jetzt einen Vertrag beim HSV unterschrieben haben?

Almuth Schult: Ich habe schon im vergangenen Herbst betont, dass es mein Wunsch ist, in den Spitzenfußball zurückzukehren. Als ich im letzten halben Jahr auf Vereinssuche war, hatte ich zu verschiedenen Clubs Kontakt. In dem Zusammenhang bin ich auch sehr dankbar, dass ich mich in dieser Zeit bei der zweiten Mannschaft des VfL Wolfsburg fit halten konnte. So hat es sich dann bis zum HSV herumgesprochen, dass ich es im Training wieder ganz gut mache. Für mich ist die räumliche Nähe zu unserem Wohnort im Wendland hilfreich, sodass wir als Familie nicht umziehen müssen. Wenn der Verkehr in Hamburg mitspielt, benötige ich etwa eine Stunde und 45 Minuten mit dem Auto zum Trainingsgelände.

Sie haben einst zwischen 2007 und 2008 bei den HSV-Frauen Ihre ersten Schritte im Seniorinnenbereich gemacht. Inwiefern haben Sie verfolgt, was danach in Hamburg passiert ist?

Ich habe stets mitbekommen, was sich beim HSV entwickelt hat. In den Gesprächen ist mir jetzt noch mal sehr deutlich geworden, welche Ambitionen die HSV-Frauen haben. Anders als in der Vergangenheit, als das Bundesligateam abgemeldet werden musste, spüre ich jetzt eine richtige Aufbruchsstimmung innerhalb des Vereins. Dass es zurzeit in Anführungszeichen nur die Zweite Liga ist, hat in meinen Überlegungen keine Rolle gespielt. Ich bin einfach froh, dass mir ein Verein zutraut, in den Spitzenfußball zurückzukehren. Ich habe auch erlebt, dass viele europäische Vereine nicht wussten, wie sie mit mir als Mutter umgehen sollen.

Und beim HSV war das anders?

Definitiv, das habe ich sofort in den Gesprächen gespürt. Für mich waren immer die zentralen Fragen, wie der HSV zum Thema Familie steht und wie ich das im Hintergrund mit den Kindern organisiert bekomme. Weil der Verein bei diesem Thema sehr offen war, hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Das hat sich auch sofort bestätigt, als der Kleine vor ein paar Tagen das erste Mal in der Kabine dabei war. Die Mädels haben ihn mit freudigen Augen empfangen und werden auch bald meine Zwillinge kennenlernen. Diese Herzlichkeit zu spüren, ist wirklich schön.

Almuth Schult nimmt Vereine und Verbände in die Pflicht

Wie sehr nervt Sie die Frage, wie sie den Spagat als Profifußballerin und Mutter organisiert bekommen? Die männlichen HSV-Profis werden nicht gefragt, wie sie das mit ihren Kindern denn so meistern…

Stimmt, das werden sie sogar ganz sicher nicht. Unsere Gesellschaft befindet sich gerade zwar im Wandel, aber es ist immer noch keine Normalität, dass man gleichzeitig Mutter und Profifußballerin ist. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Herausforderungen es gibt. Wenn Frauen im Profifußball ähnlich viel wie Männer verdienen würden, müsste man sich um die Kinderbetreuung auch keine Sorgen machen. Abgesehen von diesem Gender Pay Gap verliert man als Frau durch eine Schwangerschaft auch mindestens ein Jahr der Karriere. Das ist in einem Geschäft, in dem Verträge ohnehin nur auf wenige Jahre befristet sind, eine lange Zeit. In diesem Zeitraum kann beispielsweise ein neuer Trainer kommen, eine neue Torhüterin verpflichtet werden oder auch der Vertrag auslaufen. Ich glaube, dass das viele Frauen davon abhält, während ihrer Karriere ein Kind zu bekommen.

Was können Vereine und Verbände dagegen tun?

Den Frauen müsste mehr Unterstützung und Sicherheit vermittelt werden. Alle sprechen immer davon, dass wir unseren Nachwuchs für den Fußball begeistern wollen. Was gibt es Besseres, wenn Kinder damit aufwachsen, dass die eigene Mutter noch als Profisportlerin aktiv ist? Für meine Kinder ist es normal, dass der Sport eine große Rolle spielt. Bei männlichen Profis gibt es genug Beispiele von Söhnen und Töchtern, die wie ihre Väter eine Profikarriere einschlagen, weil sie das so vorgelebt bekommen. Ich würde mich freuen, wenn das auf der weiblichen Seite irgendwann genauso ist.

Es lässt sich biologisch nicht ändern, dass die Frau die Kinder zur Welt bringt. Aber was sind konkrete Ideen, um zumindest eine Angleichung der Chancenverhältnisse zwischen Männern und Frauen zu erreichen?

Zum einen geht es dabei um ein professionelles Gehalt. In der Zweiten Liga haben fast alle Spielerinnen noch einen Job, ein Studium oder eine Ausbildung. Da ist es schwierig, sich nebenbei auch noch auf den Leistungssport und eine Familie mit Kindern zu fokussieren. Zum anderen könnte ich mir vorstellen, dass Dachverbände wie die Fifa beschließen, Gehälter bei auslaufenden Verträgen während der Schwangerschaft teilweise weiter zu zahlen. Ich fände es auch super, wenn Vereine irgendwann eigene Kitas oder Trainingspläne speziell für Schwangere und Mütter anbieten würden.

Wie organisieren Sie zurzeit Ihren Trainingsalltag?

Ich nehme den Kleinsten aktuell regelmäßig mit zum Trainingszentrum. Während er beispielsweise beim Physio oder im Kraftraum bei meinen individuellen Einheiten dabei sein kann, ist das im Teamtraining schon etwas schwieriger. Deshalb bekomme ich viel Unterstützung von Freunden in Hamburg, die mir die Kinder dann für ein paar Stunden abnehmen. Weil auch mein Mann voll berufstätig ist, sind wir auf diese Unterstützung angewiesen.

Fehlt den Vereinen immer noch das Verständnis dafür, welchen Herausforderungen Mütter im Profisport begegnen?

Während meiner Zeit beim Angel City FC habe ich erlebt, dass es auch anders geht. Der Verein wurde 2020 unter anderem mit dem Ziel gegründet, für Gleichberechtigung einzustehen. Dort war es normal, dass die Kinder vor dem Spiel in der Kabine sind oder mit dem Teambus zum Spiel fahren. In Deutschland erscheint das noch unmöglich, da gehört es zum professionellen Denken leider dazu, die Kinder eher außen vor zu lassen. Wir Deutsche sind ohnehin große Gewohnheitstiere, die oft damit argumentieren, dass unser Handeln auch in der Vergangenheit funktioniert hat. Warum sollte man also etwas verändern? Ich persönlich wünsche mir da manchmal mehr Mut zur Veränderung und gesellschaftlichen Innovation, wenngleich ich schon Fortschritte bemerke. Bei der EM 2022 in England waren meine Zwillinge mit im Teamhotel dabei, auch in Wolfsburg konnte ich sie mit ins Trainingslager nehmen. So etwas wäre vermutlich vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen.

Fehlen Ihrer Meinung nach auch die Frauen in den Führungsebenen im Fußball, um Veränderungen voranzutreiben?

Es stimmt, dass die Entscheider im Fußball sehr oft männlich und manchmal nicht gerade dynamisch-fortschrittlich sind, um das mal vorsichtig auszudrücken. Ich bin mir sicher, dass es hilfreich wäre, auf dieser Ebene verschiedene Perspektiven mit einfließen zu lassen.

Schult könnte nach der Karriere selbst in Gremien mitwirken

Wäre es für Sie eine Option, nach der Karriere selbst in einem entsprechenden Verbandsgremium mitzuwirken, um aktiv mitzugestalten?

Theoretisch wäre das denkbar. Ich habe mir bisher aber noch keine konkreten Gedanken darüber gemacht, wie mein Leben in zehn Jahren aussehen kann. Dem Fußball möchte ich grundsätzlich gerne verbunden bleiben, weil das meine große Leidenschaft ist. Deshalb habe ich mich mit meinem Sportstudium, meinen Trainerinnen- und Schiedsrichterinnenscheinen und meiner Tätigkeit als TV-Expertin auch breit aufgestellt. Wo ich am Ende lande, wird man sehen. Ich möchte nichts ausschließen.

Ein Thema, das im Frauen-Profisport nur stiefmütterlich behandelt wird, ist der weibliche Hormonzyklus und dessen Auswirkungen auf das Schmerzempfinden und die Leistungsfähigkeit. Wieso ist das Thema so wenig im Fokus?

Gute Frage. Bei dem Thema kommt noch dazu, dass es bei jeder Frau sehr individuell ist. Manche Frauen wollen auf ihren Zyklus abgestimmt trainieren, andere wollen sich darum weniger Gedanken machen. Ich finde es wichtig, dass das Thema in der Wissenschaft Gehör findet, weil Frauen nun mal andere Bedürfnisse haben. In der Vergangenheit wurde man als Frau genauso trainiert wie als Mann. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das so nicht sein sollte. Insbesondere nach meiner Schwangerschaft habe ich gemerkt, wie sich der Hormonspiegel verändert und wie sehr sich das auf den Körper auswirkt. Da tauchen Probleme auf, über die man nicht ansatzweise nachdenkt, wenn man nicht selbst betroffen ist.

An manchen Tagen gab es auch Zweifel, ob die Rückkehr sinnvoll ist

Hatten Sie nach Ihren Schwangerschaften auch Tage, an denen Sie gerade deshalb mit dem Leistungssport aufhören wollten?

Definitiv gab es Tage, an denen man keine Lust mehr hatte. Diese Tage kennt aber vermutlich jeder Leistungssportler und jede Leistungssportlerin. Das ist vergleichbar mit einer Rehaphase nach einer Verletzung, wobei der Körper nach einer Schwangerschaft natürlich nicht im klassischenSinne verletzt ist, sondern allein aufgrund der hormonellen Basis nicht so leistungsfähig ist. Bei meiner zweiten Schwangerschaft war es leichter, mit diesem körperlichen Wandel umzugehen, weil ich die Erfahrungen schon mal gemacht hatte. Mit der richtigen Motivation und Leidenschaft macht es aber auch Spaß, sich wieder auf sein altes Leistungsniveau zurückzukämpfen. Wenn man das erste Mal nach Monaten wieder schneller läuft oder gegen den Ball tritt, macht das einfach großen Spaß. Genauso gibt es aber auch Tage, an denen das Training einfach nur wehtut.

Inwiefern motiviert es Sie auch, ein Vorbild für junge Profisportlerinnen zu sein, die sich ebenfalls Kinder wünschen, aber wegen der Profikarriere unsicher sind?

Ich empfinde es jedenfalls als sehr große Ehre, wenn mich andere Menschen als Vorbild sehen. Ich freue mich auch, wenn ich von Bundesliga-Fußballerinnen wie Wolfsburgs Tabea Sellner oder Freiburgs Meret Felde höre, die schwanger sind beziehungsweise gerade ihr Kind bekommen haben. Gleichzeitig gibt es auch Trainerinnen in Freiburg und Hoffenheim, die Nachwuchs erwarten. Solch eine Häufung hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Es freut mich, wenn ich eventuell ein kleiner Auslöser war, um anderen Frauen Mut zu machen. Für die Zukunft macht mich das sehr zuversichtlich.

Mehr zum Thema

Die Zukunft ist ein gutes Stichwort. Ihr Vertrag beim HSV läuft erst einmal nur bis zum Sommer. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie es danach weitergeht?

Zunächst einmal bin ich froh, dass ich hier beim HSV die Chance bekomme. Wie es nach der Saison weitergeht, werde ich mit dem Verein gemeinsam besprechen. Zuerst müssen wir abwarten, wie es organisatorisch und sportlich für mich läuft.

Ist Olympia nach wie vor ein Traum von Ihnen? Zu Bundestrainer Horst Hrubesch haben sie hier beim HSV ja einen sehr guten Draht…

Wenn man schon mal die Erfahrung machen durfte, an Olympischen Spielen teilzunehmen, träumt man natürlich von einer erneuten Teilnahme. Auch wenn man sich als Leistungssportlerin immer große Ziele setzen sollte, muss ich realistischerweise sagen, dass die Chance, in diesem Sommer dabei zu sein, sehr klein ist. Dafür hätte ich schon viel früher einen Verein finden und regelmäßig spielen müssen. Andererseits weiß man nie, welche Umstände in den nächsten Monaten Einfluss nehmen und unter den aktiven deutschen Torhüterinnen bin ich diejenige, mit der größten Turniererfahrung. Man wird sehen, was passiert. Zunächst einmal muss ich aber wieder auf dem Platz meine Leistung bringen.