Hamburg. Mit vermeintlich kleineren Gegnern taten sich die Hamburger in der Vergangenheit häufig schwer. Wie der neue Trainer das ändern will.
Steffen Baumgart war am Freitag wieder voll in seinem Element. „Jaaaaaaa, jaaa, rauf, rauf, Druuuuck“, brüllte der HSV-Trainer in Richtung seiner Spieler, trieb sie bei der Spielform im Training immer wieder an. Vor dem Heimspiel gegen den Tabellenletzten VfL Osnabrück am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt) ist klar, dass Baumgart einen Spannungsabfall unbedingt vermeiden will. Zu häufig sind beim HSV Spiele gegen vermeintlich schwächere Gegner schon schiefgegangen.
Nun würde es Baumgart nicht gerecht, ihn nur als Motivator zu beschreiben. Eine Trainer-Pro-Lizenz lässt sich schließlich nicht aus der Müslipackung ausschneiden. Neben Baumgarts taktischem Verständnis darf man aber durchaus hervorheben, dass es der gebürtige Rostocker versteht, seine Spieler heiß zu machen.
HSV News: Baumgart: „Fußball ist eine Kampfsportart“
„Fußball ist eine Kampfsportart“, sagte Baumgart am Freitag. „Bevor wir über Fußball und schöne Ablaufe reden, müssen wir dem Gegner erst einmal die Mentalität und Laufbereitschaft entgegenbringen. Wir müssen in den Zweikämpfen genauso intensiv arbeiten wie Osnabrück.“
Es ist genau diese Einstellung, die dem HSV in den vergangenen Jahren zu häufig fehlte. Allein gegen Osnabrück gab es in den fünf zurückliegenden Zweitligaspielen lediglich einen Sieg. „Es ist das größte Problem, dass man immer glaubt, dass ein kleiner Gegner kommt. Ich weiß nicht, ob Osnabrück ein kleiner Gegner ist“, sagte Baumgart. „Da kommt eine Mannschaft, die sehr viel Mentalität auf den Platz bringt und gegen die oberen drei Teams bisher nicht ein Spiel verloren hat.“ Und sowieso: „Wir sollten aufhören, an unserem Standort von klein und groß zu reden.“
Baumgart kennt die Perspektive des Underdogs
Denn wie sich die „kleinen“ Teams fühlen, weiß Baumgart aus eigener Erfahrung. Als Spieler war er mit Hansa Rostock, Union Berlin oder Energie Cottbus häufig der Außenseiter, auch aus seiner Trainerzeit beim SC Paderborn kennt er diese Perspektive. Auch deshalb will er den HSV-Profis gezielt mehr Demut und Respekt vor dem Gegner vermitteln.
Unter seinem Vorgänger Tim Walter („Ich gucke nie Zweite Liga“) klang das noch ganz anders. Umso mehr fielen Walter und dem HSV in der Hinrunde die Niederlagen gegen die Aufsteiger SV Elversberg und Osnabrück (beide 1:2) auf die Füße. Insbesondere im Auswärtsspiel beim VfL lieferte der HSV eine erschreckende Vorstellung ab, spielte vor allem in der zweiten Halbzeit völlig ohne Elan. „Bodenlos“ nannte es Walter damals.
Das Walter-Credo („Wir bleiben bei uns.“) löst Baumgart beim HSV ganz bewusst auf. Für den gebürtigen Rostocker ist es selbstverständlich, auch öffentlich auf die Stärken des Gegners hinzuweisen. „Sie haben ein sehr gutes Umschaltspiel, weil sie sehr schnelle Spieler haben. Es ist auch eine Mannschaft, die nie aufgibt und immer wieder zurückkommt.“
Baumgart lebt Leidenschaft und Kampf an der Seitenlinie vor
All das soll die Sinne schärfen, eine (wenn auch ungewollte) Überheblichkeit im Keim ersticken – ohne sich dabei unnötig klein zu machen. „Gerade zu Hause sollten wir das Spiel gewinnen. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass dazu 95 Minuten harte Arbeit gehören“, stellte Baumgart klar.
Diese Einstellung lebt der Trainer nicht nur im Training, sondern auch während des Spiels vor. Seine Stimmbänder müssen sich mittlerweile mit der Heiserkeit als Dauerzustand abgefunden haben. Hinzu kommen immer wieder laute Pfiffe, um seinen Spielern kleine Hinweise zu geben. „Ich brauche nicht nur das Hin- und Herlaufen für mein Spiel. Die Coachingzone ist mir sowieso zu klein. Ich brauche auch das Pfeifen, um Kontakt zu den Jungs zu halten“, sagte Baumgart.
Pagelsdorf beobachtet Baumgarts Entwicklung
Diese Eigenschaft, eine Mannschaft als Trainer leidenschaftlich und lautstark zu führen, hat sich bei ihm allerdings erst im Laufe der Jahre entwickelt. „Als Spieler war er sehr zurückhaltend und ruhig. Es war zu der Zeit aber grundsätzlich nicht so, dass einzelne Spieler auf mich zugegangen sind, um Taktikvorschläge zu machen“, erinnert sich Frank Pagelsdorf, der Baumgart 1994 als 22-Jährigen zu Hansa Rostock holte, im Gespräch mit dem Abendblatt.
Erst als der frühere Stürmer 2008 langsam ins Trainergeschäft einstieg, entwickelte sich dessen Art. Pagelsdorf, der zwischen 1997 und 2001 den HSV trainierte, verfolgte Baumgarts Karriereweg ganz genau. Absehbar sei die Trainerkarriere seines früheren Schützlings zwar nicht gewesen, so Pagelsdorf. „Ich freue mich aber immer und finde es interessant, wenn ein Ex-Spieler von mir so einen erfolgreichen Weg als Trainer geht“, sagt der 66-Jährige. „Er ist ein etwas ungewöhnlicher Trainer, der es aber ungemein versteht, eine Mannschaft zu motivieren und seine Vorstellungen zu vermitteln.“
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Das wird auch am Sonntag gegen Osnabrück nötig sein. Pagelsdorf, der bei den HSV-Spielen mittlerweile als Fan mitfiebert, wird genau beobachten, ob Baumgarts Spieler mit dem nötigen Feuer in die Partie gehen. Sollte das der Fall sein, ist Pagelsdorf überzeugt, gibt es im Sommer auch einen Grund zum Feiern.
„Steffen Baumgart passt perfekt zum HSV“, sagt der Ex-Coach. „Ich bin absolut davon überzeugt, dass er den Verein in die Bundesliga führt. Ich könnte mir momentan keinen besseren HSV-Trainer vorstellen.“