Hamburg. Trainerentscheidung naht. HSV-Profis könnten einen neuen Impuls gebrauchen. Wie es um Steffen Baumgart steht.

Am späten Sonnabend war der fast die komplette Saison fehlende Sebastian Schonlau endlich wieder mittendrin. Nur wenige Stunden nach dem enttäuschenden 2:2 des HSV bei Abstiegskandidat Hansa Rostock traf sich der HSV-Kapitän mit seinen Mitspielern Ludovit Reis, Robert Glatzel, Miro Muheim und Bakery Jatta beim Italiener Ristorante Palazzo in Harvestehude.

Was genau am Tisch der fünf Leistungsträger besprochen wurde, ist nicht bekannt. Die vom Lokalbesitzer Massimo öffentlich zur Schau getragene Verabredung zeigt aber, dass die Mannschaft auch nach dem Trainerwechsel von Tim Walter zu Merlin Polzin intakt ist und sich bei jeder sich bietenden Möglichkeit als Einheit präsentiert.

„Die Stimmung in der Mannschaft ist trotz des Trainerwechsels positiv“, stellte Robert Glatzel klar, der dem HSV mit seinem späten Tor in Rostock einen Punkt rettete.

HSV-Trainer Polzin: Liegen Probleme tiefer?

Die Partie zeigte allerdings auch, dass eine positive Stimmung allein nicht reichen wird für den Aufstieg. Nach einer vernünftigen ersten Halbzeit, in der die Idee Polzins in Ansätzen sichtbar wurde, wie er dem HSV defensive Stabilität vermitteln will, zeigten die Hamburger im zweiten Durchgang ein Gesicht, das eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Mit jeder Minute wurde der Spielverlauf hektischer, wie Polzin und die Spieler einräumten. Plötzlich fehlte es an Kontrolle, Kompaktheit und Torgefahr. Stattdessen reichte den Rostockern oftmals ein langer Ball und ein gewonnenes Kopfballduell, um zu einer Torchance zu kommen.

Der Auftritt beinhaltete noch zu viele Elemente der Philosophie Tim Walters, die in dieser Saison einen Nachweis schuldig geblieben ist, den HSV konstant zum Erfolg führen zu können. Viel gravierender ist jedoch die mentale Verfassung, in der sich die verunsicherten Spieler befinden. Liegen die Probleme möglicherweise tiefer als bislang angenommen?

„Wir haben es nicht geschafft, Ruhe im Spiel zu behalten, aber es liegt mir fern, von tiefergehenden Problemen zu sprechen. Es ist ein Fußballspiel, in dem wir nicht die richtigen Lösungen gefunden haben“, sagte Polzin, der das Positive hervorhob, indem er auf wenig Torchancen des Gegners und viele Ballgewinne im ersten Durchgang verwies. „Wir konnten viel von den Dingen sehen, die wir uns vorgenommen und erarbeitet haben.“

Merlin Polzins Debüt als HSV-Trainer verlief unbefriedigend.
Merlin Polzins Debüt als HSV-Trainer verlief unbefriedigend. © Getty Images | Joern Pollex

HSV-Innenverteidiger mit vielen Mängeln

Die auffälligste Änderung war die Positionierung Jonas Mefferts, der bei gegnerischem Ballbesitz mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette bildete. „Das gab unseren Innenverteidigern die Möglichkeit, aggressiver nach vorne zu verteidigen“, erklärte Polzin seine Idee, die in der Theorie für mehr defensive Stabilität sorgen sollte. In der Praxis reichten Rostock jedoch die Beobachtungen einer Halbzeit, um sich den passenden Gegenzug auf diesen taktischen Kniff einfallen zu lassen.

Dass Polzin überhaupt zu dieser Maßnahme griff, unter der die eigene Torgefahr litt, zeigt, wie groß die Not in der Innenverteidigung momentan ist.

Ambrosius und Ramos, die jeweils nur ein Drittel ihrer Zweikämpfe gewannen, trafen fast immer die falsche Entscheidung. Phasenweise herrschte eine defensive Unordnung, die dazu führte, dass der nicht gerade sprintstarke Meffert als letzter Mann in Laufduelle verwickelt war. Hinzu kommen die hinlänglich bekannten Schwächen im Spielaufbau des Abwehrduos. Ramos und Ambrosius spielten gerade einmal einen erfolgreichen Pass in das Angriffsdrittel und erreichten damit denselben Wert wie der erst in der 88. Minute eingewechselte Schonlau, auf dem nun alle Hoffnungen ruhen.

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Umso größer waren die Sorgenfalten, als der Abwehrchef a.D. am Sonntag beim Training fehlte. Doch es folgte die Entwarnung: Schonlau, der zwei Monate gefehlt hatte, war im Kraftraum und wird nach einem Tag Pause am Dienstag wieder mit der Mannschaft trainieren. Sein Startelfeinsatz beim kommenden Heimspiel gegen Elversberg gilt als sich. Durch Ramos’ Gelbsperre und die Formschwäche von Ambrosius könnte der in Rostock gesperrte Dennis Hadzikadunic eine neue Chance an Schonlaus Seite erhalten.

Baumgart zum HSV?

Ob dann auch Polzin eine weitere Chance als Trainer erhält, ist dagegen fraglich. „Es geht einzig und allein um den HSV und nicht um meine Person“, sagt Polzin, der selber nicht weiß, wie lange er als Interimstrainer tätig sein darf oder ob er wieder in die zweite Reihe als Assistent rücken soll. Durch den Auftritt in Rostock hat sich der Druck auf Sportvorstand Jonas Boldt erhöht, eine aufstiegstaugliche Lösung zu präsentieren.

Vor dem Anpfiff sprach der Manager bei Sky von einer „Idee“, die es „auf jeden Fall“ gebe, dass Polzin auch gegen Elversberg in der Verantwortung stehen wird. „Aber der Fußball ist sehr dynamisch und viele Dinge spielen eine Rolle“, ließ sich Boldt eine Hintertür offen. Nach Abendblatt-Informationen wird der HSV Anfang der Woche entscheiden, ob es mit Polzin oder einem neuen Chefcoach weitergeht.

Ein Kandidat bleibt Steffen Baumgart, der dem Vernehmen nach weiterhin bereit wäre, den Job zu übernehmen. Sein Vertrag beim 1. FC Köln wurde inzwischen aufgelöst, der HSV müsste also keine Ablöse zahlen. Doch womöglich steht Baumgart nicht auf Position eins der Kandidatenliste.

+++ Update: HSV-Verhandlungen mit Baumgart haben begonnen +++

Steffen Baumgart hat seinen Vertrag beim 1. FC Köln aufgelöst. Schlägt der HSV zu?
Steffen Baumgart hat seinen Vertrag beim 1. FC Köln aufgelöst. Schlägt der HSV zu? © Imago / Beautiful Sports

Braucht HSV neuen Trainer? Was macht Boldt?

In Rostock lieferte die Mannschaft einige Argumente, einen neuen Impuls zu benötigen, auch wenn das offiziell keiner sagte. „Ein Fortschritt war es leider nicht. Ich würde sagen, es ist ein Stillstand, aber wir wollen uns ja weiterentwickeln“, fasste Glatzel die Lage treffend zusammen.

Dem HSV muss es nun gelingen, die richtige Balance aus tatsächlicher und nicht nur gewünschter defensiver Stabilität und einer dominanten Offensive zu finden. „Wir haben uns zu wenig Torchancen herausgespielt und viel zu lange gebraucht, um Druck auszuüben“, monierte Glatzel, der Polzin als „super Trainer“ bezeichnete, aber auch klarstellte: „Wir können uns den Trainer nicht aussuchen. Das hat Jonas (Boldt, die Red.) zu entscheiden.“

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Kiel 29 / 59:34 / 58
1. FC St. Pauli 29 / 54:32 / 57
3. Düsseldorf 29 / 63:35 / 52
4. HSV 29 / 55:41 / 49
5. Hannover 29 / 51:36 / 45
6. Hertha 29 / 60:48 / 44
7. Karlsruhe 29 / 58:43 / 43
8. Fürth 29 / 40:42 / 42