Hamburg. Reaktionen aus Politik und von HSV Supporters Club zum festgesetzten Zug mit 1000 Passagieren. Berichte von kollabierten Fahrgästen.
Wegen einer groß angelegten Razzia der Bundespolizei gegen HSV-Fans am Bahnhof Bergedorf ist am Sonnabendabend ein Regionalzug mit rund 1000 Fahrgästen an Bord mehr als sechs Stunden aufgehalten worden. Etwa 400 Beamte kontrollierten 855 Fußball-Anhänger, die auf dem Rückweg vom Zweitligaspiel des HSV bei Hansa Rostock waren (2:2).
Ziel der Maßnahme: Die Ermittlung von Tatverdächtigen, die sich am 16. September des vergangenen Jahres am Hauptbahnhof Mannheim eine Schlägerei mit Fans von Borussia Dortmund geliefert haben sollen. Außerdem sei es auch an diesem Sonnabend im Anschluss an das Spiel in Rostock am dortigen Hauptbahnhof ebenfalls zu „tätlichen Angriffen“ von HSV-Anhängern in Form von Flaschenwürfen gekommen, wie Bundespolizeisprecher Robert Hemp mitteilte.
Bundespolizei: Nicht alle Fans mussten sechs Stunden bleiben
Der Zug wurde gegen 19.45 Uhr in Bergedorf gestoppt, wo auf dem Bahnhofsvorplatz bereits eine Kontrollstelle eingerichtet worden war. Zunächst wurden normale Bahnreisende und als friedlich eingestufte Fans zu einer bereits wartenden Sonderbahn in Richtung Hamburger Hauptbahnhof Hamburg geleitet. Anschließend führte die Bundespolizei die mutmaßlichen Problemfans in zehn Gruppen aus dem Zug, um in acht Kontrollstraßen die Personalien aufzunehmen und diese zu fotografieren. Anschließend wurden die Fans entlassen.
Gegen 2.20 Uhr in der Nacht war die Aktion abgeschlossen. Dabei hätten laut Bundespolizei nicht alle 855 Fans bis zum Ende ausharren müssen, betonte ein Sprecher gegenüber dem Abendblatt. Wer kontrolliert wurde, habe im Anschluss gehen können. Diejenigen, die zum Schluss an der Reihe gewesen waren, mussten allerdings tatsächlich sechs Stunden lang warten. Laut dem HSV Supporters Club sollen die letzten Fans sogar erst nach sieben Stunden entlassen worden sein.
Ein HSV-Fan wegen Widerstands festgenommen
Nach Angaben der Bundespolizei verlief die Kontrolle weitgehend störungsfrei. Bis etwa 22.30 Uhr habe es lediglich zwei Widerstandshandlungen gegeben. Dabei soll ein Mann gegen den Helm eines Beamten geschlagen haben, nach Feststellung der Personalien kam er wieder auf freien Fuß.
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Ein anderer junger Mann sei in aggressiver Weise auf die Polizeikräfte zu gelaufen und habe bei seiner Ingewahrsamnahme erheblichen Widerstand geleistet. Dabei erlitt er den Angaben zufolge einen Cut an der Stirn. Der Fan, der nach Abendblatt-Informationen zur Ultragruppierung Castaways gehören soll, wurde zunächst festgenommen und zur Wache gebracht.
HSV-Fans sollen kollabiert sein
Die meisten Fans, die mit den Gewalttaten mutmaßlich nichts zu tun hatten, schienen unterdessen unter der Polizeiaktion zu leiden. So hat das Abendblatt aus Fan-Kreisen Hinweise bekommen, dass Personen kollabiert seien. Bundespolizeisprecher Hemp konnte dies nicht bestätigen. Es habe aber mindestens einen Fall von Kreislaufschwäche gegeben, erklärte er am späten Abend. Diese würden von Rettungskräften vor Ort behandelt werden.
Das Hauptproblem für die schwindenden Kräfte der Betroffenen war nach Zeugenaussagen offenbar, dass es im Zug nach dem Abschalten der Klimaanlage sehr warm wurde. Demnach sei das Wasser die Scheiben heruntergelaufen und Fahrgäste hätten vereinzelt Kreislaufprobleme bekommen.
In einem Video der Razzia, das dem Abendblatt vorliegt, ist ferner zu sehen, wie Bundespolizisten eine Person auf dem Bahnsteig fixieren. Das Fixieren mit dem Knie ist bei entsprechenden Einsätzen in Einzelfällen rechtlich zulässig.
Groß-Razzia hatte Auswirkungen auf Regionalverkehr
Die Groß-Razzia hatte auch weitreichende Folgen auf der Bahnstrecke zwischen Rostock und Hamburg. Züge, die hinter dem betroffenen Regionalexpress unterwegs waren, hatten teils massive Verspätungen. Der S-Bahn-Verkehr in Bergedorf laufe normal und sei nicht betroffen, hieß es seitens der Bundespolizei. Regionalbahnen würden derweil umgeleitet.
Super-Recognizer erkennt mutmaßliche Gewalttäter
Die Ermittler erhoffen sich nun mithilfe der Daten, die mutmaßlichen Gewalttäter der Auseinandersetzung von Mannheim und Rostock zu identifizieren und zur Verantwortung zu ziehen. Den Verdächtigen werden verschiedene Straftaten vorgeworfen, darunter schwerer Landfriedensbruch und Körperverletzung. So spricht die Bundespolizei Hamburg, die gemeinsam mit der Direktion Karlsruhe ermittelt, von „schweren körperlichen Auseinandersetzungen im Mannheimer Hauptbahnhof, bei denen auch Glasflaschen geworfen wurden“.
„Wir werden im Nachgang die videografischen Aufnahmen mit den Aufnahmen aus Mannheim abgleichen und so die Identitäten von rund 60 Personen festgestellt haben und können sie der Strafverfolgung zuführen“, sagte Einsatzleiter Jan Müller. „Dabei werden wir eine hohe Erfolgsquote haben, denn einige Personen wurden bereits in der Bahn und beim Spiel in Rostock durch szenekundige Beamte und unseren Super-Recognizer erkannt“, so der Leiter der Bundespolizeidirektion Hamburg.
Insgesamt sollen rund 80 Anhänger des HSV an der Auseinandersetzung in Mannheim beteiligt gewesen sein, 60 Identitäten waren bis dato unbekannt. Am Sonntagmorgen teilte die Bundespolizei schließlich mit, dass durch die Aktion am Bahnhof Bergedorf bislang 52 HSV-Fans identifiziert werden konnten. Insgesamt seien 31 Tatverdächtige ermittelt worden.
„Einsatz war willkürlich“ – HSV Supporters Club kritisiert Polizei-Aktion scharf
Auf X, vormals Twitter, kritisierte der HSV Supporters Club die Polizeiaktion aufs Schärfste: „Der gesamte Einsatz war willkürlich, unverhältnismäßig und rechtswidrig.“ So kommt vor allem die Versorgung mit Wasser zur Sprache, die dem Club-Statement zufolge nur durch HSV-Fans und nur notdürftig gewährleistet worden sein soll.
Der Supporters Club bittet in dem Tweet alle Betroffenen, Gedächtnisprotokolle anzufertigen und diese bei der Fanhilfe Nordtribüne einzureichen. Zugleich kündigte die Organisation an, rechtliche Schritte gegen die Einsatzleitung zu unternehmen.
Bundespolizei: „Keine Toleranz für Fußballstörer“
„Landfriedensbruch ist eine schwerwiegende Straftat, die die Sicherheit und den Frieden unserer Gesellschaft bedroht“, sagte Einsatzleiter Müller. „Wir nehmen diese Straftaten äußerst ernst und setzen alle verfügbaren Ressourcen ein, um die Verantwortlichen zu identifizieren.“
Und Müllers Karlsruher Amtskollege Reinhard Pürkenauer sagte: „Vernetzung der ermittelnden Behörden auf den unterschiedlichsten Ebenen, Akribie bei der Beweisführung und ein entschlossenes Vorgehen der ermittelnden Bundespolizeidienststellen setzen ein deutliches Zeichen gegenüber den ‚Fußballstörern‘. Es gibt keine Toleranz bei Straftaten und Gefahren im Zusammenhang mit dem Fußballfanreiseverkehr!“
Grüne: „Stundenlanges Aufhalten wirkt unangemessen“
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) bewertete den Vorgang von Bergedorf. „So eine Aktion hat immer zwei Seiten“, sagte der Hamburger DPolG-Vorsitzende Thomas Jungfer auf Abendblatt-Anfrage. „Wenn man konkrete Hinweise auf Tatverdächtige im Zusammenhang mit schweren Straftaten wie Landfriedensbruch hat, ist sie nach meiner Ansicht gerechtfertigt. Dann ist es auch besser, man führt so eine Kontrolle an einem Ort durch, an dem man sich vorbereiten kann, damit sie möglichst reibungslos läuft.“ In dem aktuellen Fall spreche das Ergebnis für sich, so Jungfer: „Es konnten ja Tatverdächtige in einem nicht unerheblichen Umfang ermittelt werden.“
Hamburgs Grüne nahmen auf Anfrage ebenfalls Stellung zur Bahnhofs-Razzia. „Die Verfolgung von Straftaten ist eine wesentliche Aufgabe der Polizei, die dabei jedoch stets verhältnismäßig handeln muss“, sagte Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion in der Bürgerschaft, dem Abendblatt. Dies sei der Gradmesser rechtsstaatlichen Vorgehens.
„Das stundenlange Aufhalten eines öffentlich zugänglichen Regionalzuges mit 1.000 Menschen an Bord wirkt vor diesem Hintergrund unangemessen“, so Imhof weiter. „Die Maßnahme der Polizei, die auch zahlreiche Minderjährige und Frauen betroffen hat, scheint nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein. Die Berichte der Betroffenen in den sozialen Medien, die von verwehrten Toilettengängen, mangelndem Zugang zu Wasser und kollabierenden Personen sprechen, nehmen wir äußerst ernst.“ Der Fokus der Partei liege nun darauf, den Einsatz aufzuklären, „damit sich derartige Situationen in Zukunft keinesfalls wiederholen“.
Vonseiten der Hamburger CDU hieß es: „Eine solche polizeiliche Maßnahmen muss immer Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung sein“, sagte Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. „Bei diesen schwerwiegenden Tatvorwürfen ist ein konsequentes Vorgehen zur Ermittlung der Täter aber erforderlich und war in diesem Fall erfolgreich. Auch die Fußballvereine sind in der Pflicht, gegen Hooligans und Straftäter konsequent vorzugehen, denn unter ihnen leiden vor allem auch die echten Fußballfans.“
FC. St. Pauli: Anhänger der Konkurrenz zeigen sich am Sonntag mit den HSV-Fans solidarisch
Ähnlich äußerten sich die Linken. „Dieser Einsatz wirft auf jeden Fall Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf“, sagte Cansu Özdemir, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, auf Abendblatt-Anfrage. „Fußballfans wurden über Stunden festgehalten, um alle zu überprüfen. Wir werden zu diesem Vorgang morgen eine schriftliche kleine Anfrage an den Senat stellen.“ In der Schriftlichen Kleinen Anfrage wird es darum gehen, dass die Zustände in dem Zug dem Vernehmen nach „desaströs“ gewesen seien. Eingereicht werden soll sie spätestens am Dienstag.
Der Staatsrat der Innenbehörde, Christoph Holstein, wollte sich auf Anfrage mit Verweis auf die Zuständigkeit der Bundespolizei hingegen nicht zu dem Einsatz äußern.
Anhänger der Lokalkonkurrenz FC St. Pauli zeigten sich am Sonntag während des Spiels gegen die Eintracht Braunschweig solidarisch mit den betroffenen HSV-Fans. Auf einem Banner war während des Spiels zu lesen: „6 Stunden Bergedorf habt nicht mal ihr verdient!“.
HSV-Fans verwüsten Imbiss – drei Verletzte
Unterdessen wurden auch weitere Vorfälle im Rahmen der als Risikospiel eingestuften Partie im Ostseestadion bekannt. Nach Angaben der Rostocker Polizei sollen demnach Hamburger Fans in der Halbzeitpause am Sonnabend einen Imbissstand im Gästebereich mit Pyrotechnik beworfen, geplündert und verwüstet haben.
„Durch den Angriff erlitt eine Person eine Kopfplatzwunde und bei zwei weiteren Mitarbeitern der Cateringfirma wurde ein Knalltrauma festgestellt“, teilte die Polizei am späten Nachmittag mit. Die Verletzten wurden demnach vor Ort medizinisch behandelt, Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruch würden geführt.
Für das Spiel waren rund 880 Landespolizisten im Einsatz, darunter auch Beamte aus Schleswig-Holstein und Bremen. Der Fandachverband des HSV sprach in einer ersten Einordnung der Geschehnisse von einem „undurchdachten Einsatz von Ordnungsdienst und Polizei“ Es seien HSV-Fans verletzt worden, schrieb der Supporters Club bei X. Dazu habe es ein Gedränge gegeben, „das deutlich dramatischer hätte enden können“. Betroffene Anhänger wurden gebeten, sich bei der Fanhilfe zu melden.