Hamburg. Der Konflikt zwischen den aktiven Fanszenen und der DFL ist festgefahren. Eine Eskalation scheint unausweichlich.
Am Sonnabend wird es wieder länger dauern, wenn der HSV bei Hansa Rostock (13 Uhr) gastiert. Experten rechnen erneut mit Protesten gegen den anvisierten Investorendeal der Deutschen Fußball-Liga (DFL), beide Mannschaften müssen sich auf Spielunterbrechungen einstellen.
„Wir müssen davon ausgehen, dass der Konflikt lange Zeit anhalten wird, sogar über die Saison hinaus“, sagt Fanforscher Harald Lange im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden. Doch warum ist der Konflikt so festgefahren?
HSV-Fans kritisieren DFL – weitere Proteste
Im Dezember machten die 36 Erst- und Zweitligisten den Weg frei für Verhandlungen mit einem Investor, von dem sich die DFL eine Milliarde Euro für die Beteiligung von acht Prozent der TV-Vermarktung über 20 Jahre erhofft. Dabei hatten sich die Clubs erst im Mai gegen einen solchen Deal ausgesprochen. Die Ultras kritisieren deshalb, dass so lange abgestimmt wurde, bis den Verantwortlichen das Ergebnis passte. „Diese Kritik ist nachvollziehbar“, sagt Lange, der die Gegenrede der DFL natürlich mitbekommen hat.
Der Verband verweist darauf, dass im Vergleich zum Mai-Deal die Milliardensumme halbiert, die prozentuale Beteiligung reduziert (vorher 12,5 Prozent) und ein Machteinfluss für den Investor verhindert wurde. Für den Förderkreis Nordtribüne e.V., ein Zusammenschluss der aktiven Fanszene beim HSV, sind jene „rote Linien“ nicht mehr als ein „reines Lippenbekenntnis“.
DFL-Proteste: Worum es den Ultras geht
Die Sorge der Ultras ist groß, es könnte zu einer Zerstückelung des Spieltags durch unattraktive Anstoßzeiten für den internationalen TV-Markt, die Verlegung einzelner Spiele ins Ausland sowie steigende Ticketpreise kommen – und das entgegen aller Versprechen der DFL. „Wir sehen aus den Erfahrungen der letzten Jahre absolut keinen Anlass, warum man den Verantwortlichen der DFL glauben oder sogar vertrauen sollte“, teilt der Förderkreis Nordtribüne mit.
Hinzu kommt, dass die kleinstmögliche Zweidrittelmehrheit von 24 Ja-Stimmen vermutlich dank der Stimme Martin Kinds zustande kam, der entgegen der Anweisung seines Muttervereins Hannover 96 votiert haben soll. Die Ultras bezeichnen die Abstimmung als „irregulär“ und fordern eine Neuwahl wegen des Verstoßes gegen die 50+1-Regel. Ein Vorwurf, der juristisch noch geklärt werden muss.
DFL-Investorendeal: Wohl keine Neuabstimmung
Die Präsidenten von Union Berlin (Dirk Zingler) und des VfB Stuttgart (Claus Vogt) haben sich der Forderung einer Neuabstimmung bereits angeschlossen. DFL-Präsidiumsmitglied Axel Hellmann (Eintracht Frankfurt) hält eine dritte Wahl dagegen für ausgeschlossen, da die Stimme Kinds „gültig“ und das Ergebnis „rechtskräftig“ sei.
Eine Ansicht, die auch Lange teilt – zumindest aus juristischer Sicht. „Obwohl viele Gründe für eine Neuwahl sprechen, kann ich mir das nicht vorstellen, weil das aus demokratischer Sicht ein Offenbarungseid wäre“, sagt der an der Universität Würzburg tätige Professor für Sportwissenschaft, aus dessen Sicht der Konflikt schon weit vor der Mai-Wahl begann. „Es hätte ein Dialog auf Augenhöhe mit den Fans geben müssen.“
Fanforscher Lange kritisiert „Machtspiel“ der DFL
Was Lange kritisiert, ist „ein mühsames und nicht konstruktives Machtspiel, das nur deshalb stattfindet, weil einer (DFL) viel Macht hat und die andere Fraktion alle Hebel in Bewegung setzt, um dieses Machtmonopol infrage zu stellen.“ Die Aussichten auf ein Zusammenkommen beider Seiten bleiben düster. Zumal die DFL lediglich Bereitschaft für ein Informationsgespräch zeigt, die Eckpunkte des Deals aber nicht zur Debatte stellen will.
Seit dem letzten Spieltag vor Weihnachten bringen Ultragruppierungen Woche für Woche ihren Unmut in deutschen Stadien zum Ausdruck. Anfangs wurde zwölf Minuten geschwiegen, vereinzelt flogen Tennisbälle, Schokoladentaler und Zitronen auf das Feld. Eine kreative Protestform mit Symbolik, denn die Fanbasis ist sauer (Zitronen) über die mutmaßliche Geldgier der DFL-Chefs (Schokoladentaler) und will ein Tennis-Publikum in Fußballstadien verhindern.
Als die öffentliche Aufmerksamkeit sank, brachten die über einen längeren Zeitraum platzierten Tennisbälle vereinzelt Partien an den Rand des Spielabbruchs, so wie beim Auswärtsspiel des HSV Anfang des Monats bei Hertha BSC (2:1). „Der Protest wird ganz hervorragend orchestriert durch leichte und wohlüberlegte Steigerungen. Es kommt einem von außen betrachtet wie ein Drehbuch vor“, sagt Lange.
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Als 96-Ultras beim HSV eine grenze überschritten
Am vergangenen Freitag aber wurde bei der Heimniederlage des HSV gegen Hannover 96 (3:4) eine neue Eskalationsstufe erreicht, als im Gästeblock Plakate mit Porträts in Fadenkreuzen gezeigt wurden, darunter der Kopf von Hannovers Geschäftsführer Kind. „Das Plakat an sich, also ohne den Kontext drumherum mit den Spruchbändern, ist eine geschmacklose Grenzüberschreitung. Man zeigt keine Menschen in Fadenkreuzen“, sagt Lange. Doch der Vorfall sei komplex.
Die 96-Ultras wollten den Dreistufenplan des DFB verhöhnen, der eine Spielunterbrechung bei diskriminierenden Vorfällen erlaubt. Der Vorwurf lautet, der Verband handele nicht konsequent bei rassistischen Äußerungen, während bei Beleidigungen gegen Prominente, wie 2020 beim Fadenkreuz-Eklat gegen Hoffenheims Geldgeber Dietmar Hopp im Heimspiel seiner TSG gegen den FC Bayern, ein Spiel unterbrochen wurde.
Aber muss deshalb erneut ein Fadenkreuz gezeigt werden? Für die Akzeptanz der Proteste und das Ziel, Sympathien zu gewinnen, war diese Form wohl eher kontraproduktiv.
Und dennoch stellt Lange anhand einer eigens durchgeführten Studie „immer mehr Zustimmung unter den Fans“ fest, obwohl in Stadien zuletzt auch Pfiffe gegen die Ultras zu hören waren. Selbst im VIP-Bereich schließe sich ein Drittel den Inhalten der Proteste an, unter allen Anhängern sei es sogar drei Viertel.
HSV inmitten der DFL-Fan-Proteste: Eine Lösung
Wie aber geht es nun weiter? Nach dem Ausstieg der Private-Equity-Firma Blackstone erwartet Lange ein „leichtes Zurückfahren“ der Proteste, die aber „weiterhin sichtbar bleiben“. Einen tatsächlichen Spielabbruch erwartet der Fanforscher erst, wenn DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke (BVB) seine Ankündigung umsetzt, den Deal mit dem letzten verbliebenen Investor CVC bis Saisonende durchzuboxen.
Dabei hält das Finanzunternehmen bereits Anteile an der TV-Vermarktung der spanischen und französischen Liga, weshalb der Vorwurf eines Interessenkonflikts im Raum steht. Verfolgt CVC den Plan, nur eine der drei Ligen gegen die Premier League zu positionieren? „An dieser Stelle merkt man, dass der gesamte Prozess noch nicht ausgereift ist“, kritisiert Lange.
„Mit Blick auf die Tragweite, die so eine Entscheidung für die Stimmung in unserer Fankultur und die wirtschaftliche Zukunft des Fußballs hat, hoffe ich, dass der Zeitdruck herausgenommen wird“, lautet sein Lösungsansatz. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um zurückzurudern und den Prozess neu zu denken.“