Berlin. Partie 30 Minuten unterbrochen. Hertha-Trainer Dardai redete auf Ultras ein. Schiedsrichter erklärt sein Vorgehen. Was die Fans wollen.
Als das HSV-Spiel bei Hertha BSC (2:1) rund 15 Minuten unterbrochen war, betrat Daniel Müssig den Platz. Der Athletiktrainer des HSV versammelte die Hamburger Profis und ließ kurze Sprints durchführen, um die Muskulatur wieder aufzuwärmen. Denn das Verletzungsrisiko beider Mannschaften wurde mit jeder weiteren Minute größer, in der Tennisbälle aus der Berliner Fankurve auf den Rasen flogen.
Rund 20 Minuten dauerte das Schauspiel der Hertha-Ultras, die für ihren Protest gegen den Investorendeal der DFL die große Bühne suchten. Schließlich ging Berlins in der Fanszene beliebter Trainer Pal Dardai auf die erzürnten Anhänger zu. „Ich habe die Fans gebeten, nicht so lange zu protestieren, weil es um die Gesundheit der Spieler geht“, schildert der Ungar seinen Dialog mit dem Capo (Vorsänger). „Die Fans wollten keinen Spielabbruch provozieren.“
In einer informierende Ansprache an die Mannschaft sagte der Capo dagegen nach der Partie: „Uns wäre es egal gewesen, wenn der Schiedsrichter das Spiel abgebrochen hätte. Wir wollen, dass dieser Fußball irgendwo noch eine Tradition behält und sauber bleibt.“
HSV-Spiel bei Hertha stand vor Abbruch
Trotzdem flogen auch nach diesem Gespräch vereinzelt Tennisbälle aus der Ostkurve, weshalb Schiedsrichter Daniel Schlager die Spieler für weitere zehn Minuten in die Kabine schickte. In diesem Moment stand die Partie kurz vor dem Abbruch, wie der Unparteiische nach der Partie einräumte.
„Wenn wir in die Katakomben gehen, ist das das letzte Mittel. Von daher wusste dann auch jeder, welche Konsequenz folgen könnte. Wir waren nicht weit von einem Abbruch entfernt“, sagte der 34-Jährige. „Wir können nicht stundenlang warten, bis die Fans fertig sind. Zum Glück konnten wir das Spiel fortsetzen und regulär zu Ende führen.“ Das war allerdings erst nach einer 31-minütigen Unterbrechung der Fall.
In seiner Entscheidungsfindung bewies Schlager Fingerspitzengefühl. Er sei ein optimistischer Mensch, der immer hoffe, ein Spiel nicht abbrechen zu müssen. Jedenfalls nicht „wegen so etwas“, wie er sagte. „Ich habe viele Gespräche geführt, mit Spielern, mit Vereinsverantwortlichen, die dann ja auch versucht haben, auf die Kurve einzuwirken. Jeder wusste, wo wir stehen, was passieren könnte. Ich bin froh, dass die Fans den Ernst der Lage erkannt haben.“
Dardai bei Fan-Protesten im Fokus
Schlager lobte vor allem den Einsatz Dardais, der sich den Protest der Fans anhörte und sie gleichzeitig um ein Ende der Tennisballwürfe bat, nachdem der Stadionsprecher vergeblich darum geworben hatte. „Ich habe zweimal mit den Trainern gesprochen und wusste, dass es gut ist, dass er (Dardai; d. Red.) in die Kurve geht. Wichtig ist, eine Person zu greifen, die Einfluss hat. Das hat er gut gemacht.“
Schlichter Dardai hob nach der Partie positiv hervor, dass „sich die Profis beider Mannschaften nicht verletzt haben und wir das Spiel sauber zu Ende führen konnten“. Die Fans hätten ein Zeichen setzen wollen, „das wir akzeptieren müssen. Aber es war zu lang.“ Diese Sichtweise vertraten auch die Zuschauer auf den neutralen Rängen, die das Vorgehen der eigenen Ultras mehrfach mit lauten Pfiffen quittierten.
Die unterschiedlichen Meinungen der Fans untermauern die Komplexität des Themas. Zur Erinnerung: Die DFL plant, sechs bis neun Prozent der Einnahmen aus der TV-Vermarktung für 20 Jahre zu verkaufen. Dafür soll es bis zu einer Milliarde Euro geben. Die Investoren sollen dabei keinen Einfluss erhalten, auch einzelne Highlightspiele sollen nicht aus Vermarktungsgründen im Ausland stattfinden, lautet das Versprechen.
HSV-Profi schildert schwierige Situation
Doch viele Fans trauen diesem Versprechen nicht. Schon gar nicht die Hertha-Ultras, die durch den gescheiterten Investoreneinstieg von Lars Windhorst und hunderten verbrannten Millionen Euro leidgeplagt sind. Zudem kritisiert die aktive Fanszene, dass ein zweites Mal über den DFL-Deal abgestimmt wurde, nachdem sich bei einer Wahl im Mai die Mehrheit der Vereine dagegen entschieden hatte. „Solange abzustimmen, bis einem das Ergebnis passt, gehört sich nicht“, kritisierte der Hertha-Capo.
Leidtragende des Protests der Berliner Fans waren am Sonnabend die Spieler. „Das war schon zu viel“, äußerte sich HSV-Mittelfeldspieler Immanuel Pherai. „Immer, wenn wir dachten, es geht jetzt weiter, mussten wir noch mal warten und es hat wieder gedauert. Es war scheiße für uns, weil wir nach der Unterbrechung erst wieder warm werden mussten. Man hat schon gemerkt, dass die Muskulatur kalt und der Körper müde war.“
Für einen Moment habe der Niederländer sich Gedanken über einen möglichen Spielabbruch gemacht. „Zum Glück ist das nicht passiert.“ Auch Torhüter Daniel Heuer Fernandes empfand den Protest als „natürlich nervig“. Mittelfeldstratege Jonas Meffert ergänzte: „Ich kann den Protest der Fans verstehen, auch wenn es als Spieler nervig ist.“
HSV-Spiel vor Abbruch: Was Hertha-Fans bezwecken
Den Fans ist es dagegen gelungen, für Aufmerksamkeit ihrer Interessen zu sorgen. Mit ihrem in dieser Form und vor allem dieser Länge bislang einmaligen Protest haben die Hertha-Ultras ein bundesweites Gesprächsthema gesetzt. Ein Ziel, das die bisherigen, im Vergleich zu den Vorfällen am Sonnabendabend fast schon untergehenden Protestaktionen nicht erreicht haben.
Bislang hatten die aktiven Fanszenen der Erst- und Zweitligisten jeweils nach zwölf Spielminuten Schokoladentaler und Tennisbälle auf die Fußballplätze der Profivereine geworfen – damit jedoch nicht ansatzweise so viele Menschen erreicht wie nun in Berlin.
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Daher darf mit Spannung beobachtet werden, wie die DFL die Problematik kommunikativ angeht und ob der Protest der Hertha-Ultras möglicherweise sogar noch einmal gesteigert wird, es also tatsächlich zu einem Spielabbruch kommt. „Wir werden weiterhin versuchen, die Leute zu stressen, um zu zeigen, was die Basis von dieser Scheiße hält“, sagte der Hertha-Capo.
Klar ist hingegen, dass der Investorendeal nicht mehr rückgängig gemacht wird – und zwar unabhängig von der Wucht der Fanproteste. „Es war ein langer Fußballabend, bei dem viele auf ihre Kosten gekommen sind“, fasste HSV-Trainer Tim Walter die Lage zusammen.