Hamburg. Merlin Polzin hat mit dem HSV in Rostock die Karrierechance seines Lebens. Wie er defensive Stabilität erreichen will.

Um 11.07 Uhr war es so weit. Als sich am Freitag die Tür in der ersten Etage des Volksparkstadions öffnete, ging Merlin Polzin mit einem fröhlichen Lächeln hindurch und nahm zielgerichtet auf dem Pressepodium zu seinem ersten öffentlichen Auftritt als HSV-Trainer Platz.

„Es war eine sehr intensive und für mich persönlich spannende Woche mit all dem, was unten in der Kabine passiert ist“, sagte der 33-Jährige, der seit der Trennung von Tim Walter als Interimscoach tätig ist und nun keine geringere Aufgabe hat, als den HSV beim Auswärtsspiel am Sonnabend gegen Hansa Rostock (13 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) zurück in die Aufstiegsspur zu bringen.

HSV-Trainer Polzin: Die Chance seines Lebens

Von dieser waren die Hamburger zuletzt abgekommen. „Wir haben die Gefahr gesehen, dass es ein Stück aus dem Ruder läuft“, rechtfertigte Sportvorstand Jonas Boldt Anfang der Woche das Aus von Walter und die gleichzeitige Beförderung seines bisherigen Co-Trainers Polzin. Eine nicht nur für Außenstehende überraschende Entscheidung, die womöglich noch weit über das Rostock-Spiel hinaus anhalten könnte.

Denn mit jedem Sieg verschafft das „Trainertalent“ (Boldt) dem Manager mehr Zeit, einen geeigneten Nachfolger für eine langfristige Lösung zu finden. Zugleich erhöht Polzin mit jedem Sieg seine eigene Chance, der nächste Cheftrainer im Volkspark zu werden. Der im Hamburger Stadtteil Bramfeld geborenen HSV-Fan steht also vor nicht weniger als der Karrierechance seines Lebens.

„Der Fokus lag bisher nur auf dem Spiel in Rostock und nicht darauf, was das Spiel für mich persönlich bedeutet und welche Konstellation daraus entstehen könnte“, antwortete Polzin sachlich und ganz im Interesse des Clubs, als er mit der entsprechenden These konfrontiert wurde. Überhaupt hinterließ der „Fachmann“ (wieder Boldt) einen sehr souveränen, eloquenten Eindruck, als er erstmals aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht schlüpfte. Schnell wurde klar, dass die Außendarstellung – einer der internen Kritikpunkte an Walter – unter Polzin eine andere sein wird.

Neue Außendarstellung des HSV mit Polzin

Während sein Vorgänger zweieinhalb Jahre in der Öffentlichkeit den Standpunkt vertrat, nur bei sich zu bleiben und nicht auf den Gegner zu achten, lobte der seit 2020 beim HSV tätige Polzin ungefragt die Qualitäten Rostocks. „Wir treffen auf eine Mannschaft, die mit Trainer Mersad Selimbegovic sehr erfahren ist“, sagte der neue HSV-Interimscoach und hob die Stärken von Torwart Markus Kolke, dem zweikampfstarken Innenverteidiger-Duo Damian Roßbach und Oliver Hüsing sowie dem schnellen Angreifer Kai Pröger hervor. „Wir haben uns gut darauf vorbereitet“, sagte Polzin.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Unter dem bislang für die Gegneranalyse zuständigen Coach werden die Matchpläne künftig etwas stärker auf die Stärken und Schwächen der Kontrahenten ausgerichtet sein. Gleichzeitig will Polzin, wie von Boldt angekündigt, gar nicht so viel an der unter Walter eingeführten Spielidee verändern. Offensiv werden die Hamburger weiterhin auf dominanten Ballbesitzfußball setzen.

Da es der verunsicherten Mannschaft zuletzt an Selbstvertrauen für diese mutige Spielweise mangelte, ist es nun Polzins Aufgabe, die Profis mental zu stärken und ihnen Vertrauen zuzusprechen. „Wir haben in der Zeit mit Tim (Walter) viel Positives bewegt. Daran wollen wir weiterhin festhalten“, sagt Polzin.

HSV unter Polzin kompakter – und stabiler?

Defensiv soll dagegen durch taktische Anpassungen die oftmals mangelhafte Absicherung nach Ballverlusten verbessert werden. Kurz gesagt: weniger Risiko für mehr Stabilität und Kontrolle. Denn die Abwehr bleibt die größte Baustelle nach 43 Gegentoren in 21 Saisonspielen – davon acht in den beiden zurückliegenden Heimspielen gegen den Karlsruher SC und Hannover 96 (jeweils 3:4).

Walter hatte die Vielzahl an Gegentoren stets mit dem Verweis auf individuelle Fehler erklärt, um die Verantwortung an seine Spieler weiterzureichen. Künftig soll hingegen die Fehlerquote minimiert werden, indem den Spielern mehr Sicherheit durch eine stabilere Herangehensweise vermittelt wird.

„Es geht um individualtaktische Dinge, aber auch darum, wie wir im Mannschaftsverbund verteidigen und in welchen Zonen wir die Bälle gewinnen wollen“, deutete Polzin eine kompaktere Spielweise an.

Polzin will neue Defensivlust entwickeln

Im Fokus stehen nun auch die richtige Balance zwischen Angriff und Verteidigung sowie eine neue Gier, Zweikämpfe erfolgreich zu bestreiten. „Eine Defensivlust und eine defensive Stabilität sind das Entscheidende. Das haben wir in dieser Woche richtig gut erarbeitet“, sagt Polzin, der in seiner ersten Woche als Chef viele Einzelgespräche mit den Spielern führte und Videoanalysen mit der Mannschaft ansetzte.

„Ich will mit den Jungs einen Fußball entwickeln und die Spieler besser machen, um als Mannschaft etwas zu erreichen“, sagte der neue Mann, der lieber die Mannschaft als seine persönliche Situation in den Vordergrund rücken will.

HSV-Trainer Polzin hat zwei Personalfragen

Welcher seiner beiden Torhüter in Rostock in den Vordergrund rücken wird, ließ der HSV-Coach allerdings offen. Ob Matheo Raab erneut den Vorzug vor dem bisherigen Stammtorwart Daniel Heuer Fernandes erhält, will Polzin in Absprache mit Torwarttrainer Sven Höh erst am Sonnabend verkünden. Da Höh bereits in Walters Entscheidungsprozess, gegen Hannover den Torhüter zu wechseln, eng involviert war, würde es nicht überraschen, wenn Raab erneut zwischen den Pfosten steht.

Ein zweites Fragezeichen steht hinter dem Einsatz von Kapitän Sebastian Schonlau (Wade), der in dieser Woche erstmals seit zwei Monaten wieder mit der Mannschaft trainierte. Der Abwehrchef sei natürlich ein wichtiger Baustein für das Team, unterstrich Polzin. „Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht nur Rostock, sondern die gesamte Saison im Blick behalten.“

Die Tendenz geht in die Richtung eines Bankplatzes für Schonlau, der behutsam an die Startelf herangeführt werden soll. „Wir mussten lang genug auf ihn verzichten. Jetzt geht es darum, im Sinne des Spielers zu handeln, um möglichst viel von ihm zu haben“, ergänzte Polzin. „Es ist wichtig, dass er für unsere Ziele zur Verfügung steht. Wir müssen das große Ganze im Blick behalten und nicht nur die eine Partie.“ Das könnte nicht nur für Schonlau, sondern auch für Polzin gelten.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

  • Rostock: Kolke – Neidhart, Hüsing, Roßbach, Stafylidis – van der Werff – Pröger, Dressel, Ingelsson, Singh – Junior Brumado.
  • HSV: Raab – Van der Brempt, Ramos, Ambrosius, Muheim – Meffert – Reis, Pherai – Jatta, Glatzel, Dompé.
  • Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)

podcast-image