Hamburg. Der Innenverteidiger und Abwehrchef ist nach monatelangen Wadenproblemen wieder fit. Polzin steht vor schwieriger Entscheidung.

An Belastung mangelte es den HSV-Profis am Mittwoch definitiv nicht, als Interimstrainer Merlin Polzin die Vormittagseinheit nach exakt 100 Minuten beendete. Umso beruhigender war es, dass Kapitän Sebastian Schonlau rund eine halbe Stunde nach diesem ersten echten Härtetest frisch geduscht und mit einem Lächeln einen Raum in der Geschäftsstelle Ost des Volksparkstadions betrat.

„Mir geht es gut, der Wade geht es gut, die Wade hält“, sagte der HSV-Kapitän, der in dieser Saison wegen ständig wiederkehrenden Unterschenkelproblemen nur vier Zweitligaspiele bestreiten konnte. „Es ist klar, dass man nach einem halben Jahr immer ganz genau hinhört. Man guckt bei jedem Treppenschritt, fühlt nach jedem Training genau hinein, ob man etwas merkt.“ Die Verletzungsserie des 29-Jährigen in dieser Saison ist tatsächlich derart gruselig, dass ein ordnender Blick in die Vergangenheit sinnvoll ist.

HSV News: Schonlaus bizarre Verletzungshistorie

Am 17. Juli 2023 titelte das Abendblatt „Wunde Waden“. Das Sommer-Trainingslagers in Kitzbühel war gerade beendet, Schonlau hatte wegen eines Faserrisses nicht mitwirken können. Erst am 3. September stand er im Heimspiel gegen Hansa Rostock (2:0) und eine Woche später bei der SV Elversberg (1:2) wieder auf dem Platz, ehe die Muskelverletzung in der rechten Wade wieder aufbrach. Wieder zweieinhalb Monate Pause, wieder nur Rehatraining mit Sebastian Capel, wieder Warten auf das Comeback.

Am 9. Dezember war es so weit, bei der 1:2-Heimniederlage gegen den SC Paderborn stand er wieder auf dem Platz, auch im DFB-Pokalachtelfinale bei Hertha BSC (6:8 nach Elfmeterschießen) und beim 2:0-Hinrundenabschluss in Nürnberg. Drei Spiele binnen sieben Tagen – und die Wade hielt. Dummerweise aber nur die rechte Seite, in der linken Wade zog sich Schonlau in Nürnberg einen Faszien- und Sehneneinriss zu. Muskelverletzung Nummer drei in dieser Saison.

Schonlau belastete das Verletzungspech auch mental

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ging das Dauerpech auch an die Psyche des Abwehrchefs. Der Kapitän, der zuvor auch als Wortführer in der Kabine Verantwortung übernommen hatte, musste realisieren, dass ihn die Verletzungen auch in seiner Rolle als Anführer beeinträchtigten. „Es ist eine beschissene Situation. Natürlich versucht man, von außen ein bisschen etwas zu geben und zu pushen. Trotzdem weiß man, dass der Wirkungsbereich dabei sehr begrenzt ist“, sagte Schonlau.

In den zwei Spielzeiten zuvor hatte er mit Torhüter Daniel Heuer Fernandes, Sechser Jonas Meffert, Achter Ludovit Reis und Stürmer Robert Glatzel eine Achse gebildet, die der Mannschaft Sicherheit gab. „Eine Achse ist brutal wichtig, weil das die Jungs sind, auf die man sich am Ende des Tages verlassen kann und zu denen die anderen Spieler hochgucken können. Wenn die fehlt, ist das schwierig“, sagte Schonlau. „In der Hinrunde haben wir auch schon viel darüber geredet, als auch Ludo ausgefallen ist.“

HSV-Achse zuletzt deutlich dezimiert

Weil Heuer Fernandes gegen Hannover 96 (3:4) seinen Stammplatz verlor und Reis (nach Schulter-Operation) sowie Schonlau noch nicht wieder voll einsatzfähig waren, existierten unter Ex-Trainer Tim Walter zuletzt nur noch Glatzel und Meffert aus der einstigen Fünfer-Achse. Weil Laszlo Benes, der Reis mit elf Toren und neun Assists in 20 Saisonspielen überragend vertreten hatte, in den kommenden drei Partien Rot-gesperrt fehlen wird, ist Schonlaus Rückkehr umso wichtiger.

Ob Trainer Polzin Schonlau bereits am kommenden Sonnabend (13 Uhr) im Auswärtsspiel bei Hansa Rostock in die Startelf beordert, ist offen. Fest steht aber, dass Schonlau erstmals seit rund zwei Monaten wieder im Kader stehen wird. „Spielen will man immer, glaube ich, aber wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Jetzt gucken wir erst einmal, wie sich die Wade verhält und reagiert. Ich hoffe natürlich, dass sie gar nicht reagiert“, sagte er. „Im Training habe ich zum Glück andere Dinge zu tun und denke gar nicht über die Wade nach. Das ist ein gutes Gefühl und gibt mir Sicherheit. Auch weil ich danach so gut wie nichts merke, bin ich momentan sehr optimistisch und glücklich.“

Entscheidung über Rostock-Einsatz noch offen

Vermutlich werden Polzin und Schonlau die Entscheidung am Freitag oder Sonnabend gemeinsam treffen, ob das Risiko eines erneuten Rückfalls noch zu groß ist. Nach Abendblatt-Informationen soll Schonlau allerdings schon zu Wochenbeginn signalisiert haben, dass er sich vorstellen könne, gegen Rostock aufzulaufen.

Im Training am Mittwoch ließ Polzin zum überwiegenden Teil dennoch Stephan Ambrosius und Guilherme Ramos in der Innenverteidigung der mutmaßlichen A-Elf agieren. Unter den fünf verschiedenen Personalkonstellationen, die es in dieser Saison bereits im HSV-Abwehrzentrum gab, waren Ambrosius und Ramos unter Walter zuletzt zwar das gesetzte, aber gleichzeitig auch fehleranfällige Pärchen. „In der Kette braucht man Sicherheit zum Nebenmann. Die kann man sich auch nur in den Spielen holen, dafür reicht das Training nicht“, sagte Schonlau, mit dem der HSV in den vier Zweitligapartien in dieser Saison durchschnittlich ein Gegentor kassierte. Ohne ihn waren es 27 in 17 Spielen (durchschnittlich 1,58).

Polzin legt Fokus auf Defensivarbeit

Unabhängig davon, ob Schonlau bereits in Rostock oder erst in der kommenden Woche gegen die SV Elversberg (25. Februar) auf den Platz zurückkehrt, ist in den ersten Einheiten unter Polzin bereits eine gewisse Veränderung erkennbar. „Er legt den Fokus deutlich mehr auf die Defensive“, sagte Schonlau. „Wir haben aber auch gesagt, dass wir keine 180-Grad-Wende wollen. Merlin ist auch total von unserer fußballerischen Idee überzeugt.“

Auch Polzin steckt in einer schwierigen Situation. Einerseits muss der Interimstrainer kurzfristig für Siege sorgen, um sich für eine Weiterbeschäftigung zu empfehlen, andererseits ist ihm auch das Risiko eines erneuten Schonlau-Rückfalls bewusst. Wie zuvor unter Walter („Ein Trainerwechsel ist nie schön, man fühlt sich als Mannschaft und Spieler auch immer mit dafür verantwortlich.“) ist das Verhältnis zwischen Kapitän und Chefcoach noch immer einwandfrei – auch wenn die Anrede nicht mehr ganz so förmlich ist. „Wir müssen Merlin jetzt nicht mit ‚Trainer‘ anreden, weil er selber weiß, dass das vielleicht ein bisschen komisch wäre“, sagte Schonlau mit einem Grinsen. „Merlin ist vier Jahre älter als ich, aber unfassbar reif.“

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Und wenn der Interimscoach doch mal Autoritätsprobleme bekommen sollte (wovon nicht auszugehen ist), gibt es ja nach wie vor das Mittel einer besonders ausgedehnten Trainingseinheit. Schonlaus Wade scheint zumindest nichts dagegen zu haben.