Hamburg. Der Interimstrainer des HSV hat seit seinem Amtsantritt bereits einige Änderungen vorgenommen. Förderer adelt Polzin als „Glücksfall“.

Es dürften nicht gerade wenige Nachrichten sein, die seit Montagvormittag auf Merlin Polzins Handy eingetroffen sind. Unter den vielen Gratulanten, die dem 33-Jährigen viel Glück für seine Aufgabe als Interimscoach des HSV wünschten, war auch einer, ohne den Polzins bisheriger Trainerweg nicht möglich gewesen wäre.

Lothar Gans, der von 1998 bis 2017 als Manager und Sportdirektor beim VfL Osnabrück tätig war und den Verein auch heute noch in beratender Funktion unterstützt, gehört zu Polzins größten Förderern. „Ich freue mich, dass Merlin die Chance beim HSV bekommt“, sagt Gans (70), als ihn das Abendblatt am Dienstag am Telefon erreicht.

HSV News: Polzin bewarb sich einst in Osnabrück

Die Geschichte, wie Polzin im Alter von 23 Jahren zum VfL kam, ist bekannt. Der gebürtige Bramfelder, der zuvor bereits bei unteren Nachwuchsmannschaften des HSV aktiv gewesen war, zog für ein Lehramtsstudium in Deutsch und Sport nach Osnabrück, wollte parallel aber weiter als Trainer arbeiten. „Ich habe mir überlegt, welchen Mehrwert ich für den VfL darstellen kann. Ich habe dann einfach beim Training der U17 und U19 zugeschaut und mich anschließend vorgestellt“, erzählte Polzin vor rund drei Jahren im Abendblatt-Podcast „HSV, wir müssen reden“. An der Seite von Daniel Thioune ging es für ihn über die U17 und U19 bis zu den Profis des VfL.

„Merlin war ein Glücksfall für uns“, erinnert sich Lothar Gans. „Ich habe an ihm immer sehr geschätzt, dass er unheimlich wissbegierig war. Er ist jemand, der den Fußball aufsaugt. Durch seine Wissbegierde hat er sich über die Jahre immer weiterentwickelt.“

Polzin gilt als Taktikspezialist und Analytiker

Sowohl in Osnabrück als auch später beim HSV war Polzin in erster Linie im analytischen Bereich tätig, schlüsselte die Spielweise des Gegners auf, tüftelte an der eigenen Taktik. In den vergangenen Jahren kam es beim HSV so regelmäßig vor, dass er Spielern mitten in der Nacht Videomaterial schickte. „Er hat eine hohe Fußballintelligenz“, bestätigt auch Ex-Profi Gans. „Wie er sich als Jugendtrainer und Assistenzcoach in Osnabrück eingebracht hat, war sehr beeindruckend.“

Arbeiteten zweieinhalb Jahre gemeinsam für den HSV: Tim Walter (l.) und Merlin Polzin.
Arbeiteten zweieinhalb Jahre gemeinsam für den HSV: Tim Walter (l.) und Merlin Polzin. © WITTERS | TimGroothuis

Als Thioune im Sommer 2020 zum HSV wechselte, ging Polzin mit. Natürlich – schließlich trifft die anekdotische Erzählung, dass er schon als Kind in HSV-Bettwäsche geschlafen habe, tatsächlich auf ihn zu. „Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit fahre, auf dem Trainingsplatz stehe und zum Stadion hochgucke, denke ich: Was für ein Traum, der hier in Erfüllung geht“, sagte Polzin im Abendblatt-Podcast. Mit seinem jüngeren Bruder Robin (30) stand er einst als Fan auf der Nordtribüne, fuhr hin und wieder auch zu Auswärtsspielen. Auch bis zuletzt, als er unter Tim Walter zu Spielbeginn noch auf der Osttribüne saß, um die Grundformation des Gegners zu analysieren, sang Polzin vor dem Anpfiff immer den „Abschlach“-Song „Mein Hamburg lieb ich sehr“ lauthals mit.

HSV-Verantwortliche schätzen Polzins Expertise

Als Thioune beim HSV im Sommer 2021 gehen musste und Walter übernahm, durfte Polzin bleiben. Schon damals verfolgte HSV-Vorstand Jonas Boldt ganz offenbar den Plan, das Trainertalent weiter zu fördern. Auch deshalb läuft Polzins Vertrag (bis Sommer 2024) unabhängig von Walter. „Wir haben die volle Überzeugung, dass wir hier ein großes Trainertalent haben. Wenn man überlegt, welches Profil man braucht, bringt er viele Dinge mit“, bekräftige Boldt am Montag. Sollte sich der Vorstand für eine externe Trainerlösung nach dem Spiel bei Hansa Rostock (Sa., 13 Uhr) entscheiden, dürfte Polzin auch weiterhin als Co-Trainer dabei sein.

„Merlin ist ein sehr akribischer Arbeiter, der sich immer sehr intensiv um die Vor- und Nachbereitung der Spiele und Trainingseinheiten gekümmert hat“, erinnert sich Lothar Gans. Diese Aussage deckt sich mit den ersten Trainingseinheiten, die Polzin nun als Interimschef beim HSV leitete. Gemeinsam mit Assistent Loic Favé ist er bereits rund eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn auf dem Platz, baut Hütchen und Stangen für die späteren Übungen auf. Im Anschluss geht es zurück in die Kabine und dann geschlossen mit der Mannschaft wieder auf den Platz.

Polzin kommuniziert viel auf dem Platz

Die Übungsformen sind bisher nicht besonders komplex und stets mit einem spielerischen Ansatz, am Montag ging es zunächst in zwei Teams darum, den Ball innerhalb eines großen Vierecks zu halten, ehe es bereits ins Abschlussspiel ging. Auch am Dienstagvormittag ließ Polzin zunächst in verschiedenen Spielformen agieren, bei denen unter anderem immer wieder Angriffe auf ein Tor stattfanden.

Der Fokus dabei lag aber nicht auf den Offensivaktionen, sondern auf der Abwehrkette, die von Polzin ein lautstarkes Dauercoaching erhielt. Am Nachmittag ging es bei einer Flanken- und Abschlussübung um das defensive Umschaltverhalten, mit den Innenverteidigern Guilherme Ramos und Dennis Hadzikadunic führte er zudem tiefergehende Einzelgespräche. Und auch an diesem Mittwoch, wenn Polzin wieder zwei Einheiten angesetzt hat, dürfte es wieder um defensive Stabilität gehen.

Autorität nicht beeinträchtigt

Sein vergleichsweise junges Alter beeinträchtigt Polzins Autorität dabei nicht ansatzweise. „Er hatte durch sein Alter immer einen engen Draht zu den Spielern. Trotzdem wusste Merlin genau, was er wollte. Das haben die Spieler gemerkt“, sagt Lothar Gans. „Als Spieler erkennt man sofort, was ein Trainer draufhat. Da ist es egal, wie alt oder jung man ist.“

Auch Sportvorstand Boldt ist sich bewusst, dass Polzin über große fachliche Kompetenz verfügt, obwohl er „in seinen jungen Jahren natürlich nicht die ganz große Erfahrung aufzuweisen“ habe. Eine „Weiterbeschäftigung“ sei aber „ausdrücklich nicht ausgeschlossen“.

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Und selbst wenn Polzin, der gemeinsam mit Favé derzeit seine DFB-Pro-Lizenz (ehemals Fußball-Lehrer) absolviert, künftig wieder ins zweite Glied rücken müsste, dürfte er dies allein schon zum Wohl seines HSV ohne Murren tun. „Merlin ist Hamburger, der HSV war immer seine große Liebe“, sagt Gans. „Ich wünsche ihm, dass er seine Chance nutzt.“