Hamburg. HSV beschließt ein Festhalten am Trainer, der seine Spielidee anpassen soll. Doch die Zweifel bleiben. Was Boldt sagt.

Sechs lange Tage wurde im Volkspark analysiert, diskutiert und prognostiziert. Allein zwei Tage werteten die Verantwortlichen des HSV die Zweitligaspiele einer letztlich nicht zufriedenstellenden Hinrunde anhand von Daten und Statistiken aus. Mit dem Ergebnis, dass Tim Walter Trainer bleibt, aber künftig taktische Anpassungen seiner defensiv zu anfälligen Spielidee vornehmen soll. Denn der angestrebte Aufstieg ist nach einer sportlich rückläufigen Entwicklung in Gefahr geraten.

„Alle Beteiligten waren sehr detailversessen“, beschrieb HSV-Sportvorstand Jonas Boldt die Gesprächsatmosphäre. „Es war keine oberflächliche Betrachtung, sondern eine tief gehende.“ Denn die Art und Weise, wie sich die Gegentore beim HSV ähneln und sich Fehler in der Defensive wiederholen, ist inzwischen auch intern auf Kritik gestoßen.

HSV-Trainer Tim Walter in der Pflicht

Unter Walter mangelt es gerade auswärts situativ an der nötigen Konterabsicherung nach Ballverlusten. Ein Umstand, der dazu führt, dass gegnerische Spieler zu häufig alleine auf das Tor von Daniel Heuer Fernandes zulaufen dürfen.

Auch beim Hinrundenabschluss in Nürnberg (2:0) waren solche Szenen bei den Torchancen von Daichi Hayashi (57.) und Benjamin Goller (21.) zu beobachten. Letztlich lag es wie so häufig am eigenen Glück sowie der mangelnden Qualität des Gegners, dass der HSV nicht in Rückstand geraten war und als Sieger vom Platz ging.

Doch in Zukunft erwarten die Verantwortlichen mehr Souveränität über die gesamten 90 Minuten und nicht nur in einzelnen Phasen des Spiels. Walter steht nun in der Pflicht, für eine defensive Stabilität zu sorgen. Allerdings ist ihm genau das seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren noch nie langfristig gelungen.

Warum soll sich Walter diesmal anpassen?

Bereits nach der verlorenen Relegation im Sommer gegen Stuttgart war der HSV-Coach dazu angehalten worden, seine mutige und bisweilen riskante Spielidee punktuell zu verändern. „Mehr Ergebnis, weniger Erlebnis“, lautete das Motto für diese Saison. Doch die taktische Flexibilität war nur von kurzer Dauer. Zuletzt spielte der HSV wieder wie gewohnt unter Walter, also mit einer hohen Konteranfälligkeit. Siege wurden hauptsächlich dank der hohen individuellen Qualitäten von Torjäger Robert Glatzel und Mittelfeldspieler Laszlo Benes eingefahren. Viele ihrer Mitspieler befinden sich dagegen seit Wochen im Formtief.

Trotzdem verzichtete Walter, der verantwortlich dafür ist, die Spieler zu entwickeln und besser zu machen, auf zielführende Anpassungen, wie sowohl das Pokal-Aus bei Hertha BSC (3:5 i.E.) als auch das entscheidende Gegentor bei der jüngsten 1:2-Heimniederlage gegen Paderborn zeigten. Zunächst war es Berlins einzig torgefährlicher Spieler Fabian Reese, der über 120 Minuten zu selten gedoppelt wurde. Drei Tage später in der Liga war es der völlig verunsicherte Dennis Hadzikadunic, der als letzter Mann auf Höhe der Mittellinie ohne jede Absicherung folgenschwer stolperte.

Boldt und Costa glauben an Änderung unter Walter

An weiteren Beispielen mangelt es nicht. Und dennoch glauben Boldt und Costa daran, dass sich in der Rückrunde einiges ändern wird. „Wir sind überzeugt, dass wir so die nächsten Schritte machen werden, um als Team noch stabiler, resilienter und erfolgreicher aufzutreten“, sagt Costa. Wie der HSV mitteilte, sollen Alltagsabläufe leistungsfördernder gestaltet werden. Was konkret damit gemeint sei, ließ der Club allerdings offen.

Costa wolle nun Spieler, Trainer und Staff gleichermaßen „daran messen“, die besprochenen Änderungen auch in die Tat umzusetzen. Walters größte Stärke ist es, eine Einheit zu formen. Auf diese Führungsqualitäten, die ihm intern hoch angerechnet werden, wird es nun auch in der Rückrunde ankommen.

HSV sucht neuen Verteidiger für Walter

Zumal der wochenlange Ausfall von Kapitän Sebastian Schonlau (Wade) Walters Aufstiegsmission erschwert. Der Abwehrchef ist der einzige Verteidiger des Kaders, der Walters komplexes Positionsspiel optimal umsetzen kann und zugleich Verantwortung bei der Sortierung seiner Nebenleute auf dem Platz übernimmt, damit diese dem Gegner nicht wie zuletzt zu große Räume anbieten.

Die Neuzugänge Guilherme Ramos und Hadzikadunic leisteten sich zu viele Fehler in der Hinrunde. Ein Lichtblick war zuletzt Stephan Ambrosius, dessen Bedeutung für die Mannschaft Walter gerade noch rechtzeitig erkannt haben könnte, auch wenn der Coach für diese Erkenntnis fast eine gesamte Hinrunde benötigte.

Nach seinen starken Auftritten steht Ambrosius im vorläufigen Aufgebot Ghanas für den Afrika-Cup (13. Januar bis 11. Februar). Somit droht das am besten harmonierende Abwehrpaar Schonlau/Ambrosius die ersten vier Rückrundenspiele auszufallen. Der HSV sieht sich deshalb nach einem neuen Innenverteidiger um.

Walter-Verbleib hat Einfluss auf Transfers

Überhaupt hat die Entscheidung pro Walter Einfluss auf die Kaderplanung. Mit Drittliga-Topscorer Oliver Batista Meier (neun Tore, neun Vorlagen), der seit einer gemeinsamen Zeit in der Bayern-Jugend in Kontakt mit Walter steht, steht der erste Neuzugang bereits in den Startlöchern. Der Offensivspieler ist gerade vorzeitig von einer Leihe bei Verl zu Dynamo Dresden zurückgekehrt, um direkt weiterverkauft zu werden. Zudem wird Kölns Außenverteidiger Noah Katterbach im Laufe der Wintervorbereitung in Hamburg erwartet.

Der erneute geplante Angriff auf dem Transfermarkt zeigt, wie abhängig die Entscheidungsträger vom Erfolg dieser Saison sind.

HSV-Boss Boldt erklärt Walter-Verbleib

Boldt hatte sich bereits unmittelbar nach dem Nürnberg-Spiel unzufrieden über den Verlauf der Hinrunde geäußert. „Klar gefällt es mir nicht, dass wir jetzt Dritter sind mit nur 31 Punkten, vor allem nach so einem Start“, sagte der Manager, der die sportliche magere Ausbeute im Anschluss eines fast perfekten Saisonstarts mit 13 Punkten nach fünf Spieltagen bemängelte. Denn in den restlichen zwölf Hinrundenspielen holte der HSV nur noch 18 Punkte und damit zu wenig für die eigenen Aufstiegsansprüche, weshalb Trainer Walter zur Debatte stand.

„Dieser Analyseprozess war für uns alle wertvoll. Und es ist sehr gut, dass wir ihn im direkten Anschluss an die frischen Eindrücke der Hinrunde eingeleitet haben, ohne uns von Emotionen leiten zu lassen“, sagte Boldt am Freitag.

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HSV-Trainer Walter bleibt: Boldt im Fokus

Wer nun allerdings denkt, Walter geht als der große Gewinner dieses Analyseprozesses hervor, der sieht sich getäuscht. Der 48-Jährige steht bereits mit dem ersten Spieltag der Rückrunde unter Druck. Seine Position ist allein deshalb geschwächt, weil er ab dem Start der Wintervorbereitung am 2. Januar unter genauer Beobachtung steht, Anpassungen seines oftmals für Spektakel sorgenden Spielstils vorzunehmen.

Und wenn der HSV einmal zwei Spiele in Folge nicht gewinnen und sich der Abstand zu den Aufstiegsplätzen vergrößern sollte? Dann würde die alte Debatte über den Hergang der Gegentore und die Verantwortlichkeit von Walter zwangsläufig wieder aufflammen.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 19 / 35:16 / 39
2. Kiel 18 / 34:25 / 35
3. HSV 18 / 35:22 / 34
4. Fürth 18 / 28:20 / 32
5. Düsseldorf 19 / 40:25 / 31
6. Hannover 19 / 35:25 / 28
7. Paderborn 19 / 28:29 / 28

Natürlich sind sich auch Boldt und Costa über dieses drohende Szenario bewusst. Dennoch haben sie sich bewusst für ein „Weiter so“ mit Walter entschieden. Eine Maßnahme, mit der auch die beiden Manager unter Druck geraten könnten, sollte der Aufstieg am Saisonende nicht gelingen. Denn nach Abendblatt-Informationen teilt nicht jedes Mitglied des Aufsichtsrats, der den Vorstand kontrolliert, das Ergebnis der Analyse im Volkspark.