Hamburg. Zehn der 13 Gegentore kassierte der HSV auswärts. Ein Problem ist das Positionsspiel. Und: Vuskovic-Prozess verzögert sich.
Manchmal reichen vermeintlich belanglose Worte, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Volkspark ist es aktuell das Wort Überladung, das bei den Verantwortlichen des HSV den Puls höher schlagen lassen dürfte.
Zum einen, weil es im Dopingprozess des gesperrten und seine Unschuld beteuernden Mario Vuskovic ein Teil der Verteidigungsstrategie ist, den für die Analyse seiner Urinprobe verantwortlichen Laboranten eine sogenannte Überladung der Banden nachweisen zu wollen. Konkret soll auf den Teststreifen zu viel Protein (Urin) aufgetragen worden sein, wodurch ein falsch-positiver Epo-Befund entstanden sei, lautet der Vorwurf.
Es gibt allerdings auch aktuelle Beispiele einer unerwünschten Überladung beim HSV, die indirekt ihren Ursprung in der Sperre Vuskovics findet. Insbesondere bei Auswärtsspielen verloren die Hamburger zuletzt situativ die Struktur im von Tim Walter forcierten Positionsspiel. Dadurch waren manche Räume überbesetzt, also überladen, während sich auf anderen Flächen des Spielfelds große Lücken offenbarten. In der Folge kassierte der HSV zu viele Gegentore, die zu schmerzhaften Punktverlusten führten.
HSV-Auswärtsmisere liegt an Positionsspiel
Ein womöglich strukturelles Problem, das seit der vor einem Jahr erfolgten Sperre Vuskovics verstärkt zu beobachten ist. Walter hat die Fehler seiner Mannschaft zuletzt häufiger thematisiert. Seine Aufgabe ist es nun, für nachhaltige Besserung zu sorgen. Die nächste Möglichkeit bietet sich bereits an diesem Sonnabend bei Nordrivale Holstein Kiel (13 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de).
Wie schon die gesamte Saison über muss Walter seine Abwehr auch beim Duell in Schleswig-Holstein personell verändern. Erst einmal in dieser Spielzeit blieb die Viererkette für drei Partien nacheinander in derselben Besetzung. In diesem Zeitraum holte der HSV sieben Punkte und kassierte nur ein Gegentor gegen Düsseldorf (1:0), Wiesbaden (1:1) und Fürth (2:0). Auch das ist ein Teil der Wahrheit, wenn die Schwächen im Positionsspiel benannt werden.
In Kiel fällt der zuletzt starke Stephan Ambrosius wegen diverser Blessuren aus. Der bei den HSV-Fans extrem beliebte Verteidiger wird durch Guilherme Ramos ersetzt, der nach überstandenen Adduktorenproblemen am Freitag ins Mannschaftstraining zurückgekehrt ist. Der gerade noch rechtzeitig fit gewordene Portugiese bildet das Abwehrzentrum mit Dennis Hadzikadunic. Bis auf William Mikelbrencis, der rechts hinten erneut den Vorzug vor Moritz Heyer erhalten dürfte, agiert der HSV demnach mit der gleichen Viererkette wie beim bislang letzten Gastspiel in der Liga, dem wilden 3:3 in Kaiserslautern.
HSV-Fehler im Positionsspiel in einer Szene erklärt
Auf dem Betzenberg reichte dem Gegner oftmals ein langer Ball in den freien Raum, um eine Torchance zu kreieren. Für den HSV besonders ernüchternd war die Art und Weise, wie das zwischenzeitliche 3:1 durch Terrence Boyd zustande kam, als Ramos wie von Walter gewünscht mutig durch das Zentrum andribbelte, seine Position aber entgegen dem Plan nicht aufgefüllt wurde. Diesen Job hätte in dieser Situation Außenverteidiger Miro Muheim erledigen müssen, der mit Heyer die Seiten gewechselt hatte.
Stattdessen schaltete sich der Schweizer in die Offensive ein und übersah, damit die Restverteidigung auf seiner ungewohnten rechten Abwehrseite aufzulösen. Schließlich kam eins zum anderen: Immanuel Pherai spielte einen Fehlpass, Ramos war noch nicht wieder zurück auf seiner Position, und Boyd hatte leichtes Spiel.
Es war nicht die einzige Situation, in der das Positionsspiel nicht harmonierte. Gerade auswärts werden die HSV-Innenverteidiger viel zu häufig in Laufduelle verwickelt, die sie aufgrund ihrer Tempodefizite kaum gewinnen können. Es ist ein Indiz dafür, dass die Restverteidigung nicht wie gewünscht funktioniert. Und es ist eine Schwäche, die Kiel genau analysiert hat.
HSV muss auf Kiels Rothe aufpassen
Ohnehin ist es eine Stärke des Nordclubs, sich der Spielweise des Gegners anzupassen. Holsteins Trainer Marcel Rapp agiert selten zwei Spiele in Folge in derselben Formation oder mit demselben Personal. Der bekennende Fan des südamerikanischen Fußballs verfolgt das Ziel, im Mittelfeld eine Überzahl zu kreieren.
Der von Borussia Dortmund ausgeliehene Linksverteidiger Tom Rothe (19), der bereits zwei Tore und vier Vorlagen beigesteuert hat, schaltet sich dabei immer wieder ins Offensivspiel ein. 41 Prozent der Kieler Angriffe laufen über seine linke Seite. Rothes Flanken sind ligaweit gefürchtet, das weiß auch Tim Walter. „Wir sind darauf vorbereitet, dass etwas über die Außen kommt“, sagte der HSV-Coach, der seine Mannschaft auf einen kopfballstarken Gegner eingestellt hat.
Im Holstein-Stadion wird es also auch auf die zweifellos vorhandenen Defensivqualitäten von Flügelstürmer Bakery Jatta ankommen, dessen Aufgabe es sein wird, Rothes Handlungsspielraum zu beschränken und seine Laufwege mitzugehen.
HSV-Auswärtsmisere: Walters spezielle Sichtweise
Das allein wird allerdings nicht reichen, um die Auswärtsmisere zu beenden. Auf der turnusmäßigen Pressekonferenz griff Walter deshalb bereits in die psychologische Trickkiste und zählte den Pokalerfolg in Bielefeld (5:4 n. E.) als Auswärtssieg auf – wohl wissend, dass seine Mannschaft in Kiel weder 120 Minuten Zeit bekommt noch fünfmal vom Elfmeterpunkt antreten darf.
Und dennoch sei der HSV-Trainer „optimistisch, es auch auswärts sehr gut hinzubekommen“. Eine tiefgründige Erklärung, auf welcher Grundlage sein Optimismus fußt, ließ er auf Nachfrage eines Reporters allerdings vermissen.
Ganz ohne psychologische Spielchen sind zuletzt mehrere HSV-Profis ihrem Auftrag als Führungsspieler gerecht geworden, indem sie öffentlich eine Kehrtwende auf fremden Plätzen gefordert hatten. Nach Robert Glatzel und Jonas Meffert („Wenn wir so weitermachen, dann werden wir nicht genug Punkte holen“) forderte jüngst auch Topscorer Laszlo Benes einen Auswärtssieg in Kiel.
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Bislang haben die Hamburger auswärts nur sechs von möglichen 18 Punkten eingefahren. Zudem kassierte der HSV zehn seiner 13 Gegentore in der Fremde. Der bis dato einzige Auswärtssieg liegt schon zweieinhalb Monate zurück, als Topclub Hannover 96 in Unterzahl mit 1:0 niedergerungen wurde. Allerdings machten die rund 20.000 mitgereisten HSV-Fans aus dem Gast- ein gefühltes Heimspiel, in dem das Positionsspiel wie von Tim Walter gewünscht funktionierte. Also ohne eine Überladung.
HSV: Vuskovic-Prozess verzögert sich
Und auch bei Vuskovic gibt es Neuigkeiten, wenn auch für ihn persönlich keine erfreulichen. Wie die Nationale Antidoping-Agentur (Nada) bestätigt hat, wird der ursprünglich für den 6. bis 8. Dezember geplante Cas-Prozess weiter nach hinten geschoben. Entgegen anders lautender Meldungen war der Zeitraum bislang lediglich geblockt, aber noch nicht angesetzt worden, weil die Bestätigung aller Zeugen noch ausstand.