Hamburg. Sky-Moderator Patrick Wasserziehr spricht über den Tuchel-Eklat und polarisierende Auftritte von HSV-Trainer Tim Walter.
Manchmal kommt es zu Interviews im Fußball, an die sich sowohl die Beteiligten als auch die Zuschauer ewig erinnern. Im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden, erzählt Sky-Moderator Patrick Wasserziehr viele solcher Geschichten.
Vor zwei Jahren befragte er Joshua Kimmich, warum er sich nicht gegen Corona impfen lasse. Zwei Jahre zuvor hatte der damalige Bayern-Trainer Niko Kovac gesagt, Thomas Müller werde nur „ein paar Minuten“ spielen, „wenn Not am Mann“ sei. Das Gespräch mit den Fußballgrößen Pelé, Günter Netzer und Franz Beckenbauer bezeichnet Wasserziehr als „Sendung meines Lebens“. Und seit vergangenem Sonnabend reiht sich in diese bemerkenswerte Sammlung des Hamburger Journalisten auch das Interview mit Thomas Tuchel ein.
Wasserziehr ordnet Tuchel-Eklat ein
Unter dem Eindruck der kritischen Expertenstimmen von Dietmar Hamann und Lothar Matthäus stehend, legte der Trainer des FC Bayern einen jetzt schon historischen Fernsehauftritt hin. Nachdem er sich gegenüber Wasserziehr bereits vor dem Dortmund-Spiel kurz angebunden und gereizt präsentiert hatte, brach er nach dem 4:0-Erfolg seiner Mannschaft das Sky-Interview mit Sebastian Hellmann ab.
„Ich finde es nachvollziehbar, dass ein Trainer sensibler auf Kritik reagiert. Letztlich sind das doch die Highlights, die in die Geschichte eingehen“, zeigt Wasserziehr sogar Verständnis für das Verhalten Tuchels. „Er sollte solche Auftritte aber nicht übertreiben. Man fragt sich, wie er reagieren würde, wenn die Bayern wirklich mal eine Krise hätten.“
HSV: Wasserzieht lobt Walters Art
Grundsätzlich habe das Interview aber den „Goldstandard“ erfüllt, denn „es war spannend“ und habe eine Diskussion ausgelöst, sagt Wasserziehr, der auch schon mehrere TV-Gespräche mit Tim Walter geführt hat. Auch der HSV-Trainer polarisiert gelegentlich mit seinen öffentlichen Auftritten, die Wasserziehr als authentisch bezeichnet. „Ein ehrliches und nicht immer gut gelauntes Interview – wo ist das Problem?“, fragt der 57-Jährige rhetorisch und lobt den Club, Walter in seiner Art nicht zu verbiegen. „Der HSV tut sehr gut daran, sich relativ offen und authentisch zu präsentieren und eine gewisse Reibung zuzulassen.“
Privat sei Walter ein „total angenehmer Typ“. Und auch sportlich gebe es für Wasserziehr „gute Gründe“, trotz mehrerer verpasster Aufstiege sowohl am HSV-Coach als auch an Sportvorstand Jonas Boldt festzuhalten.
Kontinuität dürfte zwar „nicht zum Selbstzweck“ verkommen, und auch die Relegationsteilnahme gegen Stuttgart sei dem Sky-Reporter „zu positiv vom HSV dargestellt“ worden. Mit seiner „attraktiven Spielweise“ sei es aber auch das Verdienst des HSV-Coaches, dass das Volksparkstadion immer ausverkauft sei und der Club mit seiner Einschaltquote bei Sky zu den Top sechs in Deutschland zähle.
Wasserziehr lobt Entwicklung der HSV-Profis
Zudem sei „mit Ausnahme der Auswärtsspiele bei Aufsteigern ein positiver Trend“ erkennbar, der sich vor allem an der im Volkspark so viel zitierten Entwicklung ablesen lasse. „Es ist dem HSV geglückt, ein Klima zu schaffen, in dem Leistung sich entwickeln kann“, sagt Wasserziehr.
So zähle Daniel Heuer Fernandes inzwischen zu den zwölf besten Torhütern Deutschlands. Mit anderen Worten: Der regelmäßig bei Bundesligaspielen eingesetzte TV-Mann sortiert sieben Torwarte im Fußball-Oberhaus hinter dem HSV-Schlussmann ein. Zudem lobt Wasserziehr den Leistungssprung von Laszlo Benes, der inzwischen der torgefährlichste Spieler der Liga ist. Und Robert Glatzel sei ohnehin ein „Topeinkauf“, der mit seiner Art optimal zum HSV passe.
„Ich nehme die Mannschaft so wahr, dass sie sich zu 100 Prozent mit dem HSV identifiziert. Die Fans haben wieder sympathische Namen, die sie sich gern auf ihr Trikot beflocken lassen“, sagt Wasserziehr, der fast jedes Spiel der Hamburger im Einzelspielmodus bei seinem Arbeitgeber verfolge.
Wasserziehr: Das ist Walters größte Qualität
Walter könne zwar gelegentlich einen „pragmatischeren Ansatz“ wie zum Beispiel eine tiefer stehende Abwehr wählen, wodurch die Gegner vor „Denksportaufgaben“ gestellt würden, moniert der TV-Journalist. Das größte Verdienst des 48-Jährigen sei aber ohnehin, eine Einheit geformt zu haben.
„Tim Walter ist ein Trainer, für den die Mannschaft durchs Feuer geht. Das ist eine enorm wichtige Qualität.“ Damit beschütze der HSV-Coach die Mannschaft und sorge dafür, dass sich diese für den Verein zerreiße. „Er ist ein echter Haudegen. Ich mag solche Typen.“
Wasserziehr widerspricht allerdings Walters These, der HSV sei ein „normaler Zweitligist“. „Der HSV sollte immer den Anspruch haben, Gast in dieser Zweiten Liga zu sein“, sagt der Moderator. Zumal der Etat noch immer zur Ligaspitze zähle.
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HSV-Aufstieg mit Walter? Für Wasserziehr Pflicht
Deshalb sieht Wasserziehr die Hamburger in der Pflicht, in dieser Saison nun aber wirklich in die Bundesliga zurückzukehren. „Die positive Entwicklung muss vom Aufstieg gekrönt werden, sonst müsste man wohl tatsächlich einen anderen Weg finden“, sagt der TV-Mann. Damit prognostiziert er Gegenwind für die Verantwortlichen, sollte auch der sechste Anlauf in Folge scheitern.
„Die Frage wäre dann, wie lange sich die Fan-Euphorie halten ließe und ob der Weg mit Boldt und Walter sinnvoll sei.“ Auch Tim Walter wisse, davon ist Wasserziehr überzeugt, dass „in dieser Saison am Ende der sportlichen Entwicklung der Aufstieg stehen muss“.
Auf diesem Weg wird der Sky-Reporter auch das eine oder andere Interview im Volkspark führen. Zuvor kommt es an diesem Sonnabend allerdings zu einem mit Spannung erwarteten Wiedersehen vor der Kamera. Wasserziehrs angekündigter Gast ist Thomas Tuchel.