Kitzbühel. HSV-Torjäger Robert Glatzel spricht über seinen schweren Weg zum Profi, seine Vertragsverlängerung und seine Familie.
Die Umbauarbeiten für ein Klassik-Ensemble im Hotel Kitzhof waren in vollem Gange, als Robert Glatzel durch die Lobby lief. Der Geschmack des Hip-Hop-Fans, der die Beats von Rapper Drake bevorzugt, wurde allerdings verfehlt, weshalb er das Konzert vorzeitig verließ. Zuvor traf sich der HSV-Torjäger, der im Kitzbüheler Trainingslager zwischen vielen Talente der zweitälteste Profi ist, für ein Gespräch mit dem Abendblatt.
Hamburger Abendblatt: Bis zu welchem Alter sollte ein Fußballer im Profibereich Fuß gefasst haben, um sich dort zu etablieren?
Robert Glatzel: Es gibt immer Ausnahmen von Spätstartern, aber vermutlich sollte man es spätestens mit 20 Jahren geschafft haben.
Sie selber sind eine dieser Ausnahmen. Ihren Durchbruch erreichten Sie erst mit 23 Jahren. Was waren die Gründe dafür?
Glatzel: Mir fehlte die Reife mit 18 oder 19 Jahren, aber ich habe Durchhaltevermögen bewiesen, indem ich immer den Ehrgeiz hatte, mich zu verbessern.
HSV-Torjäger Glatzel über seine schwerste Zeit
Der Tiefpunkt Ihrer Laufbahn war der Schritt in die siebte Liga zum SV Heimstetten II. Sie waren damals 19 Jahre alt, als Ihr Traum zu zerplatzen drohte. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Glatzel: Es war schrecklich. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und meine ganze Jugend geopfert, um meinen Traum zu verwirklichen. Das Jahr davor hatte ich noch bei den Profis von 1860 München mittrainiert. Ich sah mich damals in der Zweiten oder Ersten Liga, war von diesem Ziel plötzlich so weit entfernt wie noch nie. Die bittere Realität war schwer zu begreifen.
Wie groß waren Ihre Zweifel, dass es nicht für den Profibereich reichen könnte?
Glatzel: Zum Glück sehr gering, sonst hätte ich mich auch nicht über den Umweg Amateurfußball bis zu den Profis durchgebissen. Ich habe immer an mich geglaubt, auch wenn ich mal geknickt war.
Weil Sie kein Auto hatten, fuhr Sie Ihre Frau Natasa, mit der Sie seit Schulzeiten zusammen sind, eine halbe Stunde zum Training nach Heimstetten und nach Ihrer Vertragsauflösung sogar eineinhalb Stunden zum Fünftligisten Burghausen II.
Glatzel: Teilweise hat sie mir sogar ihr Auto geliehen. Sie war eine enorme Hilfe für mich in dieser schwierigen Phase und hat viel Zeit für meinen Traum geopfert.
Wie viel Häme mussten Sie als Paar ertragen, weil es so wirkte, als sei Ihr Profiplan zum Scheitern verurteilt?
Glatzel: Häme gab es nicht. Uns haben aber ein paar Freunde und Bekannte kritisiert und hinterfragt, welchen Sinn das alles überhaupt noch ergeben soll. Ich erhielt Ratschläge, mich nach einem anderen Job umzugucken. Aber ganz ehrlich: Ich konnte diese Einschätzungen sogar verstehen.
Ihr Vater hatte Ihnen ein Probetraining bei Burghausen II und einigen Regionalligisten organisiert. Wären Sie ohne seinen Einsatz gar nicht Profi und damit auch nicht HSV-Spieler geworden?
Glatzel: Ich hätte es ohne ihn niemals geschafft, das ist ganz klar. Ihm habe ich mit Abstand am meisten zu verdanken.
Und trotzdem sah es lange Zeit so aus, als würde sich sein Engagement nicht auszahlen. Wann kam es zum Wendepunkt in Ihrer Karriere?
Glatzel: Mit dem Wechsel zu Kaiserslautern II im Jahr 2015 ging es sportlich bergauf. Kurz darauf wurde ich auch zum ersten Mal Vater. Plötzlich Familienvater zu sein, hat etwas in mir verändert. Ich wollte und musste mehr Verantwortung übernehmen.
Inzwischen übernehmen Sie Verantwortung für ihre beiden Töchter, Elea (6) und Alicia (4). Was würden Sie ihnen antworten, wenn eine der beiden eines Tages den Wunsch äußern würde, es Ihnen gleichmachen und die Schule für den Traum vom Profi abbrechen zu wollen?
Glatzel: Ich würde es ihnen auf jeden Fall nicht empfehlen. Meine Entscheidungen als junger Kerl waren schon verrückt. Es gehörte auch viel Besessenheit dazu, ohne die ich mein großes Ziel nie erreicht hätte. Diese Eigenschaft war meine größte Stärke. Aktuell kann ich mir noch nicht vorstellen, dass meine Töchter etwas Vergleichbares in sich entwickeln könnten (lacht). Daher würde ich beiden von diesem Weg abraten.
Glatzel verlängerte beim HSV auch wegen seiner Tochter
Welche Rolle spielte Ihre ältere Tochter Elea, die jetzt eingeschult wird, bei Ihrer Entscheidung beim HSV zu bleiben?
Glatzel: Dieser Gedanke war tatsächlich sehr präsent in meinen Überlegungen. Sie bekommt zunehmend ein Bewusstsein dafür, was es bedeutet umzuziehen und ihr vertrautes Umfeld zurückzulassen. Wir fühlen uns als Familie extrem wohl in Hamburg, ich fühle mich zum ersten Mal in meiner Karriere so richtig angekommen in einer Stadt und bei einem Verein.
Warum fühlen Sie sich in Hamburg, in der Nachbarschaft in Eimsbüttel und beim HSV so viel wohler als bei vorherigen Stationen?
Glatzel: Ein entscheidender Faktor ist, dass es sportlich gut für mich läuft. Dieses Gefühl kannte ich bislang noch nicht. Selbst in Heidenheim hatte ich den Fokus darauf gelegt, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter vorzubereiten – der Schritt nach Cardiff war dann damals die logische Konsequenz. Dieses Verlangen habe ich beim HSV nicht. Natürlich habe ich große Ziele und will mich verbessern, aber ich will nicht wieder den Verein wechseln.
Wenn Sie eine Sache nennen müssten, die der Hauptgrund für Ihren Verbleib beim HSV war, welche wäre das?
Glatzel: (überlegt lange) Ich kann nicht nur einen Grund benennen. Es waren viele Faktoren ausschlaggebend: Unser Team, ich bin Stammspieler, spiele jedes zweite Wochenende vor 57.000 fantastischen Fans, wir haben mit dem Aufstieg ein großes gemeinsames Ziel, und meine Familie fühlt sich in Hamburg zu Hause. Es spricht einfach vieles für den HSV. Es war keine schwierige Entscheidung, meinen Vertrag zu verlängern.
Werden Sie seitdem häufiger von Fans auf der Straße angesprochen?
Glatzel: Natürlich habe ich einige positive Nachrichten erhalten und Gespräche geführt. Dieser Rückhalt bestätigt mich darin, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Es war bereits der zweite Sommer in Folge, in dem über Ihren Abgang spekuliert worden war. Letztlich sind Sie beide Male geblieben und haben sogar Ihren Vertrag verlängert. Läuft das jetzt jedes Jahr so ab?
Glatzel: (lacht) Ich hätte niemals gedacht, dass ich zwei Jahre in Serie meinen Vertrag verlängern werde. Im Fußball kann zwar viel passieren, aber ich hoffe, meine Zukunft nicht jedes Jahr neu besprechen zu müssen. Ich habe große Ziele mit dem HSV, ich will aufsteigen!
HSV: Robert Glatzel erklärt Mythos Walter
Einer der Gründe für Ihren Verbleib ist auch Trainer Tim Walter, der ein persönliches Gespräch mit Ihnen gesucht hat. Wie gelingt es ihm, dass alle Spieler seiner Spielidee bedingungslos zu folgen scheinen?
Glatzel: Er geht jeden Tag mit Energie, Leidenschaft, Überzeugung und Selbstvertrauen voran und ist immer mit vollem Einsatz dabei. Das zeichnet ihn aus, und das unterscheidet ihn auch von anderen Trainern. Seine positive Einstellung färbt auf uns ab.
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Als Sie 2019 mit Heidenheim drei Tore im Pokal-Viertelfinale beim FC Bayern (4:5)
geschossen hatten, sprachen Sie hinterher vom „besondersten Moment“ Ihrer Karriere. Würde der Aufstieg mit dem HSV diesen Moment toppen?
Glatzel: Wenn wir aufsteigen, wäre dieser Moment auf jeden Fall noch besonderer für mich. Am letzten Spieltag in Sandhausen hatte ich dieses Gefühl bereits für fünf Minuten. Dieser Vorgeschmack auf den Aufstieg war noch intensiver als der Dreierpack bei den Bayern.
In Ihrer Wohnung hängt ein Bild von Ihrem Torjubel nach dem dritten Treffer. Würden Sie für ein Aufstiegsfoto mit dem HSV noch einen Platz an Ihren Wänden finden?
Glatzel: Bei einem Aufstieg hätte ich sogar genug Platz für zahlreiche Fotos. (lacht)