Hamburg. HSV-Trainer vermittelt entschlossenen Eindruck und glaubt an ein Wunder gegen Stuttgart. Doch dafür müssen sich seine Spieler steigern.
Als Tim Walter am Sonntag kurz nach 11 Uhr durch die Tür des Presseraums in der ersten Etage des Volksparkstadions marschierte, floss sofort eine positive Energie durch den Raum. Die optimistische Körpersprache des HSV-Trainers war fast schon greifbar. Die nach außen vermittelte Botschaft des 47-Jährigen: Trotz der 0:3-Hypothek aus dem Hinspiel in der Relegation gegen den VfB Stuttgart ist jetzt nicht die Zeit für Zweifel – weder an ihm, noch an der Mannschaft.
„Die Jungs haben schon einige Rückschläge eingesteckt, wir sind immer wieder aufgestanden“, sagte Walter und nannte als Beispiel das 3:3 Mitte Februar beim Bundesligaaufsteiger 1. FC Heidenheim. „Wir haben Comeback-Qualitäten, das haben wir schon in Heidenheim nach einem 0:3 unter Beweis gestellt.“
HSV-Trainer Tim Walter redet Spieler stark
Auf ein ähnliches Schicksal hofft Walter nun auch im Rückspiel an diesem Montag gegen den VfB Stuttgart (20.45 Uhr). „Wir fangen bei minus drei an, versuchen uns aber peu à peu nach vorne zu arbeiten“, sagte der HSV-Coach. „Wir schaffen es immer wieder zurückzukommen, weil wir kämpfen bis zum Ende, auch wenn wir nicht immer unsere beste Leistung abliefern. Meine Jungs haben einen richtig, richtig geilen Charakter. Wir sind eine Familie und ich bin von meiner Familie zu 1887 Prozent überzeugt.“
Ein bewusst gewähltes, mathematisch nicht korrektes Rechenbeispiel in Anlehnung an das Gründungsjahr des HSV. Wie aber will Walter diese Aufgabe angehen, gegen Stuttgart das schier Unmögliche doch noch zu erreichen? Zunächst einmal gibt der Coach seiner Mannschaft kleine Etappenziele für jede Phase des Spiels mit auf den Weg. „Das Ziel ist es erst einmal, ein Tor zu erzielen.“
Mit einer möglichen frühen Führung im Rücken hofft Walter auch auf einen Schub durch die dann emotionalisierten Zuschauer. „Wir werden versuchen, alle mitzunehmen. Das ist den Jungs bisher immer gelungen, da muss man ihnen Respekt zollen.“
Löst Walter das HSV-Defensivproblem?
Doch an den in dieser Saison immer vorbildlich hinter der Mannschaft stehenden Fans alleine wird es nicht liegen, ob dem HSV am Ende der Aufstieg gelingt. Vielmehr müssen es die Hamburger im Rückspiel schaffen, mindestens drei Tore zu schießen und sich defensiv nicht so anfällig zu präsentieren wie im Hinspiel, als dem VfB viel zu viele Großchancen ermöglicht wurden.
Stuttgart hatte mit seinen schnellen Offensivleuten die Schwächen in Walters System einer hoch stehenden und langsamen Abwehr gnadenlos aufgedeckt und hätte sogar mit deutlich mehr als drei Toren Unterschied gewinnen müssen.
Walter macht die Vielzahl der Stuttgarter Torchancen allerdings nicht an seiner Spielidee, sondern an seinen Spielern fest, von denen viele am vergangenen Donnerstag nicht ihr maximales Leistungsniveau erreicht hatten. „Nur wenn jeder Profi 100 Prozent abliefert, haben wir als Team eine Chance. Das war am Donnerstag nicht so gewesen.“
Walter rügt Heyer – David-Ausfall droht
Unzufrieden war der HSV-Coach vor allem mit Rechtsverteidiger Moritz Heyer, der gegen Stuttgarts sehr agilen Linksaußen Chris Führich kaum einen Zweikampf gewann. „Der viel gescholtene Miro Muheim (Linksverteidiger) hat ein sehr gutes Spiel gemacht gegen einen ganz schnellen Joshi Vagnoman, weil er früher dran war. Das war eigentlich auch der Auftrag auf der anderen Seite“, lautete Walters Analyse der Defensivschwächen im Hinspiel, die gerade auf Heyers rechter Abwehrseite deutlich wurden.
„Wir wollten früher am Mann sein, das haben wir nicht immer geschafft“, ergänzte Walter. „Fußball ist schon auch eine Eins-gegen-eins-Sportart. Es geht nicht immer um die Philosophie, sondern darum, individual- und gruppentaktisch auf Zack zu sein. Das waren wir an diesem Tag nicht immer.“
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Für das Rückspiel kommt erschwerend hinzu, dass Jonas David wegen eines grippalen Infekts auszufallen droht. „Wir werden nicht jammern. Dann spielt halt ein anderer“, sagte Walter über den drohenden Ausfall des Innenverteidigers.
HSV-Trainer Tim Walter setzt auf Fans
Den spürbaren Qualitätsunterschied zum VfB will Walter im Kollektiv auffangen. Denn individuell ist der Bundesligist auf jeder Position, außer im Tor, besser besetzt als der HSV. „Wir sind mittlerweile ein normaler Zweitligist“, sagte Walter nach dem fünften Zweitligajahr in Folge. „Wenn man nur die Transfersummen oder die Marktwerte der Mannschaften anguckt, dann ist eine Diskrepanz (zum VfB) vorhanden.“
Trotz dieses Fakts hofft Walter auf das Wunder vom Volkspark, wofür der HSV einen Sieg mit vier Toren Unterschied bräuchte. Ein kaum realistisches Szenario, dem der Coach dennoch mit Optimismus entgegenblickt. „Jonas (Boldt) hat gesagt, es brauche ein Wunder“, sagte Walter zur Einleitung eines seiner bei ihm beliebten Wortspiele. „Ich weiß nur eins, der Volkspark ist wunderbar.“