Hamburg. Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres ist der HSV gegen einen Bundesligisten chancenlos. Im Rückspiel geht es nun auch um Walters Zukunft.
Auch im Moment der schwersten Niederlage warf sich Tim Walter wie eine Löwenmutter vor seine Mannschaft. Als der HSV-Trainer kurz nach der 0:3-Niederlage im Relegationshinspiel beim VfB Stuttgart seine Spieler und den Staff in den Kreis zusammenholte und einen Kameramann bemerkte, der ihnen zu nahekam, ging Walter sofort dazwischen und scheuchte diesen davon. Dann holte er den Kreis noch enger zu sich heran und redete erneut energisch auf den eingeschworenen Haufen ein.
Dieser Zusammenhalt hat den HSV durch eine turbulente Zweitligasaison getragen und dafür gesorgt, dass die Mannschaft mit 66 Punkten ihre beste Saison seit dem Abstieg 2018 spielte. Doch am Donnerstagabend wurde den Hamburgern deutlich vor Augen geführt, dass Zusammenhalt alleine nicht reicht, um mit einem stabilen Bundesligisten mitzuhalten. Und schon gar nicht, wenn man nur vier Tage zuvor ein mental und körperlich so schmerzhaftes Trauma erlebte wie der HSV am Pfingstsonntag in Sandhausen, als Spieler und Fans zu früh über den Aufstieg jubelten.
Schonlau sieht keinen Zusammenhang zu Drama in Sandhausen
Sebastian Schonlau versuchte klarzumachen, dass die Gründe für den ernüchternden Auftritt in Stuttgart nicht in Sandhausen zu suchen sind. „Das hatte heute nichts mehr mit Sonntag zu tun“, sagte der HSV-Kapitän nach dem Spiel. Umso mehr mussten die Hamburger demnach also einsehen, dass sie in dieser Form nicht bundesligafähig ist. Wie schon im Halbfinale des DFB-Pokals vor einem Jahr gegen den SC Freiburg (1:3) und wie schon in der zweiten Runde im Oktober bei RB Leipzig (0:4) wurde nun auch in Stuttgart klar, dass der HSV mit der Spielidee des Trainers gegen qualitativ bessere Teams kaum eine Chance hat.
Schon gar nicht dann, wenn die Mannschaft nicht an ihr Leistungslimit kommt. In Stuttgart ließ der HSV durch das wie immer hohe Verteidigen extrem viele Räume zu, die von den schnellen Angreifern des VfB dankend angenommen wurden. Die Schwaben setzten den angeschlagenen HSV permanent unter Druck. Zudem waren die Hamburger bei gegnerischen Standards gegen die Wucht der kantigen VfB-Spieler völlig überfordert.
Bundesligisten nutzen Schwächen des Walter-Systems eiskalt aus
„Wir können nur Spiele gewinnen, wenn wir zu 100 Prozent da sind“, sagte Walter und offenbarte damit gleichzeitig das größte HSV-Problem. Die mutige Spielweise verzeiht weder im Ballbesitz noch im Gegenpressing Fehler. Diese werden von Mannschaften wie Braunschweig, Regensburg oder Kiel im Zweitligaalltag nicht immer ausgenutzt. Gegen die Bundesligisten geht das aber meistens schief, wie sich in den bisherigen Duellen zeigte.
Sollte das von Sportvorstand Jonas Boldt erhoffte „Wunder“ am Montag noch eintreten, wird der HSV in der ersten Liga mit dem Walter-Stil große Probleme haben. Realistischer ist, dass sich Boldt nun genau überlegen muss, ob er Walter auch in der Zweiten Liga noch einmal die Chance gibt, einen dritten Aufstiegsversuch zu starten.
Dass der HSV am Montag im Rückspiel noch eine Chance hat, würden die Fans wahrscheinlich nur glauben, wenn der Trainer Jürgen Klopp hieße. „Es kann doch nicht mehr schlimmer werden, was soll jetzt noch passieren?“, fragte Schonlau mit glasigen Augen. „Es kann ab jetzt nur noch bergauf gehen. Die Chance ist nicht größer geworden. Aber solange die Chance noch da ist, geben wir nicht auf.“ Alleine seine Körpersprache verriet etwas anderes.
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Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß machte am späten Donnerstagabend auf der Pressekonferenz deutlich, dass in der Relegation erst eine Halbzeit gespielt sei. Im Februar hatte der HSV schon einmal ein 0:3 zur Halbzeit aufgeholt. Auch damals ging es gegen eine schwäbische Mannschaft, die jetzt Bundesligist ist: der 1. FC Heidenheim. Das Spiel endete 3:3. An so eine Wende dürfte nach diesem Abend von Stuttgart aber wohl nicht einmal mehr Tim Walter ernsthaft glauben.