Hamburg. Die aktive Fanszene steht weiter hinter Walter und der Mannschaft. Führungsspieler monieren zu einfache Gegentore und leichte Fehler.
Die HSV-Fans unter den 57.000 Zuschauern gaben in den letzten Minuten noch einmal alles. Erstligareif peitschten und trommelten sie ihre Mannschaften bedingungslos nach vorne und forderten den Siegtreffer ein. Doch das goldene Tor, das die Tür in Richtung Aufstieg ein Stück weiter hätte öffnen können, sollte nicht mehr fallen.
2:2 (1:1) trennte sich der HSV vom direkten Verfolger SC Paderborn, der in der Tabelle sechs Punkte hinter den Hamburgern bleibt. Für Hamburg ist dieses Ergebnis zu wenig für Platz zwei, aber wahrscheinlich ausreichend, um die Relegation abzusichern. „Wenn alles normal läuft, bleiben wir hinter dem HSV“, sagte Paderborns Trainer Lukas Kwasniok.
Doch die K.o.-Spiele um den letzten Bundesligaplatz sind eben nicht das Ziel des ambitionierten HSV, der nur zwei der vergangenen acht Ligaspiele gewonnen hat und aktuell seinen eigenen Ansprüchen hinterherläuft.
HSV muss nun Relegation sichern
Es sind vor allem die vielen individuellen Fehler, die den HSV in den letzten Wochen immer wieder zurückwerfen. Diesmal war es Miro Muheim, der Paderborn mit seinem dermaßen unnötigen Foul den Elfmeter zum 2:2 schenkte. „Wir wollten uns heute in alles reinwerfen. Das war in dem Moment vielleicht ein bisschen zu viel“, sagte Torhüter Daniel Heuer Fernandes über die Szene. Walter sprach von einer „unglücklichen Aktion“, als der Schweizer seinem Gegenspieler von hinten in die Beine stolperte.
„Zwei Gegentore zu Hause sind zu viel. Die Gegentore fallen auch zu leicht“, monierte Stürmer Robert Glatzel, der das 1:0 erzielte. „Das Ergebnis tut schon weh. „Wir brauchen nicht darüber zu reden, ob wir Zweiter, Dritter oder Vierter werden. Wir müssen Spiele gewinnen.“
Kapitän Sebastian Schonlau ergänzte: „Wenn es nicht anders geht, dann nehmen wir die Relegation.“
HSV-Fans mit Botschaft pro Tim Walter
Die aktive Fanszene stellte bereits vor dem Spiel klar, Walter und die Mannschaft bis zum letzten Saisonspiel zu unterstützen – sofern sich die Spieler in Anbetracht der zuletzt ausbleibenden Erfolge nicht hängen lassen. „Am schwersten ist es weiterzumachen, wenn es blutig wird. Kämpfen bis zum Ende!“, lautete die auf einem Banner ausgerollte Botschaft der auf der Nordtribüne ansässigen HSV-Ultras, die dem in die Kritik geratenen Coach das Vertrauen aussprachen.
„Die Leute haben mich auf der Straße angesprochen und gesagt: ,Herr Boldt, halten Sie bitte am Trainer fest!‘“, erzählte Sportvorstand Jonas Boldt zudem bei Sky.
Doch auch das Vertrauen Boldts und der Fans dürfte endlich sein, wenn Walter den in Gefahr geratenen, aber als klares Saisonziel ausgegebenen Aufstieg verfehlen sollte.
Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58
HSV ließ sich von Paderborn düpieren
Gegen Paderborn brachte der HSV-Coach mit Laszlo Benes und dem zuletzt gelbgesperrten Jonas Meffert zwei Neue für Bakery Jatta (Gelbsperre) und Youngster Elijah Krahn. Viele hatten im Vorfeld mit Ransford Königsdörffer in der Startelf gerechnet, doch Walter entschied sich für Benes, der „für mehr Ballkontrolle im Mittelfeld“ sorgen sollte.
Das, was der HSV dann aber in den ersten Minuten zeigte, hatte mit Kontrolle wenig zu tun. Paderborn spielte von Beginn an so, wie man spielen muss, wenn man die letzte Chance auf den Aufstieg wahrnehmen will. Die Ostwestfalen agierten giftig in den Zweikämpfen und verfolgten einen klaren sowie simplen taktischen Plan. Die Elf von Trainer Lukas Kwasniok spielte einen langen Ball auf den schnellen Sirlord Conteh und schon war die gesamte HSV-Defensive ausgehebelt.
Bereits nach wenigen Sekunden wurden die zuletzt viel diskutierten Probleme des Hamburger Spielsystems offensichtlich, als der zuvor mit der Geschwindigkeit des Ex-St.-Pauli-Profis nicht mithaltende Sebastian Schonlau mit einer famosen Grätsche für seinen bereits umkurvten Torhüter Daniel Heuer Fernandes auf der Torlinie rettete (1.). Zuvor war Conteh ab der Mittellinie alleine aufs Tor zugelaufen, weil die übrig gebliebene HSV-Abwehr mal wieder extrem hoch stand. „Wir sind nicht gut reingekommen. Was mein Kapitän bei der ersten Chance gemacht hat, haben wir gebraucht", sagte Walter über Schonlaus Rettungsaktion.
Nach der darauffolgenden Ecke köpfte der vom HSV an Paderborn verliehene Maximilian Rohr an den Pfosten (2.). Waren jetzt alle wach?
Glatzel schießt HSV in Führung
Offenbar nicht auf Hamburger Seite, denn mit den Abschlüssen von Florent Muslija (3.) und Julian Justvan (5.) sollte es genauso weitergehen. Der HSV fand zu Beginn überhaupt nicht ins Spiel und fiel hauptsächlich durch schnelle Ballverluste und große Lücken im Abwehrzentrum auf. Entsprechend feurig stampfte Walter an der Seitenlinie auf und ab und versuchte, seine Spieler wachzurütteln.
Letztlich war es aber vor allem die individuelle Klasse Robert Glatzels, die den HSV in Führung brachte. Der Stürmer leitete seinen eigenen Treffer ein, indem er gegen gleich fünf Paderborner den Ball behauptete und links rauslegte auf Dompé, der den gelungenen Doppelpass mit einer Flanke auf den zweiten Pfosten spielte, wo Glatzel den Ball zum 1:0 für den HSV über die Linie drückte (39.).
Der Treffer sollte jedoch nicht für mehr Sicherheit im fahrigen Spiel der Gastgeber sorgen. Stattdessen kamen die starken Paderborner prompt zum Ausgleich durch Justvans Schlenzer ins lange Eck (42.). Viele HSV-Profis monierten zwar ein vermeintliches Foul von Rohr an Jonas Meffert, doch Schiedsrichter Robin Braun sah bei diesem Zweikampf kein Foul.
HSV: Kittel bestraft Patzer
Mit einem 1:1 ging es auch in die Kabine, aus der die Hamburger deutlich verbessert herauskamen. Es folgte, was die Szene des Abends hätte sein können: Als letzter Mann sah Tobias Müller den heranstürmenden Sonny Kittel nicht kommen. Dieser stahl ihm die Kugel, dribbelte an Paderborns Schlussmann Jannik Huth vorbei und schob ins leere Tor zum 2:1 ein (49.). Die Erlösung für den HSV und seine frenetisch jubelnden Fans.
Walters Profis waren nun viel präsenter auf dem Platz gegen zunehmend müder werdende Gäste. Allerdings verpasste der HSV die vorzeitige Entscheidung. Erst vergab Kittel nach einem Konter (56.), dann grätschte Heyer den Ball wenige Zentimeter am leeren Tor vorbei (59.).
HSV schenkt Führung gegen Paderborn her
Und so kam es wie so häufig im Fußball: Wer vorne seine Tore nicht macht, wird hinten bestraft. In dem Fall bestrafte sich der HSV allerdings selbst, weil Miro Muheim im Strafraum tölpelhaft Muslija in die Ferse lief. Elfmeter für Paderborn. Der Gefoulte trat selbst an und verwandelte trocken in die Mitte (73.). „Wenn wir das Spiel heute heimschaukeln, erzählt jeder, dass es reif und großartig war", sagte Walter.
Hamburg war nun wieder gefordert, einen Gang hochzuschalten. Zunächst aber verhinderte Heuer Fernandes den Rückstand nach einem Kopfball des eingewechselten Marvin Pieringer (77.). Es war jetzt ein Spiel auf des Messers Schneide. Dompé versuchte es mit einem frech getretenen direkten Freistoß aus spitzem Winkel – knapp drüber (82.).
Mehr passierte nicht mehr. Der HSV muss nun hoffen, dass Magdeburg am Sonntag (13.30 Uhr) Punkte aus Heidenheim (Platz zwei) entführt. Tabellenführer Darmstadt könnte mit einem Heimsieg am Sonnabendabend gegen den FC St. Pauli (20.30 Uhr) den direkten Aufstieg feiern.
Die Statistik:
- HSV: Heuer Fernandes – Heyer, David, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis (76. Suhonen), Benes– Kittel, Glatzel, Dompé (82. Königsdörffer). Trainer: Walter
- Paderborn: Huth – Heuer, Tobias Müller, Humphreys – Justvan, Rohr (64. Klefisch), Schallenberg, Obermair – Muslija (83. Srbeny) – Conteh (59. Pieringer), Leipertz (64. Nadj). – Trainer: Kwasniok
- Tore: 1:0 Glatzel (39.), 1:1 Justvan (43.), 2:1 Kittel (49.), 2:2 Muslija (73./Elfmeter)
- Schiedsrichter: Dr. Robin Braun (Wuppertal)
- Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)
- Gelbe Karten: Schonlau (7), Heyer (8), Muheim (8), Benes (5) – Nadj (2)
- Torschüsse: 11:11
- Ecken: 3:4
- Ballbesitz: 48:52 Prozent
- Zweikämpfe: 114:133