Hamburg. Der HSV-Trainer steht nach der Niederlage in Magdeburg unter Druck. Wird das Spiel gegen Paderborn wie in der Hinrunde zur Wende?

In drei Wochen könnte Tim Walter etwas Historisches erreichen. Vier Spiele muss der Chefcoach des HSV noch an der Seitenlinie stehen. Dann wäre er der erste Trainer seit Frank Pagelsdorf, der in zwei Spielzeiten nacheinander vom ersten bis zum letzten Spieltag eine HSV-Mannschaft betreut hätte.

Zwischen Pagelsdorf (1997 bis 2001) und Walter (2021 bis 2023) haben es 26 Trainer nicht geschafft, dieses Kunststück zu vollbringen. Und einen Schnitt von 1,85 Punkten pro Spiel hat vor Walter zuletzt nur Ernst Happel erreicht. Zumindest von den Trainern, die mehr als drei Spiele im Amt waren. Im Vergleich zu allen Zweitligatrainern des HSV seit 2018 hat Walter damit in jedem Fall den besten Schnitt.

Volksparkstadion zum fünften Mal in Folge ausverkauft

Trotz dieser Zahlen begleiten den 47-Jährigen weiterhin Zweifel, die sich bei vielen Fans nach der 2:3-Niederlage beim 1. FC Magdeburg vor einer Woche in Wut umgewandelt haben. Viele haben den Glauben verloren, dass der Trainer mit seiner Art und seiner Spielweise noch den Aufstieg schafft. Einerseits.

Andererseits wird das Volksparkstadion auch am Freitag beim Spiel gegen Verfolger SC Paderborn (18.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) wieder ausverkauft sein. Zum fünften Mal in Folge. Und das hat auch mit Walter zu tun und den spektakulären Spielen wie zuletzt dem 4:3 gegen den FC St. Pauli oder dem 6:1 zwei Wochen zuvor gegen Hannover 96.

Nachdem der Rückstand auf den direkten Aufstiegsplatz zuletzt aber erstmals auf vier Punkte gewachsen ist, reagiert rund um Walter wieder die Kritik. Zu stur. Zu überheblich. Zu einfallslos, so der Tenor. Der Trainer wusste am Mittwochnachmittag, was ihn auf der Pressekonferenz erwartet. Gleich mehrere Fragen über die Anfälligkeit seines Spielsystems musste Walter über sich ergehen lassen.

Walter wehrt alle Fragen zu seiner Spielidee ab

Doch der HSV-Coach wehrte alle Fragen ab, wirkte kämpferisch, verteidigte sich, ging in die Angriffshaltung. „Das Spielsystem hat uns dahin gebracht, wo wir sind. Wenn man es ganz genau nimmt, ist es auch erfolgreich, sonst wären wir nicht Dritter“, sagte Walter, der auch in den kommenden Wochen keine Anpassungen vornehmen will, wenn es um alles geht.

Der Trainer lässt weiterhin keine Zweifel zu an der Spielweise seiner Mannschaft. Und wer die taktische Herangehensweise intern kritisiert, bekommt Probleme. So wie der ehemalige Sportdirektor Michael Mutzel, der Walter vor einem Jahr auf die Anfälligkeit des Spielsystems hinwies. Wenige Wochen später wurde Mutzel gekündigt. „Wenn ich nur ein bisschen zweifle, dann zweifeln meine Jungs auch“, sagte Walter vor Kurzem im Podcast „Kicker meets Dazn“.

Und tatsächlich folgen die Spieler ihrem Trainer weiterhin. Insbesondere die Führungsachse aus Daniel Heuer Fernandes, Sebastian Schonlau und Jonas Meffert weiß Walter an seiner Seite. „Ich bin Überzeugungstäter, meine Mannschaft steht dahinter“, sagte Walter. Beim Training am Mittwoch redete der Trainer wieder mehrere Minuten im geschlossenen Kreis auf sein Team ein. Auch Ludovit Reis kam zu Wort. Anschließend wurde gelacht.

HSV-Spieler identifizieren sich mit Walters Ansatz

Die Stimmung in der Mannschaft stimmt. Die Spieler identifizieren sich mehrheitlich mit dem Ansatz des Trainers. Und der Trainer identifiziert sich mit dem Club. Als WhatsApp-Profilbild hat Walter ein Foto der Nordtribünen-Choreo vom Stadtderby gegen St. Pauli eingestellt.

Und trotzdem weiß auch Walter, dass jetzt nur noch Siege zählen, um den Turnaround noch einmal zu schaffen. So wie vor einem Jahr nach dem Spiel gegen Kiel. Oder so wie in der Hinrunde, als der HSV schon einmal gegen Paderborn die Stimmung drehte. Nach zuvor drei Niederlagen in Folge, darunter ebenfalls ein 2:3 gegen Magdeburg, gewann der HSV in Paderborn in einem typischen Walter-Spiel. Der wilde 3:2-Sieg war ein Spektakel mit Ansage.

Kwasniok kritisiert fehlende Anpassung bei Walter

Und auch am Freitagabend verspricht Paderborns Trainer Lukas Kwasniok wieder ein „offenes Visier“ im Volkspark. „Wir können gar nicht anders. Wir fahren dahin, freuen uns auf eine volle Hütte und ein geiles Spiel und werden uns selbst treu bleiben“, sagte Kwasniok, der mit Tim Walter vor einigen Jahren noch zusammen im Nachwuchs des Karlsruher SC arbeitete.

Kwasniok kritisierte seinen früheren Kollegen vor dem Wiedersehen aber auch für dessen unflexible Spielweise. „Ich glaube nicht, dass es diese eine Art im Fußball gibt, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Man muss immer Anpassungen tätigen“, sagte Kwasniok in der „Sportbild“ mit einer Spitze Richtung Walter.

Gleichzeitig lobte der 41-Jährige aber auch die grundsätzliche Art des Hamburger Trainers. „Diese absolute Überzeugung lebt er so vor wie kein anderer Trainer. Mit allen Vor- und Nachteilen. Davon kann man sich eine Scheibe abschneiden“, sagte Kwasniok, der in den Aufstiegskampf am Freitag noch einmal eingreifen will.

Sportvorstand Boldt will die Saison mit Walter durchziehen

Walter wiederum will am Freitag erneut zeigen, dass er Widerstände überwinden kann. Im Volksparkstadion hat der HSV in diesem Jahr noch nicht verloren. Der Trainer betonte am Mittwoch einmal mehr die Identität, die er mit seiner Mannschaft geschaffen habe. Doch in dieser Phase der Saison geht es eben nicht mehr um die Wiedererkennung einer Spielidee. Walter braucht Siege. Sonst wird Sportvorstand Jonas Boldt doch noch einmal in die Lage geraten, über einen Trainerwechsel nachzudenken, um den Relegationsplatz nicht auch noch zu verlieren.

Aber was wäre dann? Eine Interimslösung mit dem erfolgreichen U-21-Trainer Pit Reimers (Platz eins in der Regionalliga Nord) soll für Boldt dem Vernehmen nach nicht infrage kommen. Auch eine erneute Installation von Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch wie vor zwei Jahren dürfte keine Option sein. Hrubesch schaute am Mittwoch beim Training der Profis zu, anschließend bei Reimers und der U21.

Wahrscheinlicher ist es, dass Boldt die Saison mit Walter durchzieht. Dann würde es der HSV-Trainer tatsächlich schaffen, die historische Pagelsdorf-Marke zu erreichen. Und ganz nebenbei könnte Walter noch etwas viel geschichtsträchtigeres schaffen: Den ersten Aufstieg in die Bundesliga. Denn der ist bei aller Kritik schließlich noch immer möglich. Und dann würde man im Nachhinein vielleicht sagen, dass das Spiel gegen Paderborn für Walter erneut die Wende war.