Hamburg. HSV-Trainer Walter wiederholt das große Ziel mit voller Überzeugung. Welchen Effekt seine Strategie auf die Profis hat.

Das Abschlusstraining vor dem Heimspiel des HSV gegen Hannover 96 (Sonnabend, 13 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) war noch in vollem Gang, da bildete sich bereits ein Spalier vor dem HSV-Campus. Erfahrene Kiebitze wussten, dass gleich ihre Stunde auf der Jagd nach Selfies und Autogrammen steigt. Ein Anhänger nach dem anderen stürmte dazu, um einen der begehrten Plätze in der ersten Reihe zu erhaschen.

Rund 400 HSV-Fans hatten sich im Nu um das präventiv aufgestellte Geländer versammelt, als sich Tim Walter ein Bad im Selfiemeer gönnte. Geduldig und bestens gelaunt erfüllte der Trainer jeden Fanwunsch. Rund zehn Minuten dauerte dieses Schauspiel, das beinahe in einem Drama endete.

Gerade noch rechtzeitig erhörte Walter den Schrei eines kleinen Jungen und unterschrieb einen letzten Fußball. „Ich fand es sehr nett, dass er extra für mich noch einmal umgedreht ist“, sagte der überglückliche Matti (12) dem Abendblatt.

HSV-Coach Tim Walter setzt auf seine Einheit

Ferienzeit ist Autogrammzeit. „Jeder weiß, welches Lächeln man Kindern ins Gesicht zaubern kann, wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt. Das machen wir mit Freude, das sind unsere Werte“, gibt Walter die Richtung für sich und seine Spieler vor, die aus sportlicher Sicht zuletzt allerdings etwas vom Weg abgekommen sind.

Nur zwei Punkte holte der HSV aus den vergangenen drei Spielen. Vor allem individuelle Fehler in der Defensive führten zu den vermeidbaren Punktverlusten und dem Abrutschen von den direkten Aufstiegsplätzen. Getreu seinem Motto „Wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen“ will Walter aber nicht nur die Abwehr für die aktuell ausbleibenden Siege verantwortlich machen.

Am Donnerstag betonte er, dass den Offensivspielern genauso viele Fehler unterliefen. „Fehler gehören ein Stück weit zu unserem Spiel dazu. Wir könnten vorne mehr Tore machen und hinten weniger kassieren“, sagte der Trainer. Manchmal kann Fußball so einfach sein. Oder mit anderen Worten: „Wir sind eine Einheit.“

Tim Walter schlüpft in Merkel-Rolle

Seit Amtsantritt hat Walter sein Hauptaugenmerk auf ein funktionierendes Teamgefüge gelegt. Die geformte Einheit bezieht er nicht nur auf seine Spieler. Der 47-Jährige hat dieses Gefühl auch auf einen Großteil der Fans übertragen, die es ihm mit einem alle zwei Wochen ausverkauften Volksparkstadion und Hunderten Trainingskiebitzen wie am Karfreitag danken.

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Die Fans können sich wieder mit dem HSV identifizieren. Um das Vertrauen zu rechtfertigen, muss der ambitionierte Zweitligist nun aber auch wieder zurück in die Erfolgsspur finden. Ein erneuter Punktverlust gegen den Rückrunden-16. Hannover (sechs Punkte aus neun Spielen) wäre auch mit individuellen Fehlern nicht mehr kleinzureden.

Doch solche Gedanken sind Walter fremd. Der selbstbewusste Coach lässt nach außen nicht den Hauch eines Zweifels aufkommen. Weder an sich noch an seiner Spielweise oder dem großen Aufstiegsziel. Um seine Kritiker zu beschwichtigen, schlüpfte Walter sogar kurzzeitig in die Rolle von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wir wissen, dass wir es schaffen“, sagte HSV-Regierungschef Walter.

Und weiter: „Wir haben uns jeden Punkt hart erarbeitet und deswegen holen wir uns auch die Punkte, die wir brauchen. Selbst wenn wir Dritter bleiben sollten, könnten wir über die Relegation aufsteigen. Wir können alles aus eigener Kraft schaffen.“

Was Tim Walter bei Spielern bewirkt

Da war es wieder: das Gemerkele von „wir schaffen das“. In den vergangenen Wochen gab es kaum eine Pressekonferenz, auf der sich Walter nicht in ähnlicher Form äußerte. Eine kommunikative Strategie, die im Leistungssport durchaus förderlich sein kann. „Mantras und Wiederholungen von Zielformulierungen sind durchaus sehr wichtig“, sagt der Hamburger Mentaltrainer Heiko Hansen dem Abendblatt.

Hansen, der in seiner Karriere mehrere Mannschaften und Athleten betreut hat, glaubt an einen positiven Effekt bei der Mannschaft. „Alle müssen sich dem Ziel und dem Erfolg verpflichten und unterordnen.“ Für den Mentalcoach reiche es aber nicht, nur das Endziel zu formulieren. „Man muss den Weg lieben und zusammen kämpfen, innovativ den nächsten Schritt zu gehen.“

In Walter’schen Metaphern ausgedrückt heißt das: „Wir haben immer gesagt, dass die Zweite Liga eine harte Liga ist. Das ist keine Tür, sondern eine Treppe. Wir wollen jeden Schritt gehen, wir wollen jedes Spiel gewinnen.“

HSV: Tim Walter fehlt Dompé

Auf diesem Weg vorerst keine Siegesschritte gehen wird Flügelstürmer Jean-Luc Dompé. Der Franzose verpasste das Abschlusstraining wegen anhaltender Sprunggelenksprobleme. Aus dem gleichen Grund fehlte auch Kapitän Sebastian Schonlau am Freitag. Anders als Dompé, den Sonny Kittel ersetzen dürfte, soll der Innenverteidiger nach abgesessener Gelbsperre gegen Hannover wieder spielen.

Ohne den Abwehrchef präsentierte sich die Defensive zuletzt sehr fehleranfällig. Schonlau soll nun mehr Souveränität und Sicherheit auf seine Nebenleute ausstrahlen.

„Ich vertraue meinen Spielern zu 100 Prozent. Fehler gehören dazu. Und die spreche ich an“, sagte Walter, der seine zuletzt geäußerten, kritischen Worte über einzelne Spieler nicht als Grundsatzkritik an seiner Mannschaft verstehen will. Denn das widerspräche seiner Ideologie einer Einheit.