Der HSV-Aufsichtsrat sucht nach Verstärkung fürs operative Geschäft. In Jonas Boldts Vertrag verankerte er eine clevere Klausel.
- Der HSV-Aufsichtsrat berät über die künftige Zusammensetzung des Vorstands.
- Vor allem im Marketing gibt es wegen zweier Abgänge Handlungsbedarf.
- Im Aufsichtsrat selbst könnte es zu einem Comeback kommen.
Hamburg. Die Einladungen wurden längst verschickt, die Tagesordnung steht. In der kommenden Woche ist es also so weit: HSV-Aufsichtsratssitzung Nummer eins mit Neu-Chefkontrolleur Michael Papenfuß. Vor nicht einmal einem Monat hat der 68-Jährige den zuvor viel kritisierten Marcell Jansen als Vorsitzenden des Kontrollgremiums abgelöst.
Doch wer nun denkt, dass die erste Sitzung in der kommenden Woche als nette Vorstellrunde mit Kaffee und Kuchen geplant ist, der irrt. Papenfuß will keine Zeit verlieren. Auf seiner To-do-Liste ganz oben: die Zusammensetzung des HSV-Vorstands der Zukunft.
Fast auf den Tag drei Monate nach der Entscheidung für die Doppelspitze mit Sportvorstand Jonas Boldt, dessen ursprünglich im Sommer auslaufender Vertrag um zwei Jahre verlängert wurde, und Finanzvorstand Eric Huwer, der ebenfalls einen Vertrag bis 2025 erhielt, will Papenfuß nun klären, ob das aktuelle Vorstandsduo noch verstärkt werden soll. Erste Headhunter sollen kontaktiert worden sein. Nach Abendblatt-Informationen gibt es vier unterschiedliche Gedankenspiele.
Stockt der HSV-Aufsichtsrat den Vorstand auf fünf Personen auf?
- Nummer 1: Alles bleibt auf der Vorstandsebene, wie es ist. Boldt und Huwer sollen diese Variante bevorzugen – und auch im Aufsichtsrat gibt es Kontrolleure, die aus finanziellen Gründen davor abschrecken, weitere Vorstände zu verpflichten.
- Nummer 2: Ein Vorstandschef wird gesucht, der Boldt und Huwer vorgesetzt wird. Besonders Boldt soll aber in seinen Vertragsgesprächen deutlich gemacht haben, dass eine Konstellation mit einem sogenannten CEO für ihn nicht infrage käme.
- Nummer 3: Es wird noch ein zusätzlicher Vorstand gesucht, der sich vor allem um den seit Kurzem brachliegenden Bereich Marketing kümmert. Dieser stünde aber auf einer Entscheiderebene mit Boldt und Huwer. Diese Variante soll – Stand jetzt – von mehreren Kontrolleuren präferiert werden.
- Und last but not least Nummer 4: Der HSV-Vorstand soll auf bis zu fünf Mitglieder aufgebläht werden. Mögliche Themenfelder für Neue: Marketing, Digitalisierung und Fankultur. Eine Variante, die zwar diskutiert wurde (Abendblatt berichtete), aber alleine aus Kostengründen kaum realisierbar sein dürfte.
Eines der Hauptthemen im Hinblick auf den HSV-Vorstand der Zukunft ist der verwaiste Bereich Marketing. Nach nur drei Monaten kündigte der erst im Dezember von Boldt verpflichtete Marketingdirektor Moritz Beckers-Schwarz (42) gerade erst seine Demission an.
Und was bislang niemand wusste: Auch Marketingchefin Marleen Groß (32), seit acht Jahren beim HSV, aber regelmäßig bei Beförderungsrunden übergangen, wird den Club zum Bedauern von Boldt und Huwer im Sommer verlassen. Beide wollen die Aufsichtsratssitzung in der kommenden Woche nutzen, um ihre neuen Pläne für den wichtigen Marketingbereich vorzustellen.
Dass dieser Aufsichtsrat zu kreativen Lösungen im Stande ist, zeigt ein kleines, aber feines Detail im gerade erst um zwei Jahre verlängerten Boldt-Vertrag. So haben die Kontrolleure nach Abendblatt-Informationen eine clevere Geheimklausel in dem Vertragswerk verankert, die im Falle eines erneuten Nicht-Aufstiegs auch die sofortige Trennung möglich macht. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der HSV im Worst-Case-Szenario keine teure Abfindung zahlen muss. Also einerseits Kontinuität und Vertrauen, andererseits Sicherheit.
Frömming und Dinsel verhandelten mit Boldt
Anders als früher üblich war der damals noch amtierende Aufsichtsratschef Marcell Jansen nicht der Verhandlungsführer bei den Boldt- und Huwer-Gesprächsrunden. Boldt handelte seinen Vertrag mit Markus Frömming und Ex-Kontrolleur Detlef Dinsel aus, Huwer sprach mit Hans-Walter Peters und Papenfuß aus dem Finanzausschuss.
Auf Letztgenannten ruhen nun auch die Hoffnungen der Entscheider, was eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand angeht. Im vergangenen Jahr war das Kontrollgremium tief gespalten und zerstritten, hatte zudem keinen wirklichen Draht mehr zu Vorstand Boldt. Dies soll unter Papenfuß nun anders werden.
Bei Lena Schrum könnte es zur Rolle rückwärts kommen
Bestes Beispiel: Der Vizepräsident des HSV e.V. suchte direkt nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Kontrollgremiums den Kontakt zu Lena Schrum, die sich mit Papenfuß-Vorgänger Jansen im Zuge der Ungereimtheiten rund um Ex-Vorstand Thomas Wüstefeld zerstritten hatte und eigentlich nicht mehr dem neuen Aufsichtsrat angehören sollte.
Nun deutet einiges darauf hin, dass es schon bald die Rolle rückwärts geben wird. Nach den Ratsneulingen Stephan von Bülow, dem Geschäftsführer der Block-Gruppe, und Ex-Fanvorsänger Hendrik Köncke (Hapag-Lloyd) soll auch Schrum schon bald wieder dem Kontrollgremium angehören. Eine Entscheidung wird bereits in der kommenden Woche erwartet.
Wüstefeld schlug Anwalt als Kontrollchef vor
Einen ziemlich skurrilen Vorschlag für die letzte freie Stelle im Aufsichtsrat hatte Ex-Vorstand Wüstefeld auf der vergangenen Hauptversammlung parat. Dort schlug der Chef der CaLeJo GmbH den anderen Anteilseignern vor, dass sein Anwalt auch ein fähiger HSV-Aufsichtsrat wäre. Die Idee überraschte insofern, als sein Anwalt in den vergangenen Wochen eher damit beschäftigt war, mit dem HSV-Vorstand eine juristische Auseinandersetzung zu suchen.
So hat der HSV im Streit einer bewusst noch nicht gezahlten Rechnung bereits die dritte Mahnung Wüstefelds erhalten. Der Hintergrund: Der von Boldt und Huwer zur Persona non grata im Volkspark erklärte Wüstefeld besteht weiter darauf, dass er noch knapp 100.000 Euro (für Corona-Utensilien) vom HSV erhält, der HSV will diese Rechnung jedoch nicht anerkennen. Auf der Hauptversammlung hat Finanzvorstand Huwer nach Abendblatt-Informationen explizit Wüstefeld auf den Vorgang angesprochen.
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Eine konkrete Antwort kam allerdings erst wenige Tage später per Post – in Form der dritten Mahnung. Sollten sich die beiden Parteien nicht einigen, droht eine Auseinandersetzung vor Gericht – und dann auch tatsächliche HSV-Arbeit für Wüstefelds Anwalt.
HSV: Papenfuß muss Umgang mit Wüstefeld bedenken
Der Ex-Vorstand, Ex-Kontrollchef und Ex-Aufsichtsrat könnte sich auch für Papenfuß zu einer kniffeligen Aufgabe entwickeln. Denn während der Vorstand im Abendblatt („Die HSV Fußball AG distanziert sich in vollem Umfang von Herrn Wüstefeld. Wir haben nach seinem Wirken und Handeln des vergangenen Jahres kein Interesse, weiter mit Herrn Wüstefeld in Verbindung gebracht zu werden und betrachten dies auch aus unserer Verantwortung heraus gegenüber der Mitarbeiterschaft, Partnern und Mitgliedern.“) klare Kante zeigte, warten die Entscheider bislang vergeblich auf verbale Unterstützung durch das Präsidium (mit Vize Papenfuß).
Vielleicht müssen die Vorstände und der neue Chefkontrolleur aber auch nur mal über die Angelegenheit reden – zum Beispiel auf der Aufsichtsratssitzung in der kommenden Woche.