Hamburg. Doping-Ermittlungen gegen Vuskovic. Verteidiger droht eine mehrjährige Sperre, dem Verein ein Millionenverlust. Wer wusste davon?
Mario Vuskovic stammt aus einer fußballverrückten Familie. Sein Vater Danijel (41) war einst Kapitän beim kroatischen Topteam Hajduk Split. Auch sein Opa und sein Uropa waren als Innenverteidiger für den Traditionsclub an der Adria aktiv. Genauso wie sein jüngerer Bruder Luka, der das größte Fußballtalent der Familie sein soll und als 15-Jähriger bereits für die U19 von Hajduk zum Einsatz kommt – natürlich im Abwehrzentrum.
Es ist dieselbe Position, auf der sich auch Mario Vuskovic schon in jungen Jahren bei Split einen Namen machte, ehe er vor 15 Monaten zum HSV wechselte. Dort entwickelte er sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase zum Leistungsträger.
Trotz seines fast schon raketenhaften Aufstiegs ist der 20-Jährige stets bodenständig geblieben. In Gesprächen wirkt er gerade im Vergleich mit Gleichaltrigen extrem reif. Vertraute aus seinem Umfeld erklären diese Gabe mit der herzlichen und zugleich strengen Erziehung seiner Familie.
Mario Vuskovic: Doping? Staatsanwaltschaft ermittelt
Doch wie passt dieses Bild eines Musterprofis mit der Nachricht vom Sonnabend zusammen, die beim HSV wie eine Bombe einschlug? Wie zunächst das Abendblatt in gemeinsamer Recherche mit dem HSV-Blog „Moin Volkspark“ berichtete, ermitteln die Hamburger Staatsanwaltschaft und der DFB gegen Vuskovic, der im Verdacht steht, das verbotene Dopingmittel Erythropoietin (Epo) eingenommen zu haben.
„Ich kann bestätigen, dass am Freitag ein Durchsuchungsbeschluss im Auftrag der Staatsanwaltschaft umgesetzt wurde“, sagte Sprecherin Liddy Oechterin dem Abendblatt. „Es geht um ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Anti-Dopinggesetz.“ Beamte der Kriminalpolizei durchsuchten Vuskovics Spind in der HSV-Kabine, verbotene Substanzen sollen sie dabei nicht gefunden haben.
Die Nachricht versetzte den HSV in eine Schockstarre. Viele Mitarbeiter und Verantwortliche können sich nur schwer vorstellen, dass gerade der als äußerst professionell geltende Vuskovic gegen die Anti-Dopingrichtlinien des DFB verstoßen haben soll.
Epo ist zwar in erster Linie im Radsport ein beliebtes Dopingmittel, doch auch Fußballer können sich durch die Substanz, durch die eine größere Menge Sauerstoff im Blut transportiert wird, Wettbewerbsvorteile verschaffen – zum Beispiel bei einem finalen Sprint gegen Spielende. „Natürlich kann Epo auch im Fußball einen Effekt haben“, sagt Doping-Experte Fritz Sörgel dem Abendblatt.
Vuskovic: Ergebnis erst zwei Monate nach Dopingprobe
Solange der Fall nicht eindeutig geklärt ist, hat der HSV seinen hoch veranlagten Spieler aus dem Trainings- und Spielbetrieb herausgenommen. Folgerichtig fehlte der Kroate auch am Sonntag, als seine Mitspieler für zehn Tage in die USA flogen. Schon beim Heimsieg am Sonnabend gegen Sandhausen (4:2), dem letzten Pflichtspiel vor der zweieinhalbmonatigen WM-Pause, kam Vuskovic nicht mehr zum Einsatz. „Aus privaten Gründen“, teilte der Club zunächst mit. Doch inzwischen dürfte jeder verstanden haben, dass diese Gründe längst nicht mehr nur noch privater Natur sind, sondern auch gravierende Auswirkungen für den HSV haben könnten.
Die Entnahme der positiven Dopingprobe erfolgte bereits am 16. September, bestätigte die Nationale Anti-Doping Agentur (Nada), die das Mandat für die unangekündigten und unregelmäßigen Kontrollen vom DFB erhalten hat. Pro Spiel werden im Schnitt zwei Profis auf verbotene Substanzen getestet. Trainingstests finden dagegen nur alle paar Monate statt, also äußerst selten.
Der 16. September sollte einer dieser seltenen Tage sein, als Vuskovic nach dem Training gleich zweimal eine Urinprobe entnommen wurde. Dass das Ergebnis nun knapp zwei Monate später feststeht, liege innerhalb des üblichen zeitlichen Ablaufs, erklärte eine Sprecherin der Nada.
Vuskovic spielte nach Dopingprobe – kein Punktabzug gegen HSV
Seit dem positiven Test hat Vuskovic acht Zweitligaspiele und ein Pokalspiel beim Zweitrunden-Aus in Leipzig absolviert. In dieser Zeit gewann der HSV zu Hause gegen Düsseldorf und Regensburg sowie auswärts in Hannover und Paderborn und spielte unentschieden gegen Kaiserslautern. Eine Bilanz, die 13 von 24 möglichen Punkten zur Folge hatte.
Einen nachträglichen Punktabzug muss der HSV nun jedoch nicht befürchten, auch wenn sich das Dopingvergehen seines Abwehrspielers bestätigen sollte. Hierfür müssten „mehr als zwei Spieler positiv getestet“ oder dem „Club ein Verschulden nachgewiesen werden“, wie aus den Anti-Dopingrichtlinien des DFB hervorgeht.
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Hat Vuskovic gedopt? B-Probe beantragt
Und dennoch ist die Lage ernst. Sehr ernst. Der Kontrollausschuss des DFB hat ein Verfahren eingeleitet, den Verteidiger zu einer Stellungnahme aufgefordert und ihn über sein Recht informiert, innerhalb von 48 Stunden eine B-Probe beantragen zu können. Wie das Abendblatt erfuhr, ist dieser Schritt auch bereits erfolgt.
Allzu große Hoffnungen sollten allerdings weder der HSV noch Vuskovic selber an die Auswertung der B-Probe knüpfen. Denn es handelt sich dabei um denselben Urin, der ihm bereits am 16. September entnommen wurde. Es geht lediglich darum, einen Verfahrensfehler auszuschließen.
Darüber hinaus wird der HSV sein Abwehrjuwel auf Herz und Nieren prüfen, um eine genetische Erklärung durch eine körperliche Abnormalität für die hohen Blutwerte zu ermitteln. Doch auch hierbei dürften die Aussichten auf Erfolg gering sein. „Man kann natürlich versuchen, das zu untersuchen. Aber medizinisch halte ich es nicht nur für unwahrscheinlich, sondern für unmöglich“, sagt Sörgel. „Es wäre der erste Fall, der mir bekannt ist.“
Mario Vuskovic droht jahrelange Sperre
Der Fall Vuskovic schlägt erwartungsgemäß auch bundesweit große Wellen, wenngleich der Ausgang des Verfahrens offen ist. Am Sonnabendabend verkündete TV-Moderatorin Dunja Hayali im ZDF-„Sportstudio“, dass der HSV-Profi bereits gesperrt sei. Ganz so weit ist es allerdings noch nicht. Laut dem DFB werde das Sportgericht in den nächsten Tagen über eine vorläufige Sperre entscheiden.
Sollte sich der Dopingverdacht erhärten, droht Vuskovic eine Sperre von mindestens zwei Jahren. Gemäß der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB wird bei Erstverstößen darin unterschieden, ob das Dopingmittel absichtlich (Sperre von vier Jahren) oder unabsichtlich (zwei Jahre) konsumiert wurde.
„Sollte sich der Epo-Verdacht nach Durchlaufen des ganzen Verfahrens beweiskräftig bestätigen, dann würden wir nicht von einem Kavaliersdelikt sprechen“, sagt Rechtsanwalt Horst Kletke dem Abendblatt.
Mario Vuskovic: Die Folgen für de HSV
Eine solche Sperre hätte erhebliche sportliche und finanzielle Folgen für den HSV, der Vuskovic am 31. August 2021, dem letzten Tag der Sommer-Transferperiode, zunächst für 1,2 Millionen Euro von Hajduk Split auslieh und im März dieses Jahres schließlich die Kaufoption von zusätzlichen drei Millionen Euro zog. Insgesamt 4,2 Millionen Euro zuzüglich Gehalt haben die Hamburger bereits in den Spieler investiert.
Es soll ein Investment in die Zukunft sein, denn Vuskovic soll den HSV mit seinen Leistungen nicht nur im kommenden Mai zum Aufstieg in die Bundesliga führen. Er soll auch vor Ablauf seines bis 2025 gültigen Arbeitspapieres gewinnbringend verkauft werden.
Denn der finanziell arg gebeutelte HSV ist auf Transfereinnahmen angewiesen – und Vuskovic ist laut dem Internetportal „Transfermarkt“ mit fünf Millionen Euro der wertvollste Spieler des Profikaders. Hinter vorgehaltener Hand wurde er im Volkspark bereits als „Goldesel“ bezeichnet. Die (finanziellen) Erwartungen an ihn sind groß.
Mario Vuskovic: HSV lehnte 10 Millionen ab
Und auch sportlich wird Vuskovic eine große internationale Karriere vorausgesagt. Er gilt als kommender Nationalspieler seines Heimatlandes Kroatien, dem WM-Zweiten von 2018. Dessen Nationaltrainer Zlatko Dalic hatte Vuskovic im März sogar die WM-Tür für das anstehende Turnier in Katar geöffnet. „Wir haben Mario auf dem Radar. Er hat große Chancen, in unseren WM-Kader zu rutschen“, sagte der vom Abendblatt befragte Dalic damals zur Überraschung der 15 anwesenden kroatischen Journalisten.
Letztlich entschied sich Dalic doch für erfahrenere Spieler. Vuskovic soll stattdessen die U-21-EM im kommenden Sommer spielen – sofern er nicht gesperrt wird. Ein Turnier, bei dem sich die Spieler vor der Crème de la Crème der internationalen Top-Scouts in den Vordergrund spielen können.
Schon im vergangenen Sommer hatten sich Vereine aus europäischen Topligen mit einer Verpflichtung Vuskovics beschäftigt. Aus der englischen Premier League erkundigten sich die Wolverhampton Wanderers und der FC Brentford nach dem Preisschild des Verteidigers. Eine lose Zehn-Millionen-Euro-Anfrage, die beide Clubs bereit gewesen sein sollen zu zahlen, lehnte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt aber dem Vernehmen nach ab – weil er sich einen noch höheren Betrag erhofft? Klar ist: Im Falle einer Dopingüberführung könnte der HSV von einer solchen Summe nur träumen.
Epo-Versehen bei Vuskovic? Experte klärt auf
„Wir unterstützen Mario Vuskovic und die zuständigen Behörden bei der Aufklärung und stehen parallel dazu im engen Austausch mit der DFL und dem DFB“, teilte der HSV am Sonnabend in einem offiziellen Kommuniqué mit, kündigte maximale Transparenz an und sprach von „sehr wenigen Details des Ermittlungsstandes“. Mit anderen Worten: Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung.
Doch für Sörgel sind Zweifel an Vuskovics Unschuld angebracht. „Epo muss in den Muskel oder in die Vene gespritzt werden. Man kann Epo nicht aus Versehen im Blut haben“, sagt der Doping-Experte, der für den Fall der Fälle zudem die Frage nach den Hintermännern aufwirft. „Hinter Epo steht selten ein Sportler allein. Meist verbirgt sich dahinter ein ganzes Netzwerk, bei dem auch die Dosis und alles andere abgestimmt wird.“
Geht der Fußball zu lasch mit Doping um?
Der Professor für Pharmakologie kritisiert zugleich den aus seiner Sicht laschen Umgang im Fußball mit dem Thema Doping. „Natürlich gibt es Tests, aber viel zu wenige. Es gibt Spieler, die nicht einmal in der Saison getestet werden.“
Ein Vorwurf, den die Nada mit Bezug auf ihre Richtlinien zurückweist. So werden beispielsweise A-Nationalspieler häufiger kontrolliert als die Zweitligaprofis des HSV. Außerdem konzentriere sich die Nada auf Athleten, deren Sportart einer höheren Risikogruppe (A, B oder C) zugeordnet sind. Fußball gehört als Mannschaftssportart zur Risikogruppe B. In der Risikogruppe A befinden sich hauptsächlich Ausdauer- und Kraftsportarten – zum Beispiel Radsport.
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Mario Vuskovic: HSV hat juristische Option
Bleibt die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten der HSV im Falle einer Verurteilung Vuskovics hätte. „Ein bewiesenes Dopingvergehen würde zu einer fristlosen Kündigung berechtigen“, sagt Rechtsanwalt Kletke. „Im Fall der Fälle müsste sich der HSV auch mit dem Thema Schadenersatz befassen. Dabei wäre der Transferwert juristisch zwar nur schwierig als Schaden darstellbar, aber als Club muss man sich über die Geltendmachung von Ansprüchen Gedanken machen.“
Doch bevor solche Schritte in Erwägung gezogen werden, wird der HSV das Ergebnis der Ermittlungen abwarten – das gilt natürlich auch für die fußballverrückte Familie Vuskovic.