Hamburg. Holger Stanislawski spricht vor dem Derby über seine Beziehung zum HSV und die Krise des FC St. Pauli.

Entspannt und bestens gelaunt erschien Holger Stanislawski am Mittwochmittag in der Abendblatt-Redaktion am Großen Burstah und bestellte sich erst mal einen großen Pott Kaffee. Mehr als eine Stunde nahm sich der 53-Jährige Zeit, um im Podcast über das Zweitliga-Stadtderby (Fr, 18.30 Uhr, Sky) im Millerntor-Stadion zu sprechen – ohne zwischendurch eine Zigarette dampfen zu müssen.

Beim Kiezclub stieg Stanislawski als Spieler und Trainer, aber auch Vizepräsident und Sportchef zur Vereinslegende auf. Dabei hätte seine Karriere auch leicht beim HSV Schwung aufnehmen können. Doch nach zwei Aufstiegen mit der A-Jugend der Rothosen sowie der zweiten HSV-Mannschaft lag er im Clinch mit dem damaligen Trainer Gerd-Volker Schock und verließ 1989 den Club.

Stanislawski wäre fast HSV-Trainer geworden

Später, nach seiner Zeit beim FC St. Pauli, die 2011 endete, gab es aber durchaus die Option, noch einmal beim HSV anzuheuern, wie er jetzt verriet. „Direkt zu wechseln wäre nicht sinnig gewesen für alle Beteiligten“, sagte Stanislawski. „Aber mit so einem gewissen Abstand hätte man das sicherlich auch mal ins Auge fassen können. Ich habe mit dem HSV auch einmal konkret verhandelt.“ Doch daraus wurde nichts, obwohl der HSV bekanntlich zu dieser Zeit sehr oft seine Trainer wechselte.

Seit 2013 ist der frühere kopfballstarke und beinharte Innenverteidiger nun nicht mehr in der Profifußballszene aktiv. Eine Rückkehr in dieses Geschäft schließt er zwar nicht kategorisch aus, doch die Aufgabe als Geschäftsführer des größten Hamburger Rewe-Marktes in Winterhude, die er sich mit seinem Kumpel und früheren HSV-Profi Alexander Laas teilt, erfüllt ihn auch nach nunmehr schon gut acht Jahren mit großer Freude.

Ob er seine Trainerkarriere gedanklich beendet habe? „Ja, das kann man so sagen. Aber ich habe immer gesagt, wenn Barcelona mal anruft, dann wäre ich durchaus noch mal bereit, den Supermarkt einzutauschen.“

Stanislawski hofft auf Schultz-Verbleib

Doch natürlich verfolgt Stanislawski auch als „Fernseh-Fußballer“ seinen Ex-Club FC St. Pauli ganz genau. Nach sieben sieglosen Spielen in Folge könnte das Team bei einer Niederlage erstmals seit Anfang 2021 wieder auf einen Abstiegsplatz rutschen.

„Wenn du einmal da unten drinhängst, kommt von außen der Druck dazu. Damit muss eine Mannschaft gut umgehen können. Die Gefahr ist immer da, dass du bis zum Winter auch da unten drinhängst. So in die lange Winterpause zu gehen wäre nicht wirklich angenehm“, sagt Stanislawski, der als Spieler selbst erlebt hat, mit St. Pauli nur ein Jahr nach dem Abstieg aus der Bundesliga auch aus der Zweiten Liga abzusteigen.

Was also würde eine Derby-Niederlage gegen den HSV für Trainer Timo Schultz bedeuten? „Meine Hoffnung ist groß, dass Schultz auf jeden Fall nach dem Derby auch weiter Trainer ist. Davon gehe ich auch aus, und ich glaube, dass sie mit ihm die Kehrtwende schaffen können“, sagt Stanislawski, der 2010 mit Schultz in die Bundesliga aufgestiegen war.

Der frühere HSV-Profi Alexander Laas (l.) und Holger Stanislawski sind gemeinsam geschäftsführende Gesellschafter des Rewe-Centers in Winterhude.
Der frühere HSV-Profi Alexander Laas (l.) und Holger Stanislawski sind gemeinsam geschäftsführende Gesellschafter des Rewe-Centers in Winterhude. © WITTERS | TimGroothuis

Stanislawski benennt St. Paulis Fehler

Diesen Erfolg hatte Schultz mit seinem Team vor einem knappen halben Jahr trotz der Herbstmeisterschaft verpasst. Statt eines neuen Anlaufs folgte jetzt der Absturz. Einen Grund für diese Entwicklung sieht Stanislawski auch in der Transferpolitik im Sommer. „Ich hätte mir natürlich für Schulle gerade nach so einer einer guten Saison gewünscht, dass da mehr passiert, um die danach entstandenen Lücken schließen zu können.“

Mit Lücken meint er vor allem die Abgänge der Torgaranten Guido Burgstaller und Daniel-Kofi Kyereh. „Jetzt sehen wir im Moment, dass dies in der grundsätzlichen Vorabplanung vielleicht ein Fehler war.“

Ebenso kritisch sieht Stanislawski die Nebengeräusche, die in der vergangenen Rückrunde zutage traten. „Das sind immer diese Randthemen, die dann, wenn es nicht so gut läuft, natürlich eine Last im Rucksack sind. Für so einen Trainer ist das extrem schwierig, weil du vermitteln must. Du musst aber gucken, dass du gleichzeitig das Tagesaktuelle nicht aus den Augen verlierst und den Fokus auf die nächste Aufgabe wirfst, obwohl du ständig damit konfrontiert wirst. Das ist ein Ballast, den du mit dir rumschleppt. Das kostet einfach Körner für den Kopf und du kannst dich nicht so konzentrieren“, sagt er.

Stanislawski: Warum ist der HSV nicht aufgestiegen?

Vom HSV hatte Stanislawski unterdessen schon längst den Wiederaufstieg erwartet. „Ich hätte nicht gedacht, dass es wirklich so lange dauert, weil die Chancen da waren. Der HSV hat ja oftmals so ein bisschen am Kuchen genascht, aber nie ein ganzes Stück Torte bekommen. Es wird Zeit für die Stadt Hamburg“, sagt er.

Holger Stanislawski 1988/89 als Spieler der zweiten HSV-Mannschaft.
Holger Stanislawski 1988/89 als Spieler der zweiten HSV-Mannschaft. © WITTERS | WilfriedWitters

Jetzt scheint der HSV aber wirklich auf dem Weg zurück in die Bundesliga zu sein, was nicht zuletzt ein Verdienst von Tim Walter ist. Dass der Trainer mit der ihm eigenen Art nicht immer bei allen gut ankommt, sieht Stanislawski nicht unbedingt als Nachteil. „Ich glaube, Polarisieren ist auch nicht so verkehrt. Das nimmt manchmal den Druck von den einzelnen Spielern. Der Erfolg gibt ihm recht, er macht im Moment alles richtig“, sagt er.

Stanislawski kritisiert HSV für Machtkampf

Was eine ständige Unruhe in der Vereinsführung bei einer Mannschaft bewirken kann, dazu hat Stanislawski eine überraschende Meinung: „Wenn außenherum viel Tamtam oder Krach ist, dann spielt die Mannschaft meistens immer erfolgreich.“ Heißt: Dies könne ein Team auch zusammenschweißen.

Warum aber der HSV immer wieder von Machtkämpfen geschüttelt wird, läge immer noch an der glorreichen Vergangenheit des HSV: „Das Drumherum hat sich noch nie so wirklich den Gegebenheiten angepasst. Man sollte demütig und trotzdem auch dankbar sein, dass man diesen Verein repräsentieren kann. Manchmal hat man das Gefühl, das wird dann so eine One-Man-Show. Einer will immer ein bisschen wichtiger sein als der andere. Und das ist nicht gut. Wenn jeder sich da auf seine Aufgabe konzentrieren würde, dann wird es auch funktionieren.“

Bleibt am Ende noch die eine wichtige Frage: Wie geht das Derby aus? „Ich wünsche mir ja immer ein frisches, emotionsgeladenes Spiel, in dem man auch mal ein bisschen aneinandergerät – also richtig Feuer frei, offenes Visier nach vorne. Ich sage, es wird ein 3:2 für St. Pauli.“