Braunschweig/Hamburg. St. Pauli steckt nach der späten Niederlage in Braunschweig tief in der Krise. Trotzdem freuen sich die Profis auf's Derby. Echt jetzt?

In all der Tristesse, in die sich die Mannschaft des FC St. Pauli in den vergangenen Wochen hineinmanövriert hat, gab es am Sonntagmittag, rund 21 Stunden nach der in letzter Sekunde erlittenen 1:2 (0:0)-Niederlage bei Eintracht Braunschweig, dann doch noch zwei kleine Hoffnungsschimmer.

Verantwortlich dafür waren die beiden Kapitäne. Leart Paqarada, der in Braunschweig nach seiner Muskelverletzung im Oberschenkel doch noch im Kader gefehlt hatte, mischte beim Spielersatztraining voll mit und bewies mehrmals seine Schussqualität. Und auch sein Co-Kapitän Jackson Irvine, in Braunschweig mit einer großen Platzwunde am Kopf früh ausgewechselt, konnte wieder eifrig mitmachen.

Beide sind damit schon jetzt die großen Hoffnungsträger im Hinblick auf das nun schon neunte Zweitliga-Stadtderby gegen den HSV am kommenden Freitagabend (18.30 Uhr) im Millerntor-Stadion. Viel mehr als diese beiden Comeback-Personalien gibt es derzeit allerdings auch nicht, an die sich die Fans des FC St. Pauli klammern können, um sich wenigstens einen Hauch von Chance gegen den Tabellenführer auszumalen.

Schultz reicht es bei St. Pauli

Dass die Mannschaft von Trainer Timo Schultz in Braunschweig nach dem – ebenso sehenswerten wie zu diesem Zeitpunkt kaum erwarteten Führungstreffer durch Außenverteidiger Manolis Saliakas – noch zwei Gegentreffer zuließ und am Ende ohne auch nur einen Punkt wieder nach Hause fahren musste, war der bisher heftigste Tiefschlag in dieser bisher so enttäuschend verlaufenden Saison.

So kam es spürbar tief aus dem Herzen, als St. Paulis Trainer Timo Schultz nach dem Spiel haderte: „Ich bin es langsam leid, jedes Mal als Gast dem Gastgeber zum Sieg zu gratulieren.“ Dies fällt vor allem immer dann schwer, wenn die gegnerische Mannschaft keinesfalls besser gespielt und das eigene Team die Niederlage „mehr oder weniger eigenverschuldet“ (Schultz) erlitten hat.

Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. Darmstadt 98 30 / 48:24 / 64
2. Heidenheim 30 / 61:31 / 60
3. HSV 30 / 60:41 / 56
4. SC Paderborn 30 / 61:37 / 50
5. FC St. Pauli 30 / 47:35 / 50
6. Fortuna Düsseldorf 30 / 51:40 / 50
7. Kaiserslautern 30 / 43:38 / 44

Vor allem beim ersten Gegentor konnte er sehr genau schildern, was alles nach dem Ballverlust am gegnerischen Strafraum falsch gelaufen war. „Danach haben wir drei- oder viermal die Möglichkeit, den Konter zu unterbinden, durch Ballgewinn oder von mir aus auch Foulspiel und bekommen das nicht hin. Das darf uns nicht passieren“, sagte er und traf ein hartes Urteil: „Nach der Führung haben wir den Mut und das Herz verloren, weiter Fußball zu spielen.“

Dies hatte auch Mittelfeldspieler Marcel Hartel so erkannt. „Wir haben nicht das Selbstvertrauen, das man in so einer Situation eigentlich braucht. So ein Tor sollte einen eigentlich beflügeln. Heute war es genau das Gegenteil, wir sind verunsicherter geworden.“

Warum spielte Eggestein nicht?

So bleiben die beiden großen Themen, die derzeit rund um den FC St. Pauli diskutiert werden, dieselben und werden von Woche zu Woche größer. Die Auswärtsschwäche und die Sturmmisere. Seit dem 26. Februar hat das Team auswärts nicht mehr gewonnen. Und die vier nominellen Stürmer haben es in dieser Saison zusammen auf gerade einmal vier Treffer gebracht, wobei David Otto und Igor Matanovic noch gar nicht erfolgreich waren und Etienne Amenyido genau einmal.

Johannes Eggestein steht bereits seit dem 14. August bei drei Treffern. In Braunschweig war er erstmals nicht in der Startelf und kam auch nicht als Joker ins Spiel. „Ich habe mit Johannes schon vor ein paar Wochen besprochen, dass wir zusehen müssen, ihn frisch zu halten. Ich hatte vergangene Woche das Gefühl, dass er vom Kopf her einen Tick langsamer geworden ist und mal eine Pause braucht. Die hat er heute bekommen“, begründete Trainer Schultz die Entscheidung gegen seinen prominentesten Sommerzugang. Gegen den HSV dürfte er wieder dabei sein.

St. Pauli fehlt einer wie Braunschweigs Pherai

Nachdenklich stimmte unterdessen, dass Braunschweigs neuer Spielmacher Immanuel Pherai die rund 25 Minuten nach seiner Einwechslung reichten, um die beiden siegbringenden Tore für sein Team zu erzielen. Der 21 Jahre alte Niederländer war nach einer Erkältung noch nicht fit genug für einen Startelfeinsatz, aber als frischer Joker umso wertvoller. Er war im Sommer ablösefrei von Borussia Dortmunds U-23-Team nach Braunschweig gekommen und hat jetzt nach zehn Einsätzen schon sieben Scorerpunkte auf seinem Konto.

Als Nachfolger des zum SC Freiburg gewechselten Daniel-Kofi Kyereh hätte er auch sehr gut ins Team des FC St. Pauli gepasst, wie spätestens jetzt beim direkten Aufeinandertreffen erkennbar war. Pherai demonstrierte genau den Spielwitz in der vorderen Linie und die Abgebrühtheit vor dem Tor, die den St. Paulianern seit Wochen fehlen.

Echt jetzt? St. Pauli freut sich aufs Derby

Auf den ersten Blick scheint es jetzt denkbar ungünstig, dass St. Pauli in seiner immer bedrohlicheren Situation als Tabellen-14. das Stadtderby gegen den HSV zu bestreiten hat.

Mittelfeldspieler Eric Smith, der von Irvine nach dessen früher Auswechslung das Kapitänsamt übernahm, sieht dies allerdings komplett anders. „Es wird ein schweres Spiel. Aber ein Derby ist ein Derby. Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Es kann kein besseres Spiel geben, um die Wende herbeizuführen“, sagte er und eröffnete damit den verbalen Schlagabtausch vor dem Spiel am Freitag.

Ernste Mienen bei den Verlierern: St. Paulis Mittelfeldspieler Eric Smith und Torwart Nikola Vasilj zollen den mitgereisten Fans Beifall
Ernste Mienen bei den Verlierern: St. Paulis Mittelfeldspieler Eric Smith und Torwart Nikola Vasilj zollen den mitgereisten Fans Beifall © WITTERS | LeonieHorky

Zustimmung bekam Smith, etwas zurückhaltender, auch von Timo Schultz: „Vielleicht kommt das Derby jetzt genau richtig, um den Turnaround zu schaffen.“

Eintracht Braunschweig – FC St. Pauli 2:1

Eintracht Braunschweig

Fejzic – de Medina, Behrendt, Benkovic – Marx (76. Multhaup), Nikolaou, Donkor – Kaufmann (69. Pherai), Krauße (69. Henning) – Lauberbach (76. Ihorst), Ujah. – Trainer: Schiele

FC St. Pauli

Vasilj – Saliakas, Nemeth (10. Dzwigala), Medic, Ritzka (78. Zander) – Smith, Aremu (60. Fazliji) – Irvine (9. Metcalfe), Amenyido, Hartel – Matanovic (60. Daschner). – Trainer: Schultz

Tore

0:1 Saliakas (68.)1:1 Pherai (77.)2:1 Pherai (90.+4)

Schiedsrichter

Sascha Stegemann (Niederkassel)

Zuschauer

21.000

Gelbe Karten

Nikolaou (3), Benkovic, Krauße (4), Pherai (3), Marx (3) – Aremu

Erweiterte Statistik (Quelle: Sportec Solutions)

Torschüsse: 11:14 Ecken: 7:4 Ballbesitz: 40:60 % Zweikämpfe: 116:105

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