Hamburg. Problemfall Stadionfinanzierung: Der HSV-Vorstand attackiert Wettstein, Boldt und den Milliardär, der sich sofort wehrt.
Am Ende einer denkwürdigen Gesprächsrunde war HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld am Dienstagvormittag noch eines sehr wichtig. Der 53-Jährige zeigte durch das Logenfenster auf die VIP-Tribüne des Volksparkstadions und sagte: „Bitte ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, wenn ich hier am kommenden Sonnabend beim Spiel gegen Heidenheim nicht sitze.“ Wüstefeld schaute in die Runde und grinste: „Ich bin nur im Urlaub.“
Die spaßige Botschaft dahinter: Machtkampf hier, Kritik da, Kleinkrieg mit Investor Kühne dort – Wüstefeld ist noch immer da. Und will auch nicht weg – außer in den Familienurlaub nach Portugal.
HSV: Wüstefeld mit verbalem Rundumschlag
Bevor der dreifache Familienvater aber an diesem Mittwoch ins Flugzeug steigt und abhebt, wollte er noch einmal auf dem Boden der Tatsachen einiges klarstellen. In zwei insgesamt zweistündigen Medienrunden holte der zuletzt heftig kritisierte Wüstefeld, weißes Hemd, dunkles Sakko, ab 10.30 Uhr am Dienstag zu einem verbalen Rundumschlag aus.
In Loge 37, wo kurioserweise zwei Monate zuvor Vorstandskollege Jonas Boldt zu einer ebenfalls denkwürdigen Medienrunde, in der er Sportdirektor Michael Mutzel degradierte, geladen hatte, nahm Wüstefeld Stellung. Er sprach über die angespannten HSV-Finanzen, die Stadionsanierung, eine Fremdfinanzierung, seine Differenzen mit der Kühne Holding, Interessenkonflikte und seinen Disput mit Boldt.
Will man die zwei Stunden in nur einem Wüstefeld-Zitat zusammenfassen, dann passt möglicherweise dieses: „Ich finde das alles so unfassbar!“
Wüstefeld war von Stadionsanierung überrascht
Der Anteilseigener-Interimsvorstand und Ex-Aufsichtsratschef nahm sich direkt zu Beginn eine gute halbe Stunde Zeit, um vor allem über das aus seiner Sicht wichtigste HSV-Thema dieser Tage in einem Monolog zu referieren: die aus den Ruder gelaufene Finanzierung der Stadionsanierung.
Von dieser habe er erstmals erfahren, nachdem er bereits 5,11 Prozent der AG-Anteile von der Kühne Holding für 14,2 Millionen Euro erworben hatte und als später gewählter Aufsichtsrat Einblicke bekommen habe, die er vorher nicht hatte. „Als Aufsicht ist mir erstmals transparent gemacht worden, dass der Volkspark saniert werden muss. Ich muss ehrlich sagen, dass ich schockiert war, weil ich da erstmals gehört habe, dass die 23,5 Millionen (aus dem Vertrag über den Verkauf des Stadiongrundstücks mit der Stadt Hamburg, die Red.) so nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Wüstefeld nennt Übergabe von Ex-Finanzvorstand Wettstein „saumies“
Sein Hauptvorwurf, den er bereits am Vortag im Abendblatt geäußert hatte: Vorgänger Frank Wettstein und Aufsichtsrat Markus Frömming, der als Interessenvertreter der Kühne Holding mit Wüstefeld die Gespräche über den Anteilsverkauf führte, hätten ihn und seine Calejo GmbH nicht ausreichend über die finanzielle Situation, die „verschwundenen 23,5 Millionen Euro“ und die Kosten zur Stadionsanierung informiert. „Diese beiden Personen haben uns die Informationen zur Verfügung gestellt“, so Wüstefeld. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt aber nicht, dass die Mittel, die die Stadt dem HSV zur Verfügung gestellt hatte, nicht mehr da sind.“
Hintergrund für die schweren Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt könnte nach Abendblatt-Informationen allerdings auch sein, dass Wüstefelds Calejo GmbH von der Kühne Holding vertragsgemäß sogar noch weitere Anteile abkaufen müsste – die Zahlungen hierfür aber seit Monaten überfällig sind. Auf Nachfrage des Abendblatts wollte sich Klaus-Michael Kühne nicht äußern, ließ lediglich ausrichten, „dass er hoffe, dass Dr. Wüstefeld beim HSV recht bald Geschichte sein wird“.
Ob Kühnes krass formulierter Wunsch erfüllt wird, liegt nun am Aufsichtsrat, der auch im Vorstandsstreit zwischen Boldt und Wüstefeld zeitnah eine Entscheidung fällen muss. Wüstefeld selbst versuchte am Dienstag, den Konflikt kleinzureden: „Ich kann nicht von einem Zerwürfnis oder einem Machtkampf sprechen. Wir haben vielleicht mal unterschiedliche Meinungen im Sinne der AG. Es gibt Themen, bei denen der eine oder der andere eine andere Meinung hat, das ist aber nicht nur zwischen Jonas und mir so, sondern generell. Ich bin mir sicher, dass Jonas und ich das konstruktiv lösen können“, so Wüstefeld, der aber beim Thema der Stadionfinanzierung Boldt schwere Vorwürfe machte.
Wüstefeld fordert Aufklärung durch Aufsichtsrat
„Jonas war der Meinung, dass alles läuft“, antwortete Wüstefeld auf die Nachfrage, ob er im Vorstand mit seinem neuen Kollegen nicht über die Finanzen rund um die Stadionsanierung gesprochen habe. Dies müsse der Aufsichtsrat nun untersuchen. Seine unmissverständliche Erinnerung an Boldt in diesem Zusammenhang: „Der Vorstand ist in einer gesamtschuldhaften Verantwortung.“
Hauptschuldiger aus Wüstefelds Sicht sei aber Boldts Ex-Kollege Wettstein, der im Dezember beurlaubt wurde, zuvor aber die 23,5 Millionen Euro der Stadt ausgegeben, die notwendigen Sanierungsarbeiten nicht beauftragt und all das auch noch vor ihm verheimlicht habe. „Die Eskalation der Sachthematik war so nicht klar. Wir sind davon ausgegangen, dass durch den Verkauf des Grundstücks genau die Mittel auf ein Sonderkonto geparkt werden und man dann in die Umsetzung geht“, kritisierte Wüstefeld, dem Wettstein bei der Due Diligence nur gesagt habe, dass alles im Lauf und alle finanziellen Themen berücksichtigt seien. Zudem sei die Übergabe im Januar „saumies“ gewesen.
So konnte er sich erst in den vergangenen Monaten in die gesamte Thematik einarbeiten. Die Folge: Die Kosten sind zuletzt explodiert, und der HSV muss im Hinblick auf die dringend benötigten Arbeiten kurzfristig mindestens 21 Millionen Euro neue Schulden machen. Erst wenn diese Thematik zufriedenstellend erledigt sei, könnten weitere Transfergelder freigegeben werden.
Die gute Nachricht: Er sei in finalen Gesprächen mit mehreren Partnern, um Finanzierungsmöglichkeiten und auch Bürgen zu finden. „In den nächsten zehn Tagen“ könne er Vollzug vermelden, so Wüstefeld. Nach Abendblatt-Informationen soll einer dieser Partner Neu-Aufsichtsrat Detlef Dinsel sein, der ebenfalls mit der Kühne Holding über einen Anteilskauf verhandelt hatte, diese Gespräche aber vorerst ruhen lässt.
HSV-Vorstand will Dacherneuerung aufschieben
Wüstefeld wolle zudem bei den zuständigen Behörden beantragen, dass die Frist für die kostspielige Sanierung der Dachmembran, die alleine mehr als zehn Millionen Euro kosten soll, von Mai 2023 auf Dezember 2023 verlegt wird. Denn auch von der Problematik rund um das Dach habe er nicht einmal von den zuständigen Direktoren (Daniel Nolte, zuständig für das Stadion, und Eric Huwer, zuständig für Finanzen, die Red.) im Januar etwas erfahren, nachdem er bereits Interimsvorstand beim HSV wurde.
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Dies ist insofern erstaunlich, als dass das Abendblatt bereits vor zwei Jahren über die genauen Kosten für die Stadionsanierung und den Anforderungskatalog der Uefa berichtet hatte. „HSV braucht 30 Millionen fürs Stadion“, lautete damals die Schlagzeile. Seinerzeit warnte Wettstein: „Wir müssen uns deutlich mehr Gedanken machen, wie wir unseren aufgestellten Investitionsplan für die nächsten Jahre noch umsetzen können.“ Und weiter: „Klar ist nur, dass dann auch irgendwann die Dinge final entschieden werden müssen.“
Nun, entschieden wurde danach lange nichts. Weder von Wettstein, noch nach dessen Aus von Wüstefeld. Als dieser dann im Frühjahr den 90-seitigen Vertrag zum Stadion mit der Uefa endlich gelesen habe, hätte er eine Gänsehaut bekommen. „Rein betriebswirtschaftlich“ könne er nicht verstehen, so Wüstefeld, wie man so einen Vertrag unterschreiben kann. So würde alleine die Klimatisierung der VIP-Räumlichkeiten, auf die die Uefa bestehe, sechs Millionen Euro verschlingen.
Seine Konsequenz: Er habe Ende Mai einen umfassenden Bericht von 40 Seiten an die Aufsichtsräte und die Gesellschafter verfasst, um auf die Problematiken hinzuweisen. Aufgrund des Berichts habe sich auch Dinsel entschieden, vorerst keine Anteile von der Kühne Holding zu übernehmen. Was seine eigenen, bereits bezahlten Anteile betrifft, hoffe er auf eine Lösung mit der Kühne Holding: „Es gibt ja eine Neubewertung des Aktienpakets auf Basis der neuen Informationen.“
Nach knapp zwei Stunden war alles gesagt, was gesagt werden konnte. Nur eines noch noch nicht: Fortsetzung folgt.
In der neuesten Ausgabe „HSV – wir müssen reden“ besprechen wir mit den Journalisten Marcus Jürgensen (Sky) und Michael Maske (NDR) Wüstefelds Medienrunde und den aktuellen Machtkampf beim HSV. Ab sofort kostenlos abrufbar unter abendblatt.de/hsv-podcast