Hamburg. HSV-Vorstand fühlt sich getäuscht und erwägt juristische Schritte. Aufsichtsrat Dinsel will sogar einen Untersuchungsausschuss.

Es ist schon relativ spät am Abend, als Thomas Wüstefeld auf der Mitgliederversammlung am 22. Juni am Podium das Wort ergreift. Es geht noch einmal um seine Beweggründe, warum er im vergangenen Herbst Anteile der HSV AG von Gesellschafter Klaus-Michael Kühne übernommen hat. „Ich kann Ihnen versichern: Das waren nicht nur positive Dinge“, sagt der 53-Jährige, als er über die Vorabprüfung der wirtschaftlichen Situation des HSV berichtet. Wüstefeld spricht Klartext, wird nur ab und an durch den Applaus der Mitglieder unterbrochen.

„Das Bild, das ich mir gemacht habe, war nicht schön. Es waren große Felsen, ein Einkaufswagen voller Probleme.“ Der HSV-Vorstand wird ernst: „Meine Wirtschaftsprüfer haben mir nach allen Prüfungen abgeraten, beim HSV als Gesellschaft einzusteigen“, sagt er. „Aber mein Sohn ist großer HSV-Fan. Er hat gesagt: Mach es trotzdem!“

HSV-Anteile: Klagt Wüstefeld gegen Kühne?

Sechs Wochen später weiß Wüstefeld: Er hätte besser auf seine Wirtschaftsprüfer hören sollen. 14,2 Millionen Euro hat der Hamburger Medizinunternehmer für 5,11 Prozent der AG-Anteile bezahlt – und würde dieses Geschäft so nicht noch einmal machen. Mehr noch: Er würde es wohl am liebsten rückgängig machen. Wie das Abendblatt erfuhr, will Wüstefeld aktuell den damaligen Anteilsdeal mit Klaus-Michael Kühne noch einmal neu aufrollen.

Dem Abendblatt bestätigt der HSV-Vorstand: „Wir sind in Gesprächen mit der Kühne Holding, leider wurden uns im Due Diligence nicht alle relevanten Unterlagen und Informationen zur Verfügung gestellt.“ Sollte sich zwischen den beiden Parteien keine zufriedenstellende Lösung finden, soll Wüstefeld sogar in Erwägung ziehen, juristisch gegen die Kühne Holding vorzugehen.

Noch einmal zum Mitschreiben: Wüstefeld, momentaner HSV-Vorstand, und Kühne, seit Jahren größter HSV-Privatgesellschafter, Investor und Befürworter der Idee, das Volksparkstadion in Uwe-Seeler umzubenennen,, könnten sich ernsthaft vor Gericht treffen!

Was Wüstefeld an HSV-Deal mit Kühne moniert

Der Hintergrund ist kompliziert und einfach zugleich. Bevor sich Wüstefelds Calejo GmbH und Klaus-Michael Kühnes Holding nach langen Gesprächen auf ein umfangreiches Vertragswerk geeinigt hatten, hatten Wüstefelds Wirtschaftsprüfer die bereits erwähnte Due Diligence, eine eingehende Prüfung eines zum Verkauf stehenden Unternehmens, beim HSV durchgeführt.

Hierbei sei auch der auf der Mitgliederversammlung beschriebene „Einkaufswagen voller Probleme“ sichtbar geworden – allerdings sollen Wüstefeld und seine Wirtschaftsprüfer nach späterer Einschätzung einen ganzen „Supermarkt voller Probleme“ nicht erkannt haben. Und über das „Wieso? Weshalb? Warum?“ gibt es nun höchst unterschiedliche Auffassungen.

Investor Klaus- Michael Kühne (85) hatte Teile seiner HSV-Anteile verkauft.
Investor Klaus- Michael Kühne (85) hatte Teile seiner HSV-Anteile verkauft. © HA | Roland Magunia

Wüstefeld moniert, dass ihm „relevante Unterlagen und Informationen für die gesamte Instandhaltung und Sanierung des Volksparkstadions“ nicht zur Verfügung gestellt worden wären. „Des Weiteren wurden uns die Anforderungen und Bedingungen aus dem Vertrag für die EM 2024 nicht vollständig dargelegt sowie alle notwendigen Informationen über die gesamte betriebswirtschaftliche Situation“, sagt er dem Abendblatt.

Klaus-Michael Kühne, der erst kürzlich in einer privaten E-Mail an den früheren Bundesligamanager Reiner Calmund von einer „schwachen Vereinsführung“ schrieb, war aufgrund eines Feiertags in der Schweiz für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

HSV: Wüstefelds Kritik führt zum Stadion-Deal

Hauptstreitpunkt ist ein zweiseitiges Dokument, das laut Wüstefeld ihm bei der Due Diligence nicht gezeigt wurde, allerdings öffentlich einsehbar ist: Die Verpflichtungserklärung der HSV Fußball AG, die den Rückkauf des Volksparkstadiongrundstücks zwischen der Stadt Hamburg und dem HSV regelt. So heißt es in dem Papier über den 23,5-Millionen-Deal, dass der HSV „die für die Uefa Euro 2024 gemäß Tournament Requirements und Stadionvertrag erforderlichen Maßnahmen im Stadion und im Stadionareal fristgerecht durchzuführen sowie die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten zu tragen“ hat.

Im Klartext: Der HSV verpflichtet sich durch den Millionendeal, die Sanierungsarbeiten für die Euro 2024 ohne weiteren Hilfen der Stadt durchzuführen. Unter Punkt 2 heißt es deutlich: „Die HSV Fußball AG unterwirft sich im Falle der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung einer angemessenen Vertragsstrafe in Höhe von bis zu 10 Prozent des Kaufpreises (also 2,35 Millionen Euro, die Red.) für das Stadiongrundstück. Diese Zahlung wird fällig, wenn die Uefa bzw. der DFB die Nichtumsetzung feststellt und der HSV erforderliche Nachbesserungen schuldhaft nicht durchführt.“

Da die Sanierungsarbeiten, über die es seit Monaten großen Streit beim HSV gibt, bis heute nicht beauftragt wurden, muss man mittlerweile mit Kosten von 30 bis 40 Millionen Euro rechnen. Laut Wüstefeld sei der Wert der HSV-Anteile dadurch ein viel niedrigerer als der, den er im vergangenen Jahr gezahlt habe.

Auch Dinsel zögert bei Kühnes HSV-Anteilen

Verständnis für diese Sichtweise dürfte Wüstefeld von Neu-Aufsichtsrat Detlef Dinsel, der selbst Anteile von der Kühne Holding erwerben wollte und ebenfalls eine Due Diligence durchführte, erhalten. „Wir waren relativ weit mit der Kühne Holding in unseren Gesprächen – allerdings ruhen diese Gespräche derzeit. Nun gibt es noch ein paar Themen, über die wir noch einmal neu sprechen müssen“, bestätigt Dinsel, der gegenüber dem Abendblatt betont, nicht als Aufsichtsrat, sondern als potenzieller Anteilseigner Stellung zu beziehen. Sein Schlusswort: „Ich freue mich aber auf weitere konstruktive Gespräche mit der Kühne Holding.“

Ob diese nach den Geschehnissen der vergangenen Tage tatsächlich noch möglich sind, bleibt abzuwarten. Nach Abendblatt-Informationen hat es noch vor wenigen Wochen ein ergebnisloses Treffen mit Dinsel, Wüstefeld und den Kühne-Vertretern Markus Frömming und Karl Gernandt gegeben, um eventuelle Differenzen auszuräumen. Ursprünglich wollten die drei Investoren (Dinsel, Wüstefeld, Kühne) ein gleichberechtigtes Gesellschafter-Triumvirat beim HSV bilden, das unabhängig von den genauen Besitzverhältnissen der AG-Anteile sich paritätisch verhält.

Dafür sollte Wüstefeld seine bisherigen AG-Anteile in Höhe von gut 5 Prozent durch einen erneuten Deal mit Kühne sogar noch einmal aufstocken. Durch die Differenzen zwischen Wüstefeld und der Kühne Holding dürfte diese Idee hinfällig sein. Zudem konnte sich das Trio bislang auch nicht auf eine konsensuale Vereinbarung einigen, auf die besonders Dinsel bestanden haben soll.

HSV-Stadion: Dinsel will Untersuchungsausschuss

Bleibt die Frage, wie es bei den Investoren weitergeht. Längst sind die Streitigkeiten unter den Anteilseignern auch im Aufsichtsrat angekommen, wo Kühne-Vertreter Markus Frömming (gemeinsam mit Hans-Walter Peters) eine Art Gegenposition zu Dinsel (mit Marcell Jansen und Michael Papenfuß) einnimmt. Während die eine Seite Wüstefeld lieber heute als morgen als Interimsvorstand wieder absetzen würde, sieht die andere Seite vor allem Wüstefelds Vorstandskollegen Jonas Boldt kritisch.

Nach Abendblatt-Informationen hat Neu-Kontrolleur Dinsel nun sogar eine Art Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, durch den er die gesamten Vorkommnisse rund um die immer teurer gewordene Stadionsanierung aufarbeiten will.

Dinsel und Wüstefeld kritisieren Boldt für HSV-Deal mit der Stadt

Besonders die rund 90-seitige Vereinbarung zwischen dem HSV und der Uefa, die seinerzeit Boldt und dessen damaliger Vorstandskollege Frank Wettstein unterzeichnet hatten, ist dem Wahl-Hamburger, der auch als neuer Aufsichtsratsvorsitzender im Gespräch ist, ein Dorn im Auge. Dabei wird hinter den Kulissen auch immer wieder betont, dass Boldt zwar für das Sportliche in der HSV-Führung zuständig sei, laut Aktiengesetz aber als Vorstand genauso in der Gesamtverantwortung wie der ehemalige Finanzvorstand Wettstein für den Millionendeal mit der Stadt Hamburg und allen Begleitumständen sei.

Doch auch die Frage, wie der HSV die ausufernden Kosten stemmen will, ist noch unbeantwortet. Nach Abendblatt-Informationen arbeitet Wüstefeld derzeit an einer Fremdfinanzierung, für die er aber weitere Bürgen benötigt. Einer, der sich bereit erklärt hat, ist: Investor Detlef Dinsel. Doch ob der Wüstefeld-Plan tatsächlich aufgeht, ist ungewiss. Ab diesem Mittwoch hat er ohnehin nur einen Plan: Urlaub.