Hamburg. HSV hofft auf Festspiele in Bayreuth, um eine Fußballkrise zu verhindern. Die Aufsichtsräte sind sich derweil uneins.

Als die Mannschaft des HSV am Freitagmittag um 13.19 Uhr in Altona den ICE 709 enterte, hätte sie sich wohl kein passenderes Reiseziel auswählen können. Denn in Bayreuth, wo die Hamburger an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) in der ersten Runde des DFB-Pokals auf die Spielvereinigung treffen, soll an diesem Wochenende nicht nur ein Fußballspektakel geboten werden.

Schließlich richtet die inoffizielle Hauptstadt der Oper seit dieser Woche auch die jährlichen Wagner-Festspiele aus, in denen laut Regisseur Roland Schab „das berühmteste Weltflucht-Opus der ganzen Musikgeschichte“ geboten wird. „Wenn eine Zeit das Bedürfnis kennt, der Welt zu entfliehen, dann ist das unsere“, hatte Schwab vor seiner Neu-Inszenierung von Tristan und Isolde gesagt – und damit ungewollt auch allen HSV-Fans aus der Seele gesprochen.

Pokalspiel gibt die Richtung beim HSV vor

Denn das Bedürfnis, der aktuellen HSV-Welt mit all ihren Peinlichkeiten, Führungskrisen und offen ausgetragenen Streitereien zu entfliehen, dürfte selten zu so einem frühen Zeitpunkt der Saison so groß gewesen sein wie derzeit. Das einzige Problem dabei: Nur wenn die Hamburger ihre Pflichtaufgabe in der Stadt am Roten Main bewältigen und den Drittligaaufsteiger besiegen, wird die kurzfristige Flucht aus der HSV-Realität gelingen.

Verliert der HSV aber nach dem Heimspiel gegen Rostock nun auch im DFB-Pokal, dann gesellt sich zu der veritablen Führungskrise auch noch eine sportliche Krise, die den einst so stolzen Fußballclub derart ins Wanken bringen könnte, dass man direkt eine eigene Oper darüber schreiben müsste.

HSV-Aufsichtsrat forciert Entscheidung

Ganz so weit ist es aber noch nicht. Und während am Freitag die HSV-Aufsichtsräte damit beschäftigt waren, in mehreren Telefongesprächen nach einem Ausweg aus der Führungssackgasse um die völlig zerstrittenen Vorstände Thomas Wüstefeld und Jonas Boldt zu suchen, versuchten sich Trainer Tim Walter und sein Team beim Abschlusstraining und der anschließenden, siebenstündigen Bahnfahrt auf ihre eigenen Bayreuther Festspiele einzustimmen.

„Es ist wichtig, dass die Jungs wissen, dass es kein Selbstläufer wird“, sagte Walter vor der Abfahrt. „Wir haben uns auf Bayreuth wie auf jeden Zweitligisten vorbereitet.“

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Nachdem spielerisch gegen die Zweitligisten Braunschweig (2:0) und Rostock (0:1) zuletzt allerdings nur wenig bis gar nichts klappte, soll nun also der sportliche Einstieg in diese Saison gegen den Drittligisten gelingen. „Es geht um Fußball“, sagte Walter noch einmal deutlich. Ein Satz, der bei einem Fußballverein ganz logisch klingt, beim HSV in diesen Tagen aber einmal mehr betont werden muss.

Erste HSV-Aufsichtsräte rücken von Wüstefeld ab

Denn was auch an diesem Freitag wieder hinter den Kulissen im Volkspark geboten wurde, hätte sich auch Richard Wagner persönlich nicht ausdenken können. So sollen einzelne Aufsichtsräte ihre Gespräche intensiviert haben, um eine Lösung für den Vorstandsstreit zwischen Wüstefeld und Boldt zu finden. Allerdings weigerte sich Chefkontrolleur Marcell Jansen auch am Freitag, eine längst überfällige außerordentliche Aufsichtsratssitzung einzuberufen.

Dem Vernehmen nach soll das siebenköpfige Kontrollgremium sehr uneins darüber sein, wie es im lähmenden Führungsstreit weitergehen soll. Zudem weilen gleich mehrere Räte im Urlaub. Nach Abendblatt-Informationen soll es aber mindestens drei Kontrolleure geben, die Wüstefelds ursprünglich für ein Jahr ausgelegtes Vorstandsengagement vorzeitig beenden wollen. Für solch eine Entscheidung bräuchte es jedoch mindestens vier Stimmen. Einig ist man sich beim HSV lediglich darin, dass ein Weiter-so mit Wüstefeld und Boldt als Tandem mittlerweile undenkbar scheint.

Schiebt HSV Führungsstreit beiseite?

All das soll aber nur eine Nebenrolle gespielt haben, als die eigentlichen HSV-Protagonisten am Freitagabend am Bayreuther Bahnhof ankamen. Viel mehr geht es darum, Bayreuths Linksaußen Alexander Nollenberger Lügen zu strafen. Der 25-Jährige hatte im „Kicker“ sehr vollmundig angekündigt: „Man sieht schon, dass man ihnen wehtun kann, wenn man hinten gut steht und vorne mit guten Kontern reinsticht. Der Gegner ist zu schlagen, das ist klar.“ Allerdings sei bei so einer Konstellation auch immer klar, „dass wir einen sehr guten Tag brauchen und der Gegner einen schlechten.“

Schlechte Tage hat der HSV in den vergangenen Wochen allerdings mehr als genug gehabt – sowohl auf, als auch abseits des Spielfeldes. Deswegen dürfte HSV-Trainer Walter auch in Oberfranken auf Nummer Sicher gehen und seine mutmaßlich beste Startelf gegen den Underdog aufbieten. „Es geht um alles“, sagt auch Torjäger Robert Glatzel, der in der Saison 2014/15 in der Regionalliga Bayern zweimal gegen Bayreuth antreten musste.

Acht Jahre ist das mittlerweile her – und mittlerweile ist aus dem talentierten Viertligastürmer die sportliche Lebensversicherung des HSV geworden. In dieser Saison hat er die einzigen beiden HSV-Treffer erzielt – in der vergangenen Spielzeit durfte er sich neben seinen 22 Zweitligatoren auch über fünf Pokaltreffer in fünf Pokalspielen freuen. „Wir müssen die Lehren aus den Spielen gegen Braunschweig und Rostock ziehen und es nun im Pokal besser machen“, sagt Glatzel.

Ein Ausflug in die Oper konnte Trainer Walter seinen Fußballern vor dem Pokalspiel allerdings nicht bieten. Ausgerechnet am Freitag pausierte der eng getaktete Festspielplan. Aber: Sollte der HSV an diesem Sonnabend ohne Verlängerung und Elfmeterschießen gewinnen, könnte die Mannschaft die Vorführung „Nach Tristan“ um 19.30 Uhr noch schaffen.

Die Aufstellungen:

  • Bayreuth: Kolbe – Hemmerich, Weber, Schwarz, Lippert – Groiß, Kirsch, Andermatt – Nollenberger, Heinrich – Steininger.
  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Benes – Königsdörffer, Glatzel, Kittel.