Hamburg. Die seit Wochen andauernden Unruhen beim HSV stehen vor der Eskalation. Nun bezog der Chef der Hamburger Stellung.
Thomas Wüstefeld (53) hatte Redebedarf. Der umstrittene Interimsvorstand des HSV lud inmitten der größten Führungkrise der jüngeren Clubhistorie am Dienstagmorgen zum Mediengespräch ins Volksparkstadion.
In den vergangenen Tagen wurde vor allem über Wüstefeld geredet: über das seit Monaten irreparable Verhältnis zu Sportvorstand Jonas Boldt (40), die Bewältigung der katastrophalen Finanzsituation und nicht zuletzt der Versuch von Wüstefeld, den Anteilskauf von HSV-Investor Klaus-Michael Kühne (85) neu zu verhandeln.
HSV: Wüstefeld sieht kein belastetes Verhältnis zu Boldt
Hinzu kommt die schwierige Finanzierung der nötigen Stadionrenovierung, die bis zu 40 Millionen Euro verschlingen wird, von der aber niemand beim HSV konkret weiß, wie man diese Summe aufbringen kann. Dementsprechend groß war die Spannung, was Wüstefeld bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Wochen zu sagen hatte.
Wenig überraschend versuchte Wüstefeld, nicht zusätzliches Öl ins Feuer zu geießen. So spielte er sein belastetes Verhältnis zu Boldt herunter. „Ich kann nicht von einem Zerwürfnis oder einem Machtkampf sprechen. Jonas und ich führen den Vorstand der HSV Fußball AG. Wir haben vielleicht mal unterschiedliche Meinungen im Sinne der AG. Es gibt Themen, bei denen der eine oder der andere eine andere Meinung hat, das ist aber nicht nur zwischen Jonas und mir so, sondern generell. Ich bin mir sicher, dass Jonas und ich das konstruktiv lösen können“, erklärte Wüstefeld.
Wüstefeld bestreitet Lagerbildung beim HSV
Doch ganz so einfach wird Wüstefeld die Probleme mit Boldt, von denen jeder in der Fußballbranche weiß, nicht wegmoderieren können. Zu sehr haben sich die beiden Vorstände in den vergangenen Monaten voneinander entfernt. Innerhalb des HSV kam es zu einer Lagerbildung. Auf der einen Seite Wüstefeld und Aufsichtsratschef Marcell Jansen, auf der anderen Boldt, Trainer Tim Walter und Nachwuchschef Horst Hrubesch.
„Ich weiß nicht, ob Lagerbildung das richtige Wort ist“, sagte Wüstefeld: „Wir sind beides Vorstände, wir haben beide eine Aufgabe. Wir müssen die HSV Fußball AG führen. Da hat Jonas seinen Schwerpunkt im Sport und ich meinen im Bereich Finanzen, Marke, Marketing, Ticketing und all diesen anderen Aufgaben“, stellte Wüstefeld die Arbeitsfelder noch einmal klar.
Neben dem Streit zwischen Boldt und Wüstefeld belastet den HSV vor allem die finanzielle Situation. Durch die notwendige Stadionsanierung, die bis zu 40 Millionen Euro kosten soll, kommt eine extreme wirtschaftliche Belastung auf die Hamburger zu. „Wir haben Investitionen durchzuführen. Das sind zum einen die für den Spielbetrieb, die losgelöst von der Europameisterschaft 2024 sind, und wir haben noch die Investition für die EM“, erklärte Wüstefeld.
HSV: Wüstefeld sieht Stadionfinanzierung auf Zielgeraden
Klar ist: Ohne externe finanzielle Hilfe wird der HSV die Sanierung der maroden Spielstätte nicht schaffen. „Wir sind an beiden Themen dran, das werden wir nicht aus Eigenmitteln schaffen, sondern wir brauchen eine Fremdfinanzierung. Und für diese Fremdfinanzierung mit den Finanzierungsmodellen sind wir auf der Zielgeraden. Ich hoffe, dass wir in kürzester Zeit dem Aufsichtsrat mitteilen können, dass wir operativ das Thema gelöst haben“, blickt der HSV-Vorstand voraus, ohne konkret zu werden.
Das Horrorszenario, dass keine EM-Spiele in Hamburg stattfinden können, will Wüstefeld in jedem Fall vermeiden. Zu groß wäre auch der Imageschaden für den HSV und die Stadt Hamburg. „Wir sind dabei und arbeiten deshalb Tag und Nacht, damit dieser Fall nicht eintritt. Wir werden alles dafür tun, dass wir die Europameisterschaft in Hamburg durchführen.“
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Erst wenn die Finanzierung der Sanierung steht, will man entscheiden, ob und ich welcher Größenordnung der HSV auf dem Transfermarkt aktiv werden kann. Immer wieder hatte Trainer Tim Walter Neuzugänge gefordert. „Es besteht ein hohes Interesse, noch einmal in die Neuverpflichtungen zu gehen, das konnte man ja entnehmen. Auf der anderen Seite haben wir aber das Thema der Sanierung und der Kosten. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir das eine Thema schnell schließen können, wir für die anderen Themen auch wieder offen sind“, sagte Wüstefeld.
HSV: Wüstefeld lässt Zukunft als Vorstand offen
Apropos offen: Wüstefeld wollte über seine berufliche Zukunft beim HSV nicht konkret Stellung beziehen. Bis zum Jahresende ist er vom Aufsichtsrat als Interimsvorstand entsandt. Aufgrund der aktuellen Situation kann man sich kaum vorstellen, dass es darüber hinaus eine Zusammenarbeit zwischen Boldt und Wüstefeld geben kann.
Wüstefeld selbst sagte: „Das muss der Aufsichtsrat beantworten. Ich sehe jetzt meine Pflicht – und die erfülle ich mit allem Engagement – darin, dass ich ganz schnell die Situation wieder in ein ruhiges Fahrwasser fahre. Danach denke ich, dass man sich über die anderen Themen austauschen kann.“
Kabinenstreit mit Walter: So sieht ihn Wüstefeld
Einen Austausch gab es auch zwischen Wüstefeld und Trainer Walter. Beide sollen sich im Kabinentrakt angeschrien haben. Es soll um VIP-Karten für Angehörige der Spieler gegangen sein, die ohne Absprache mit den Profis vom Gehalt abgezogen wurden. Walter soll daraufhin auch Wüstefeld untersagt haben, sich in der Nähe der Mannschaft aufzuhalten.
„Wir wissen ja alle, dass Tim manchmal sehr impulsiv und emotional ist. Ich habe das gar nicht so bewertet. Ich habe mich mit Tim ausgetauscht, wir haben das Thema geregelt. Für mich ist das Thema ein normaler Austausch eines Sachverhalts, der bei Tim zu besprechen war.“
Auf den Dialog setzt Wüstefeld derweil auch in der Causa Michael Mutzel. Der freigestellte Sportdirektor hatte vor dem Arbeitsgericht Barmbek recht bekommen. Somit müsste der HSV Mutzel eigentlich wieder beschäftigen. Eine Rückkehr an seinen alten Arbeitsplatz sieht Wüstefeld kritisch. „Das ist ist eine theoretische Option. Ich finde es wichtig, dass sich alle Parteien an einen Tisch setzen und das beste Modell für die HSV Fußball AG herausfinden“, erklärte Wüstefeld.