Hamburg. Darf der Club die 23,5 Millionen Euro für andere Zwecke nutzen oder nicht? “Der Teufel steckt im Detail“, sagt ein Kapitalmarktexperte.
Am Mittwoch erhielt der HSV eine nicht unwesentliche Finanzspritze. Wie der Verein mitteilte, vergibt die von Alexander Otto initiierte HSV-Campus gGmbH Fördermittel von rund 450.000 Euro für nachhaltige Projekte. Einziger Haken: Von der Summe können keine neuen Spieler der Profimannschaft finanziert werden, das Geld muss für die Belange des e. V. eingesetzt werden.
Nicht ganz so eindeutig war dagegen bislang, wie die HSV Fußball AG mit den 23,5 Millionen Euro für das Erbbaurecht auf dem Stadiongelände wirtschaften darf. Zur Erinnerung: Im September 2020 hatte der Club das Grundstück, auf dem das Volksparkstadion steht, an die Stadt verkauft und sich gleichzeitig zu einer jährlichen Zinszahlung von 423.000 Euro bis zum Jahr 2087 verpflichtet.
Am Ende wird der HSV mehr als 28 Millionen Euro an die Hansestadt zurückzahlen. Beide Seiten schufen damit die Grundlage, um die dringend benötigten Sanierungsarbeiten für die EM 2024 realisieren zu können.
HSV darf mit Millionen auch Kosten decken
Bislang ist der Deal von einigen so interpretiert worden, dass die 23,5 Millionen Euro zweckgebunden für die Modernisierung des Volksparkstadions eingesetzt werden müssen. So berichtete beispielsweise der NDR am 26. September 2020, der HSV dürfe das Geld „ausschließlich für die Renovierung der Arena nutzen“. Dies habe die Hamburger Finanzbehörde auf Nachfrage betont.
Wie diese Betonung zustande gekommen sein soll, lässt sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Klar ist aber: Das komplette Gegenteil ist der Fall. Das Abendblatt ist der Sache auf den Grund gegangen, um für Klarheit zu sorgen. Hintergrund der Recherche waren zwei kürzlich geführte Interviews von HSV-Finanzvorstand Frank Wettstein (auf hsv.de und beim NDR), in denen zwischen den Zeilen das Gegenteil bisheriger Annahmen rund um den Stadiondeal herauszulesen ist.
Und tatsächlich: Wie aus dem Kaufvertrag zwischen der Stadt und dem HSV hervorgeht und beide Parteien dem Abendblatt bestätigten, darf der Club die Einnahmen für den Grundstücksverkauf auch anderweitig einsetzen – zum Beispiel für laufende Kosten.
HSV schloss Verträge mit Uefa und der Stadt
Eine Verpflichtung gibt es lediglich zwischen dem HSV und der Europäischen Fußball-Union (Uefa), dass der Club die Sanierungsanforderung des Verbands für die EM 2024 zu erfüllen hat. Dieser Vertrag ist vor der Einigung mit der Stadt unterschrieben worden. Gegenüber der Stadt hat sich der HSV nur dazu verpflichtet, den Vertrag mit der Uefa zu erfüllen. Mit welchem Geld die anstehende Sanierung bezahlt werden soll, ist dagegen nicht Bestandteil des Kaufvertrags mit der Hansestadt.
Im Klartext: Die 23,5 Millionen Euro dienen zwar als finanzielle Unterstützung, um das Volksparkstadion zu modernisieren. Explizit dafür eingesetzt werden muss die Zahlung dafür aber nicht.
HSV trägt das Risiko einer Vertragsstrafe
Etwas verklausuliert lautet die entsprechende Passage auf Seite 39 im Kaufvertrag wie folgt: „Der HSV verpflichtet sich, mithilfe des Erlöses aus dem Ankauf des Stadiongrundstücks u. a. die für die Uefa Euro 2024 (...) erforderlichen Maßnahmen im Stadion und im Stadionareal fristgerecht durchzuführen.“ Unter anderem.
„Der Teufel steckt im Detail“, sagt Kapitalmarktexperte Eric Wiese von der Hamburger Vermögen GmbH dem Abendblatt. „Es besteht die Gefahr, dass Hamburg am Ende kein saniertes Stadion hat und die Stadt vorerst um 23,5 Millionen Euro ärmer ist“, warnt Wiese.
Ein Vorwurf, den der HSV abstreitet. Der Club ist felsenfest davon überzeugt, die Finanzierung für die Stadionsanierung stemmen zu können. Täte er dies nicht, wäre ohnehin eine satte Vertragsstrafe fällig. Wie aus Anlage II Ziffer 2 hervorgeht, wäre dann eine Zahlung in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises für das Stadiongrundstück – also 2,35 Millionen Euro – an die Stadt fällig. Doch so weit soll es natürlich nicht kommen.
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Experte: "HSV hat sein Tafelsilber verkauft"
Welche genauen Anforderungen die Uefa an den HSV stellen wird und wann diese umgesetzt werden, ist noch offen. Die Hamburger rechnen mit Kosten zwischen 20 und 30 Millionen Euro für den Austausch der Dachmembranen, ein neues LED-Flutlicht, die Stadionbeschallungsanlage, die Erweiterung des Zutrittskontrollsystems, die Erweiterung und Instandhaltung der IT-Infrastruktur und die Digitalisierung, die Modernisierung des Küchen- und Kühlsystems, die Instandhaltung und Modernisierung der Lüftungs- und Heizungstechnik sowie die Erweiterung der Zuschauerkapazität inklusive sicherheitstechnischer Optimierung.
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Sollten die Kosten explodieren, muss der HSV das zusätzliche Geld auftreiben. Die Stadt hat sich durch den Grundstückskauf von weiteren Beteiligungen an den Kosten bis zum Jahr 2025 freigekauft. Ein Deal, den Eric Wiese kritisch sieht. „Der HSV hat sein Tafelsilber verkauft“, urteilt der Kapitalmarktexperte. „Für mich sieht es so aus, als wären hier letzte Reserven veräußert worden.“
HSV sieht noch kein Geld der Finanzbehörde
Doch genau an dieser Stelle wird es noch einmal spannend. Denn das versprochene Geld der Stadt ist noch immer nicht auf dem Konto des HSV eingetroffen. „Dies wird auch noch mindestens zwei Monate dauern“, sagt Imme Mäder, Sprecherin der Finanzbehörde, dem Abendblatt.
Grund seien Zahlungsvoraussetzungen gemäß des Kaufvertrags. Hierbei handele es sich im Wesentlichen um Einträge im Grundbuch, die einige Zeit in Anspruch nehmen würden. „Sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird innerhalb von zehn Tagen das Geld überwiesen“, verspricht Mäder.
Klar ist: Solange das Geld nicht überwiesen ist, kann es der HSV ohnehin nicht für andere Zwecke einsetzen. Die Berechtigung aber dafür hätte der Club.