Hamburg. Uwe Seelers HSV-Mitspieler und Freund erinnert sich an 64 gemeinsame Jahre und die Zeit im Präsidium des Clubs.

Auch eine Woche nach dem Tod Uwe Seelers hat Harry Bähre den Schock noch nicht überwunden. „Wir wussten alle, dass es ihm in den letzten Jahren nicht besonders gut ging. Er hätte 100 werden können, wenn er vor zwölf Jahren nicht diesen unverschuldeten Autounfall, als er auf der Rückbank saß, erlitten hätte. Wir waren also vorbereitet auf das, was passieren würde. Doch jetzt fehlt er einfach. Das wird mir jeden Tag aufs Neue bewusst.“

Harry Bähre ist zum Gespräch mit dem Abendblatt ins Restaurant Il Tramonto an der Grelckstraße gekommen, das in der Nähe seines Hauses in Lokstedt liegt. Der 81-Jährige kannte Uwe Seeler seit 64 Jahren. Sie werden schnell Freunde. Als Bähre 1958 von Grün-Weiß 07 zum HSV wechselt, wofür er ein paar Fußballschuhe erhält und das Fahrgeld zum Training am Rothenbaum oder in Ochsenzoll, ist Seeler bereits Nationalspieler, hat in Schweden seine erste von vier Weltmeisterschaften gespielt.

Kannten sich 64 Jahre: Uwe Seeler (l.) und Harry Bähre.
Kannten sich 64 Jahre: Uwe Seeler (l.) und Harry Bähre. © imago sportfotodienst | imago sportfotodienst

Uwe Seeler und Harry Bähre kennen sich seit 1960

„Uwe hatte schon damals einen großen Namen. Aber er war immer einer von uns, gab uns Tipps, bot uns Hilfe an. Er war sich nicht zu fein, den Mannschaftskoffer zu tragen, was eigentlich die Aufgabe von uns Jungspunden war. Manchmal nahm er auch zwei und scherzte: „Sonst krieg ich noch unterschiedlich lange Arme.‘“

Am 19. Oktober 1960 gibt Bähre am Rothenbaum gegen Holstein Kiel sein Debüt in der Oberligamannschaft. Der HSV siegt 1:0. Außenläufer Bähre schießt das Tor. Trainer Günter Mahlmann drückt ihm heimlich 50 Mark in die Hand („Als Lehrling verdiente ich damals 30 Mark im Monat“), Uwe Seeler nimmt ihn liebevoll in den Arm und sagt: „Klasse, Harry!“

Bähre: Seeler „fast schon ein Übermensch“

Uwe Seeler, erzählt Harry Bähre, „wollte immer nur eins: gewinnen, gewinnen“. Mit seinem Ehrgeiz stachelt er alle anderen an, „er schwor uns vor den Spielen darauf ein, alles zu geben, und machte uns in der Halbzeitpause noch mal richtig heiß“. Läuft es mal nicht nach seinen Vorstellungen, kann er fuchsteufelswild werden. „Er rannte dann mit hochrotem Kopf zurück an den Strafraum und beschimpfte uns. Sein fünf Jahre älterer Bruder Dieter, vor dem er großen Respekt hatte, beruhigte ihn schließlich. Später tat es ihm leid. Keiner war ihm böse, letztlich haben wir alle von seiner Einstellung profitiert.“

Eine „Macke“ hatte er dann doch, meint Bähre: „Er lief sich selten mit uns auf dem Platz warm, meist machte er im Duschraum oder auf dem Flur seine Gymnastik und kam erst kurz vor dem Anpfiff aufs Feld. Er könne sich so besser aufs Spiel konzentrieren, war seine Erklärung.“ Uwe Seeler sei ein besonderer Mensch gewesen, sagt Bähre, „fast schon ein Übermensch“. „Er wollte bei anderen immer nur deren gute Seiten, das Positive sehen. Ich habe ihn, außer mal beim üblichen Kabinenflachs, niemals schlecht über andere reden hören, schon gar nicht bösartig. Das war sein Verständnis von Kameradschaft, Kollegialität und Loyalität. Das haben ihn seine Eltern gelehrt.“

1961: Seeler schlug eine Million Mark Wechsel ab

Uwe hätte nur ein Problem gehabt: „Er konnte nie Nein sagen.“ Als er es doch einmal tut, 1961 eine Million Mark Handgeld für einen Wechsel zu Inter Mailand ausschlägt, habe „dies niemand von uns verstanden“. Vielleicht sei es die HSV-Meistermannschaft von 1960 gewesen, zu der Bähre nicht gehört, die ihn zum Bleiben bewegt. „Das Team passte menschlich hervorragend zusammen. Das war eine eingeschworene Truppe mit unheimlich viel Talent, die drei- oder viermal hätte deutscher Meister werden können“, sagt Bähre.

Dass sie es nur einmal wird, 1960 in Frankfurt im Endspiel gegen den favorisierten 1. FC Köln (3:2/zwei Tore von Uwe Seeler), „hatte wahrscheinlich den Grund, dass wir alle Amateure waren, die Westclubs aber fast schon unter professionellen Bedingungen trainieren konnten“. Die Rahmenbedingungen ändern sich zwar 1963 mit der Einführung der Bundesliga, als Gehälter von 1200 Mark im Monat, für Nationalspieler bis zu 2500 Mark, gezahlt werden dürfen, dazu Siegprämien von 250 Mark.

Seeler zwischen Fußball, Tankstelle und Familie

Beim HSV jedoch haben alle Spieler einen Nebenjob. Uwe Seeler ist Inhaber einer Tankstelle, vertreibt später Sportkleidung („Uwe Seeler Moden“) und repräsentiert den Sportartikelhersteller Adidas in Norddeutschland. Während seine Mitspieler nach dem Training den Tag gern mal bei einem Bier in der Stammkneipe an der Oberstraße ausklingen lassen, ist Uwe Seeler entweder in Richtung seiner Kundschaft unterwegs oder fährt nach Hause zu seiner Familie.

Bähre, der Bundesligaspieler mit der Lizenznummer 001, beendet 1967 nach mehreren Verletzungen auch deshalb mit 26 Jahren seine Erstligakarriere, wechselt zu Barmbek-Uhlenhorst in die Regionalliga, „weil man in dieser Zeit mit Fußball nichts verdienen konnte“. Der gelernte Chemigraf gründet sein eigenes, höchst erfolgreiches Unternehmen für Reproduktionstechniken, das er Mitte der 1990-Jahre seinen Mitarbeitern schenkt. „Es war immer mein Ziel, mit 55 Jahren in Rente zu gehen“, sagt Bähre. Bereits zuvor arbeitet er in verschiedenen Funktionen ehrenamtlich für seinen HSV, als Jugendtrainer, als Leiter der Fußball-Amateure, als Manager der Altliga und als Kassenwart.

In den 1990er-Jahren hat der HSV auf allen Ebenen, sportlich wie auch finanziell, Probleme. Das Volksparkstadion ist marode, nicht mehr zeitgemäß und soll neu gebaut werden. Geld und Erfolg fehlen. In der Öffentlichkeit wird der Ruf nach Uwe Seeler immer lauter. Er soll Präsident werden. Nur er könne den Verein retten. „1994 während der Fußball-Weltmeisterschaft in den USA“, erinnert sich Bähre, „saßen wir in unserem Quartier etwas außerhalb Chicagos mit Franz Beckenbauer zusammen. Der Franz rauchte genüsslich eine Zigarre, ließ sich von seinem Fahrer weitere aus seinem Hotel bringen und hatte bei dem Thema eine ganz klare Meinung: ,Seeler‘. sagte er, ,du musst das machen! Das weißt du.‘“

Es dauert noch gut ein Jahr, bis Uwe Seeler dem öffentlichen und veröffentlichen Druck nachgibt. Er holt sich seinen Freund Bähre, den ehemaligen Hamburger SPD-Senator Volker Lange und den inzwischen ebenfalls verstorbenen Hotelier und Investor Jürgen Engel ins Team. „Wir haben einiges auf den Weg bringen können“, sagt Bähre im Rückblick, „das Stadion wurde gebaut, die Finanzen konsolidiert, und sportlich ging es nach zwischenzeitlichen Rückschlägen wieder bergauf.“ Am Ende seien aber einige diskutable Dinge passiert, die ein schlechtes Licht auf das Präsidium geworfen hätten.

Das ehrenamtliche HSV-Präsidium von 1995 bis 1998 (v. l.): Harry Bähre, Präsident Uwe Seeler, Volker Lange und ­Jürgen Engel.
Das ehrenamtliche HSV-Präsidium von 1995 bis 1998 (v. l.): Harry Bähre, Präsident Uwe Seeler, Volker Lange und ­Jürgen Engel. © WITTERS | WilfriedWitters

Uwe Seeler tritt schließlich 1998 zurück, mit ihm das gesamte Präsidium. „Es war eine bittere Erfahrung für Uwe, für uns alle. Uwe wollte immer nur das Beste für seinen HSV, zeit seines gesamten außergewöhnlichen Lebens.“