Hamburg. Der HSV ist unter Tim Walter widerstandsfähiger geworden. Eine neue Stärke, die durch Zahlen zu belegen ist – und den Spieler Jatta.
Tim Walter musste sich zweimal räuspern, bevor er die erste Frage beantworten konnte. Er sei etwas heiser, entschuldigte sich der HSV-Trainer des HSV, der sich nach dem 2:1-Erfolg gegen den FC St. Pauli Derbysieger nennen darf.
Während der gesamten 95 Minuten inklusive Nachspielzeit verhielt sich Walter mal wieder wie ein ausbrechender Vulkan an der Seitenlinie. Um seine Mannschaft im Derby anzutreiben, holte er alles aus seinen Stimmbändern, seiner Mimik und Gestik heraus, lieferte sich nicht zum ersten Mal hitzige Wortgefechte mit der gegnerischen Bank und wurde zudem mit einer Gelben Karte von Schiedsrichter Sascha Stegemann verwarnt.
Es ist seine Art, Stress abzubauen, aber auch die von ihm selber viel zitierte Energie auf seine Spieler zu übertragen. Unter Walter, aber auch mit einem im Sommer nahezu komplett veränderten Kader, ist der HSV widerstandsfähiger geworden.
HSV ist widerstandsfähiger – wie im Derby
Waren es die leidgeplagten Fans in den vergangenen Jahren bei Topspielen wie dem Derby gegen St. Pauli oder bei entscheidenden Duellen um den Aufstieg gewohnt, dass ihr Herzensclub nicht sein volles Leistungspotenzial abruft, so scheinen die Hamburger in dieser Saison die Qualität neuer Tugenden zu besitzen. Leidenschaft, Wille und Aggressivität sowie die Gabe, mit Rückschlägen wie einem Gegentor umgehen zu können, sind plötzlich keine Fremdwörter mehr im Volkspark.
Diese neue Stärke ist auch anhand von Zahlen zu belegen: Mit durchschnittlich 117,77 Kilometern pro Spiel zählt der HSV mittlerweile zu den laufstärksten Teams der Liga. Zudem holte der Club bereits neun Punkte nach einem Rückstand auf – so viele wie kein anderer Zweitligist. Auch beim Derby gegen St. Pauli drehte die unglücklich mit 0:1 ins Hintertreffen geratene Walter-Elf das Spiel – weil sie an sich glaubte. Und Spieler wie Miro Muheim, Ludovit Reis und Moritz Heyer hatte, die im Hintergrund die Arbeit erledigt haben.
„Wir haben uns nicht verrückt machen lassen durch den Rückstand, sondern haben unser Ding weiter durchgezogen. Das ist das Entscheidende: Wir sind bei uns geblieben“, analysierte der Coach, der sich vor allem über die Willensstärke seiner Spieler freute, die sich erst im Laufe der Saison entwickeln musste. „Wille ist der entscheidende Aspekt in der Entwicklung. Wir haben brutale Bereitschaft, sind mutig und haben den Willen, uns zu verbessern. Wir versuchen, mutig im Ballbesitz zu sein und aggressiv gegen den Ball zu arbeiten. Das ist ein Punkt, den wir uns angeeignet haben und den wir immer weiter forcieren. Der Plan unserer Spielphilosophie geht immer besser auf.“
Woran Derby-Sieger HSV arbeiten muss
Trotz der sichtbaren Entwicklung, durch die der HSV inzwischen auch von der Punkteausbeute her erfolgreicher ist als noch zu Saisonbeginn, ist längst nicht alles perfekt. Der Derbysieg veranschaulichte zum wiederholten Mal die Schwächen in der Chancenverwertung. Auch Walter hadert mit der Tatsache, dass der HSV erneut viele Möglichkeiten ungenutzt ließ und St. Pauli nur wegen der Ineffizienz seines Teams in Führung gehen konnte. „Wir haben einige Kontersituationen nach hohen Ballgewinnen wirklich schlecht ausgespielt. Daran müssen wir weiter arbeiten“, weiß der Coach.
Doch der teilweise fahrige Umgang mit den eigenen in einer Vielzahl herausgespielten Torchancen wird inzwischen durch eine neue Widerstandsfähigkeit kaschiert. „Wir haben uns nicht verrückt machen lassen durch den Rückstand, sondern haben unser Ding weiter durchgezogen“, betonte Walter. „Das ist das Entscheidende: Wir sind bei uns geblieben.“
Derby-Held Jatta steht exemplarisch für den HSV
Doch damit alleine hätte es der HSV an diesem Freitagabend wohl nicht geschafft, das Derby zu seinen Gunsten zu drehen. Den Sieg haben die Gastgeber auch ihrem schnellsten Spieler zu verdanken. Bakery Jatta steht exemplarisch für den neuen Weg des Clubs. Er will und ackert und macht, aber er muss sich eben auch noch verbessern. Bei der Ballan- und -mitnahme vor seinem Siegtreffer zeigte der technisch nicht immer fehlerfreie Gambier, welche Qualitäten in ihm schlummern.
„Ich freue mich für Baka. Er hätte schon etliche Tore erzielen können, heute hat er sich belohnt“, sagte Walter, dessen Aufgabe es nun ist, gemeinsam mit Jatta daran zu arbeiten, dass sein Spiel konstanter wird.
Das Beispiel Jatta zeigt, dass die Entwicklung des HSV noch längst nicht abgeschlossen ist. Ein weiterer Indikator bleibt die Widerstandsfähigkeit von Walters Stimmbändern. Sind diese gereizt, dann gibt es wohl noch etwas zu justieren.
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