Hamburg. Packendes Derby um die inoffizielle Stadtmeisterschaft. Im Aufstiegskampf holt der HSV gegenüber St. Pauli kräftig auf.
Tim Leibold hielt es nicht mehr auf seinem Sitz. Der Vizekapitän des HSV, der sich vor drei Monaten das Kreuzband gerissen hatte, saß am Freitagabend das erste Mal wieder auf der Tribüne des Volksparkstadions und fieberte mit seiner Mannschaft um den Derbysieg. Zum vierten Mal versuchte es der HSV nach dem Abstieg in die Zweite Liga 2018, im eigenen Stadion das Stadtderby gegen den FC St. Pauli zu gewinnen. Und endlich sollte es gelingen.
Sebastian Schonlau (58.) und Bakery Jatta (70.) drehten das Spiel nach dem Rückstand durch Guido Burgstaller (30.) in einen 2:1 (0:1)-Sieg. „Bei einem Sieg springe ich sogar mit beiden Beinen“, sagte Leibold vor dem Spiel. Und seine Mitspieler machten ihm das Geschenk – trotz des Rückstands.
Derby-Schwur beim HSV in der Kabine
„Nervös sind wir nicht geworden, aber natürlich tat das Gegenwehr weh“, sagte HSV-Kapitän Schonlau. „Wir laufen die ganze Zeit an, machen ein richtig gutes Spiel, haben viele Chancen und kriegen aus dem Nichts das 0:1.“ Der Abwehrchef verriet ein Detail aus der Kabine, wie sich die Mannschaft in der Halbzeit zusammenraufte. „Wir haben uns in der Halbzeit gesagt, dass wir unsere Chancen weiterhin kriegen werden und so war es auch. Das Gegentor hat uns aber überhaupt nicht umgeworfen. Heute haben wir uns endlich belohnt.“
Sein Trainer Tim Walter reagierte dagegen nahezu emotionslos. „Es ist schön für unsere Fans. Wir haben aber nur ein Spiel gewonnen, in dem wir sehr gut waren“, sagte der Coach, der seine nüchterne Analyse auch umgehend erklärte. „Wir müssen genauso gegen den Tabellen-17. und -18. bestehen. Wir wissen, woran wir arbeiten müssen – und das ist eine Menge.“
Noch nüchterner als Walter war lediglich St. Paulis Coach Timo Schultz. „Wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir in der ersten Halbzeit nicht aktiv genug waren“, sagte der sichtbar geknickte 44-Jährige. „Wir wollen aber ein guter Verlierer sein und dem HSV gratulieren.“
Tabellenspitze 2. Bundesliga:
1. FC St. Pauli 20 Sp. / 40:27 Tore / 37 Pkt.
2. Darmstadt 98 19 / 43:22 / 36
3. HSV 20 / 34:20 / 34
4. 1. FC Nürnberg 20 / 29:23 / 33
5. 1. FC Heidenheim 19 / 25:25 / 33
6. Werder Bremen 19 / 35:25 / 32
7. FC Schalke 04 19 / 35:24 / 31
8. Jahn Regensburg 19 / 38:28 / 31
9. SC Paderborn 19 / 33:22 / 30
Derby: HSV setzte St. Pauli unter Druck
Tagelang hatten die Anhänger beider Clubs auf allen Kanälen darüber diskutiert, wer die Nummer eins der Fußballstadt Hamburg ist. Befeuert wurden die Diskussionen durch die beiden berauschenden Pokalerfolge am Dienstag gegen die Bundesligisten 1. FC Köln (HSV) und Borussia Dortmund (St. Pauli). „Mit Hamburg macht Fußball wieder Spaß“, sagte Sportsenator Andy Grote vor dem Spiel.
Spaß machte zunächst aber nur der HSV. Die Hausherren machten von Beginn an deutlich, dass es an diesem Abend nur einen Sieger geben kann. In den ersten zehn Minuten erspielte sich der HSV vor 2000 Zuschauern gleich vier gute Chancen. Doch Faride Alidou (4.), Moritz Heyer (6.) und Miro Muheim zielten zu ungenau, zudem zählte ein Tor von Heyer wegen einer Abseitsposition von Bakery Jatta nicht (7.).
St. Pauli ohne Kyereh gegen den HSV
Die beiden Trainer Walter und Schultz hatten auf die erfolgreichen Startformationen des Pokalabends gesetzt. Einzig Jatta rückte für Manuel Wintzheimer beim HSV in die erste Elf, nachdem er sich wieder vollständig von seiner Corona-Infektion erholt hatte. Ein guter Zeitpunkt, wie sich zeigen sollte. St. Paulis Topvorbereiter Daniel-Kofi Kyereh war nach seiner Rückkehr vom Afrika-Cup gar nicht im Kader. „Ich brauche heute Spieler, die 100 Prozent fit sind und volle Power geben können“, sagte Schultz.
St. Paulis Einzelkritik:
St. Paulis müde Pokalhelden brauchten 16 Minuten, ehe Guido Burgstaller erstmals zum Abschluss kam. Der verletzte Leibold hatte einen „offen Schlagabtausch“ angekündigt. Dieser war zunächst aber ein sehr einseitiger. Das Spiel erinnerte an das Stadtderby zwei Jahre zuvor an selber Stelle, als der HSV im Volkspark ein frühes Chancen-Feuerwerk abbrannte, aber mit dem ersten Torschuss von St. Pauli durch Henk Veerman in Rückstand geriet und am Ende 0:2 verlor.
Burgstaller trifft für St. Pauli gegen HSV
Und tatsächlich sollte der HSV ein Déjà-vu erleben. Einen eigentlich ungefährlichen Freistoß von der rechten Seite machte Etienne Amenyido am zweiten Pfosten wieder scharf. In der Mitte verlor Kapitän Sebastian Schonlau St. Paulis Burgstaller aus den Augen und der Toptorjäger der Liga brachte sein Team per Kopf in Führung (30.). Das 15. Saisontor des Österreichers und sein erster Treffer nach drei Ligaspielen. „Total unverdient, aber scheißegal“, sagte der Reporter des Fanradios AFM.
Der HSV brauchte ein paar Minuten, um sich von dem Schock zu erholen. Kurz vor der Halbzeit hatten Mario Vuskovic per Kopf (45.) und Robert Glatzel per Drehschuss (45.+1) noch zwei gute Chancen, doch es blieb beim 0:1.
Die Einzelkritik der HSV-Profis:
„Der HSV spielt ganz gut bis zum Abschluss, lässt aber zu viel liegen. Das ist ärgerlich und müsste abgeschafft werden“, sagte HSV-Legende Peter Nogly, der eine Woche zuvor 75 Jahre alt geworden war. „Ich sehe aber noch Potenzial für die zweite Hälfte. Man hat ja nichts zu verlieren.“
HSV dreht das Derby gegen St. Pauli
Der HSV erwischte auch erneut den besseren Start und hatte durch den umtriebigen Ludovit Reis mit einem Flatterball aus 20 Metern die erste Chance. Nikola Vasilj parierte mit einem Arm (48.). Neun Minuten später wurde ein Glatzel-Schuss von Jakov Medic zur Ecke geblockt. Und diese führte dann zum verdienten Ausgleich. Eine scharfe Ecke von Sonny Kittel an den Fünfmeterraum wuchtete Schonlau per Kopf über die Linie (58.).
Zwölf Minuten später gab es bei den 1800 HSV-Fans auf den beiden Haupttribünen dann kein Halten mehr. Kittel hatte Jatta mit einem Traumpass in den Strafraum steil geschickt. Der Gambier löste sich von Paqarada, nahm den Ball direkt und traf ihn perfekt. In der langen Ecke schlug er ein (70.). Der HSV hatte das Spiel gedreht – und sollte es bis zum Ende über die Zeit bringen.
Das Walter-Team schafft damit den ersten Heimsieg gegen St. Pauli seit 2001. Vor allem aber rückt er im Kampf um den Aufstieg drei Punkte an Tabellenführer St. Pauli heran und krönt seine perfekte Woche.
Die Statistik:
- HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta (90. Kaufmann), Glatzel (90. David), Alidou (71. Wintzheimer).
- FC St. Pauli: Vasilj – Ohlsson (76. Dzwigala), Medic, Lawrence, Paqarada – Smith (81. Makienok) – Becker (71. Daschner), Irvine (81. Benatelli), Hartel – Burgstaller, Amenyido (46. Dittgen).
- Tore: 0:1 Burgstaller (31.), 1:1 Schonlau (58.), 2:1 Jatta (71.)
- Schiedsrichter: Sascha Stegemann (Niederkassel)
- Gelbe Karten: Kittel (5), Reis (3) – Amenyido, Irvine (3), Hartel (3), Benatelli
- Torschüsse: 15:12, Ecken: 7:3, Ballbesitz: 53:47 Prozent, Zweikämpfe: 118:88